Hinweis: Die Ölbergstunde findet im Anschluss an die Liturgie vom Gründonnerstag statt.
Einleitung
So wie Jesus sich nach dem Pessach-Mahl zum Beten auf den Ölberg zurückgezogen hat, so sind wir nun hier versammelt, um seiner Bitte an die Jünger damals nachzukommen: wacht und betet. Wir machen uns noch einmal den Weg bewusst, den Jesus bis hierher gegangen ist. Und wir schauen auf unser eigenes Leben und unsere ganz persönlichen Ölbergstunden. Diese Stunde wird durch viel Zeit der Stille und des persönlichen Betens geprägt sein. Stimmen wir uns ein im Lied:
Lied: »Bleibet hier und wachet mit mir« (Taizé)
Lesung: Mt 26,30–35
Nach dem Lobgesang gingen sie zum Ölberg hinaus. Da sagte Jesus zu ihnen: Ihr alle werdet in dieser Nacht an mir Anstoß nehmen; denn in der Schrift steht: Ich werde den Hirten erschlagen, dann werden sich die Schafe der Herde zerstreuen. Aber nach meiner Auferstehung werde ich euch nach Galiläa vorausgehen. Petrus erwiderte ihm: Und wenn alle an dir Anstoß nehmen – ich werde niemals an dir Anstoß nehmen! Jesus sagte zu ihm: Amen, ich sage dir: In dieser Nacht, ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Da sagte Petrus zu ihm: Und wenn ich mit dir sterben müsste – ich werde dich nie verleugnen. Das Gleiche sagten auch alle Jünger.
Impuls
Petrus ist in diesem Augenblick felsenfest überzeugt, dass er niemals – niemals!!! – seinen Herrn verraten wird. Er ist einer der wichtigsten Jünger, er steht Jesus näher als manch anderer. Er ist ein aufrichtiger und aufrechter Mann. Er ist mutig, wir erinnern uns, wie er einfach voller Vertrauen aus dem Boot gestiegen und übers Wasser gelaufen ist. Ja, er ist auch untergegangen, weil ihn dann doch der Zweifel übermannt hat. Und dennoch hat er immer mehr gewagt als die anderen. Und ausgerechnet er sollte Jesus verleugnen? Das war für ihn völlig unvorstellbar.
Wir wissen, dass er dieses Versprechen nicht halten konnte. Jesus wusste es bereits im Vorfeld, da er unsere menschliche Natur besser kennt als wir. Wir wollen
immer an dem besten Bild von uns festhalten. Wir glauben uns zu kennen, doch wie oft stolpern wir dann über unsere eigenen Fehleinschätzungen, wie oft scheitern wir an den guten Vorsätzen, von denen wir so felsenfest überzeugt waren. Jesus weiß darum. Und er macht Petrus keinen Vorwurf daraus. Nein, er sagt einfach: So wird es kommen. Es gibt Momente im Leben, da können wir nur versagen.
Wir nehmen uns nun eine Zeit der Stille und des persönlichen Gebets und schauen auf unser eigenes Leben: Wo habe ich komplett versagt, wo bin ich hinter meinen Versprechungen zurückgeblieben? Wo habe ich einen Menschen enttäuscht, weil ich im entscheidenden Moment nicht zuverlässig war? Tragen wir diese Petrus-Momente unseres Lebens vor Gott in dem Wissen und der Zuversicht, dass er uns liebevoll anschaut. Das macht unser Handeln – und die Konsequenzen unseres Handelns nicht besser. Aber es ist der erste Schritt, uns selbst so zu sehen, wie Gott uns sieht: als ganzer Mensch, der nur mit seinen Fehlern und seinem Versagen komplett ist. Lassen wir uns von Petrus an die Hand nehmen, zu dem der Auferstandene sagen wird: Weide meine Schafe.
Stille (mind. 5 Minuten)
Lied: »Aber du weißt den Weg für mich« (Taizé)
Lesung: Mt 26,36–39
Darauf kam Jesus mit ihnen zu einem Grundstück, das man Getsemani nennt, und sagte zu den Jüngern: Setzt euch hier, während ich dorthin gehe und bete! Und er nahm Petrus und die beiden Söhne des Zebedäus mit sich. Da ergriff ihn Traurigkeit und Angst und er sagte zu ihnen: Meine Seele ist zu Tode betrübt. Bleibt hier und wacht mit mir! Und er ging ein Stück weiter, warf sich auf sein Gesicht und betete: Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst.
