Maria auf der Rückbank – Geschichte – Für Erwachsene

Die Frau plagte ein schlechtes Gewissen. Mit Maria auf der Rückbank durch die Gegend zu kutschieren und sie bei nächster Gelegenheit irgendwo rauszusetzen, quasi abzuschieben … Aber behalten konnte sie sie auch nicht. Und Maria? Hatte sie Ja gesagt, war sie einverstanden?

Die Frau war neu in der Stadt, ein bisschen heimatlos noch. Vor einem Jahr war ihre Mutter gestorben, die übrigens auf den Namen Elli Maria getauft war. Der Mutter hatte die holzgeschnitzte Figur der Mutter Gottes gehört. Sie hatte sie in ihrem Wohnzimmer aufgestellt, in einer stillen, lichten Ecke im Erkerfenster. Dann hatte sie umziehen müssen– ins Pflegeheim.

Die Frau hatte die Mutter bei sich nicht aufnehmen können, sie hätte den Umzug ihrer Mutter ins Heim gern verhindert, aber es ging nicht. So hatte Elli Maria in das Pflegeheim gehen müssen, gegen ihren Willen, und Maria war mit ihr gegangen. Die Frau hatte die Mutter regelmäßig besucht, trotz der weiten Entfernung, sie hatte sich wochenweise im Heim eingemietet, Alternativurlaub hatte sie das genannt. Dann starb die Mutter. Nach der Beerdigung händigte die Heimleiterin der Frau die Madonnenfigur aus. Die Frau erschrak. Sie konnte Maria nicht bei sich aufnehmen, ihr keine Herberge sein, jetzt wo Mutter…, nein, es ging nicht … Die Frau wickelte die Madonnenfigur in ein Tuch und legte sie auf die Rückbank ihres Kleinwagens. Maria fuhr mit, wenn auch nicht auf dem Beifahrersitz.

Ein paar Monate fuhr Maria mit. Die Frau hätte sie fast vergessen, bis sie an einem Wochenmarkttag auf der Suche nach einer Parkgelegenheit zufällig auf einen freien, offenen Platz oberhalb des Marktplatzes aufmerksam wurde. Sie fuhr die Anhöhe hinauf und staunte, als sie geradewegs auf ein imposantes Kirchengebäude zufuhr. Der Frau kam eine Idee. Ob die Kirche geöffnet war? Sie drückte die Klinke des schweren Portals herunter und, oh Wunder, sie hatte Glück. Die Frau lief zurück zum Auto, nahm die in Tüchern gewickelte Figur, betrat den Kirchenraum, versicherte sich, dass sie allein war, dass zumindest keine anderen Menschen anwesend waren, legte die Figur in die letzte Kirchenbank, noch eine »Rückbank«, dachte sie, erhob sich, lief zum Ausgang, ohne sich umzudrehen, beschleunigte ihre Schritte, floh aus dem Gebäude, stieg ins Auto, raste davon. Sie hatte Maria abgeschoben, wie sie ihre Mutter abgeschoben hatte, sie hatte Maria der Kirche ausgesetzt; einer Kirche, der sich die Frau nicht mehr aussetzen wollte. Wie so viele Frauen…

Drei Jahre vergingen, die Frau wechselte den Wochenmarkt, sie fand einen näher gelegeneren, einen, der per Fahrrad oder fußläufig zu erreichen war.

Sie war noch immer heimatlos, auch spirituell. Sie suchte Orientierung und stieß auf ein Inserat: »Geistliche Begleitung für Kirchenferne.« Sie verabredete ein Erstgespräch. Die Adresse sagte ihr nichts. Sie nahm das Fahrrad, verfuhr sich, fuhr im Kreis, die Gegend kam ihr irgendwie bekannt vor. Eine Passantin, die sie nach dem Spirituellen Zentrum fragte, deutete auf den Parkplatz, »dort oben, oberhalb des Marktes.« Die Frau stutzte. Kirche am Markt. In die hatte sie vor drei Jahren Maria gebracht.

Die Frau wurde von der Leiterin des Spirituellen Zentrums herzlich empfangen. Sie fühlte sich sofort wohl, »zu Hause«. Die Frau erzählte, dass sie spirituell heimatlos geworden sei, dass sie nicht mehr beten könne. Wie entsetzlich das für sie wäre. Die Sache mit Maria auf der Rückbank verschwieg sie. Noch. Gegen Ende der geistlichen Begleitung, die für die Frau ein Segen war, erzählte sie davon. Die Geschichte hörte sich nun anders an. Maria hatte sie an diesen Ort gebracht, nicht umgekehrt.

Ute Elisabeth Mordhorst

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