Impuls
Jesus weiß, dass er von nun an einen Weg einschlagen wird, den er allein gehen muss. Doch er will seine besten Freunde so lange um sich haben wie möglich. Er zieht sich zwar, so wie er es oft gemacht hat, zum Gebet zurück. Doch diesmal ist es anders als sonst. Traurigkeit und Angst ergreifen ihn. Solche Sätze haben wir noch nie von Jesus gehört. Er, der die schlimmsten Krankheiten heilen konnte, der sogar den toten Lazarus aus dem Grab gerufen hat, dieser Gottessohn wird überwältigt von einem zutiefst menschlichen Gefühl. Er weiß, dass das die letzten Momente mit seinen Freunden sind. Und er möchte sie nicht loslassen.
»Bleibt hier und wacht mit mir.« Er weiß, dass er zum Beten allein sein muss. Aber er braucht diesmal seine Freunde in der Nähe. Er braucht auch ihr Gebet. Jesus will nicht allein sein. Was für ein Moment … Vielleicht ist uns Jesus zu keinem Moment je so nah wie in diesem. In dieser Stunde, in der er – ER – zu uns sagt: Lasst mich nicht allein.
Nehmen wir diesen Moment mit in unsere Stille und kommen wir seiner Bitte nach. Versuchen wir, ihm im Gebet ganz nah zu sein.
Stille (mind. 5 Minuten)
Lied: »Bleibet hier …« (Taizé)
Lesung: Mt 26,41–45
Und er ging zu den Jüngern zurück und fand sie schlafend. Da sagte er zu Petrus: Konntet ihr nicht einmal eine Stunde mit mir wachen? Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet! Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Wieder ging er weg, zum zweiten Mal, und betete: Mein Vater, wenn dieser Kelch an mir nicht vorübergehen kann, ohne dass ich ihn trinke, geschehe dein Wille. Als er zurückkam, fand er sie wieder schlafend, denn die Augen waren ihnen zugefallen. Und er ließ sie, ging wieder weg und betete zum dritten Mal mit den gleichen Worten. Danach kehrte er zu den Jüngern zurück und sagte zu ihnen: Schlaft ihr immer noch und ruht euch aus?
Impuls
Das Versagen der Jünger beginnt leider schon in diesem Augenblick. Sie sind müde von dem üppigen Essen und dem vielen Wein, der zum Ritual des Pessach- Fests gehört. Und wir dürfen nicht vergessen, was für einen prachtvollen Tag sie hinter sich. Am Morgen sind sie wie Könige, wie Superstars in Jerusalem empfangen worden. Die Menge hat Jesus zugejubelt, alle wollen ihn sehen. Angefüllt von dieser Euphorie sind sie in das letzte Abendmahl mit Jesus gegangen, nicht wissend, dass es das letzte sein würde. Und auch wenn Jesus im Laufe des Abends eigenartige Dinge gesagt hat und die gute Laune vielleicht ein wenig trübte mit seiner Ernsthaftigkeit, so hat das die Jünger vermutlich nicht wirklich beunruhigt. Schließlich kannten sie das von Jesus. Was hat er nicht schon für düstere Zukunftspredigten gehalten … Nein, wir dürfen annehmen, dass keinem der Jünger zu diesem Zeitpunkt klar war, was vor ihnen lag. Sonst hätten sie mit Sicherheit kein Auge zugetan.
Auch dieses Verhalten kennen wir von uns selbst. Wenn wir obenauf sind, wenn es gerade richtig gut läuft für uns, dann haben wir oft keinen besonders guten Blick für Störzeichen. Manchmal auch nicht für die Not anderer. Nein, wir wollen es genießen, wir wollen uns den Spaß nicht verderben lassen. So verschließen wir die Augen vor dem Abgrund, auf den wir geradewegs zulaufen. Wir wollen nichts von Abgründen wissen. Wir sind die Kings, die Stars … Vielleicht kennen wir auch die andere Seite, die Seite Jesu. Er ist verzweifelt, er bräuchte seine Freunde jetzt. Aber sie sind es nicht gewohnt, dass er SIE braucht … das gab es nie. Daher haben sie überhaupt keinen Blick dafür, stattdessen schlafen sie den Schlaf der Satten und Zufriedenen. Ja, auch das kenne ich vielleicht.
Schauen wir in der Zeit der Stille auf solche Momente in unserem Leben. Und erzählen wir Jesus davon, wie es uns damals erging.
Stille (mind. 5 Minuten)
Lied: »In manus tuas, pater« (Taizé)
Lesung: Mt 26,42–46
Wieder ging er weg, zum zweiten Mal, und betete: Mein Vater, wenn dieser Kelch an mir nicht vorübergehen kann, ohne dass ich ihn trinke, geschehe dein Wille. Als er zurückkam, fand er sie wieder schlafend, denn die Augen waren ihnen zugefallen. Und er ließ sie, ging wieder weg und betete zum dritten Mal mit den gleichen Worten. Danach kehrte er zu den Jüngern zurück und sagte zu ihnen: Schlaft ihr immer noch und ruht euch aus? Siehe, die Stunde ist gekommen und der Menschensohn wird in die Hände von Sündern ausgeliefert. Steht auf, wir wollen gehen! Siehe, der mich ausliefert, ist da.
Impuls
»Mein Vater, wenn dieser Kelch an mir nicht vorübergehen kann, ohne dass ich ihn trinke, geschehe dein Wille.« In der Übersetzung Martin Luthers klingen diese Worte Jesu noch ein wenig eindringlicher: »Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht wie ich will, sondern wie du willst!« Ja, Jesus hat wirklich Angst vor diesem letzten Schritt. Er hat eine solche Angst, dass er seinen Vater bittet, diesen Kelch an ihm vorübergehen zu lassen. Er weiß, dass dieses Gebet nicht erhört wird, er weiß, dass er diesen Weg gehen wird und gehen muss. Und doch: Er will nicht. Und auch hier erleben wir einen Jesus, der mit einem Mal ganz klein, ganz und gar menschlich ist. Einen, der selbst noch den Jubel vom Vormittag im Ohr hat. Einen, der gerade mit seinen engsten Freunden das Pessachmahl gefeiert hat – und dem klar wird, wie sehr er diese Menschen lieb gewonnen hat. Wir erleben einen Jesus, dem vielleicht durch den Kopf geht, was er noch alles hätte erleben können, wie viel Gutes er noch hätte tun können. Wie viele schöne, intensive und tiefe Stunden mit seinen Jüngerinnen und Jüngern er noch hätte erleben können. Ein Jesus, der in diesem Moment tatsächlich mehr Mensch als Gott ist. Es sind diese heiligen Momente der Ölbergnacht, die Ostern zum wahren Wunder machen. Denn in diesen Momenten wissen wir: Gott ist wahrhaft Mensch geworden. Er hat sich nicht einfach verkleidet. Er ist nicht als Gott herabgestiegen wie ein Marvel-Superheld, der jederzeit wieder in sein Götterreich verschwinden kann. Nein, Gott ist Mensch geworden. Mensch. Ein Mensch, der liebt und der auch die Liebe seiner Freundinnen und Freunde braucht. Ein Mensch, der traurig wird, als er weiß, dass er nun Abschied nehmen muss. Ein Mensch, der lieber leben als sterben will.
Schauen wir in der Zeit der Stille auf diese wunderbarste Offenbarung Jesu: seine Offenbarung als Mensch, der uns ganz, ganz nah ist. Ein Mensch, den wir verstehen können. Lassen wir diese ungeheuere Wahrheit an uns heran und erspüren wir, was sie in uns auslöst. Verbringen wir diese Minuten ganz nah an der Seite Jesu.
Stille (mind. 5 Minuten)
Lied: »Nada te turbe« (Taizé)
Vaterunser
Wacht und betet. Wir wollen mit Jesus und mit seinen Worten beten: Vater unser …
Abschluss
Wir hören nun zum Abschluss, wie es am Ölberg weiterging. Im Anschluss an diese Lesung beenden wir unsere Ölbergstunde ohne Abschluss und ohne Segen. Wer möchte, kann in Stille noch in der Kirche / im Raum bleiben, wer möchte, kann gehen.
Lesung: Mt 26,47–56
Noch während er redete, siehe, da kam Judas, einer der Zwölf, mit einer großen Schar von Männern, die mit Schwertern und Knüppeln bewaffnet waren; sie waren von den Hohepriestern und den Ältesten des Volkes geschickt worden. Der ihn auslieferte, hatte mit ihnen ein Zeichen vereinbart und gesagt: Der, den ich küssen werde, der ist es; nehmt ihn fest! Sogleich ging er auf Jesus zu und sagte: Sei gegrüßt, Rabbi! Und er küsste ihn. Jesus erwiderte ihm: Freund, dazu bist du gekommen? Da gingen sie auf Jesus zu, ergriffen ihn und nahmen ihn fest. Und siehe, einer von den Begleitern Jesu streckte die Hand aus, zog sein Schwert, schlug auf den Diener des Hohepriesters ein und hieb ihm ein Ohr ab. Da sagte Jesus zu ihm: Steck dein Schwert in die Scheide; denn alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen. Oder glaubst du nicht, mein Vater würde mir sogleich mehr als zwölf Legionen Engel schicken, wenn ich ihn darum bitte? Wie würden dann aber die Schriften erfüllt, dass es so geschehen muss? In jener Stunde sagte Jesus zu den Männern: Wie gegen einen Räuber seid ihr mit Schwertern und Knüppeln ausgezogen, um mich festzunehmen. Tag für Tag saß ich im Tempel und lehrte und ihr habt mich nicht verhaftet. Das alles aber ist geschehen, damit die Schriften der Propheten in Erfüllung gehen. Da verließen ihn alle Jünger und flohen.