SprachförderungWas für und gegen Sprachtests spricht

Viele Kinder weisen beim Eintritt in die Grundschule Defizite in der Beherrschung der deutschen Sprache auf. Politiker:innen fordern verpflichtende Sprachtests – doch können die wirklich helfen?

Was für und gegen Sprachtests spricht
© urbazon/GettyImages

Spätestens im Rahmen der Schuleingangsuntersuchungen soll die Sprachentwicklung durch die sogenannte Sprachstandsfeststellung überprüft werden. Darauf haben sich bereits viele Bundesländer eingestellt. So hat das Kabinett in Bayern beschlossen, dass alle Kinder vor dem letzten KitaJahr einen Sprachtest absolvieren sollen. In einigen Bundesländern nehmen alle Kinder im letzten Kita-Jahr an einem Sprachtest teil. Ziel ist es, sprachliche Defizite so früh wie möglich zu erkennen und Kinder noch vor der Einschulung speziell zu fördern. Auch die Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger fordert flächendeckend Sprachtests für Kleinkinder, um fehlende Deutschkenntnisse vor der Einschulung gezielter aufarbeiten zu können.
Die Beweggründe für die Forderung von Sprachstandsüberprüfungen sind verständlich, denn die Beherrschung der deutschen Sprache ist eine Grundvoraussetzung für den Erfolg in der Schule. Sind Tests aber wirklich geeignet, um die sprachlichen Kompetenzen der Kinder zu prüfen und daraus sinnvolle Konsequenzen für eine mögliche Förderung abzuleiten?

Das spricht für Sprachtests

Tests stammen ursprünglich aus der Tradition der psychologischen Diagnostik und basieren auf Erkenntnissen der Testtheorie. Sie sind standardisiert, das bedeutet, dass bei ihrer Entwicklung genau festgelegt wird, wie sie anzuwenden und auszuwerten sind. Damit sollen vergleichbare Bedingungen für alle Teilnehmenden geschaffen werden. Neben den Voraussetzungen für die Objektivität der Durchführung und Auswertung sollen die Tests zuverlässig und genau messen – bei einer Wiederholung müsste bei einem Kind demnach dasselbe Ergebnis herauskommen. Schließlich müssen die Verfahren valide, also gültig sein. Bei einem Sprachtest muss es also wirklich um die Sprachfähigkeit eines Kindes gehen, nicht um andere Faktoren wie die Konzentrationsfähigkeit.
Dem entsprechen die Vorlagen für die Tests: Spezielle Anleitungshefte beinhalten eindeutige Aufgaben und Antwortvorgaben. Die Tests werden in Einzelsitzungen durchgeführt, von einer geschulten Testleitung, meist von einer Grundschullehrkraft. Für alle Tests müssen Normwerte vorliegen, sodass der Vergleich der individuellen Leistung eines Kindes mit denen seiner Altersgruppe möglich ist. Damit sind auch Kriterien für die Notwendigkeit einer Sprachförderbedürftigkeit festlegbar. Die Befürworter:innen von Tests sehen diese Qualitätsmerkmale als Voraussetzung für eine objektive Messung des Sprachstandes der Kinder. Auf den Ergebnissen aufbauend können dann Fördermaßnahmen eingeleitet werden.
Widerspruch kommt vor allem von pädagogischen Fachkräften aus Kitas, aber auch von Trägerverbänden und Vertreter:innen der Wissenschaft. Zwar wird grundsätzlich die Notwendigkeit einer systematischen und regelmäßigen Beobachtung der sprachlichen Kompetenzen von Kindern bestätigt, der Einsatz von Sprachtests wird aber durchweg kritisch betrachtet.

Das spricht gegen Sprachtests

Sprachstandsmessungen und der Einsatz von Tests führen bei Kindern zu ungewohnten und belastenden Prüfungssituationen. Dazu tragen auch die Bedingungen bei, unter denen Tests in der Regel durchgeführt werden: Unter anderem sind das eine schulische, dem Kind nicht vertraute Umgebung und Lehrkräfte, die dem Kind nicht bekannt sind. Sie verunsichern die Kinder, dies kann sie in ihrem Sprachverhalten beeinträchtigen und hemmen. Viele Kinder verstummen in einer solchen Situation – obwohl sie im Alltag unter Kindern und ihnen vertrauten Erwachsenen durchaus sprechfreudig sind und sich sprachlich gut ausdrücken können. Tests erfassen immer nur einen Ausschnitt der sprachlichen Fähigkeiten eines Kindes. Das führt zu einer isolierten Betrachtung einzelner Sprachkompetenzen. Grundlegende Aspekte der Sprachentwicklung wie die Sprechfreude des Kindes, seine Bereitschaft zur Kommunikation oder sein Interesse an Sprache werden nicht erfasst. Die punktuellen Verfahren zur Sprachstandsmessung bleiben meist auf einen Zeitpunkt beschränkt und können daher keine Informationen zur sprachlichen Entwicklung der Kinder liefern. Durch die einmalige Erfassung des Sprachstandes wird die aktuelle Situation des Kindes nicht berücksichtigt, die sich auch in seinem Sprachverhalten widerspiegelt. Zudem lassen sich aus den Ergebnissen eines Sprachtests keinerlei Maßnahmen für eine Förderung ableiten, die unmittelbar im Kita-Alltag umsetzbar wären.
Die Tests sind meist zu wenig am Alltag der Kinder orientiert. Anstelle authentischer, für das Kind sinnvoller und handlungsrelevanter Interaktionen stehen bei einem Test künstlich erscheinende Fragen, die aus dem Zusammenhang gerissen sind, im Vordergrund. Die Funktion von Sprache als Instrument der Kommunikation und des Austauschs wird in Sprachtests nicht berücksichtigt. Das kommunikative Handeln der Kinder wird sehr reduziert.
Tests wurden ursprünglich für die logopädische und sprachtherapeutische Praxis entwickelt, um Hinweise auf das Vorliegen einer Sprachentwicklungsstörung zu erhalten. Sie sollten von geschultem Personal (Logopäd:innen und Sprachtherapeut:innen) und nicht im pädagogischen Kontext verwendet werden.
Diese Argumente führen zu der Auffassung, dass im pädagogischen Alltag der Kitas auf den Einsatz von Testverfahren verzichtet werden sollte und stattdessen Beobachtungsverfahren zu bevorzugen sind.

Fazit

Eine regelmäßige, systematische Beobachtung ist einer einmaligen Testsituation überlegen. Beobachtungsverfahren sind weniger auf das Resultat einer einmaligen Messung ausgerichtet als auf den Prozess des Entwicklungsverlaufs. Sie geben einen differenzierteren Einblick in das tatsächliche sprachliche Verhalten der Kinder. Beobachtungsverfahren sind dazu geeignet, den Sprachstand eines Kindes zu erfassen und einen möglichen Förderbedarf zu identifizieren. Aus den Beobachtungsergebnissen lassen sich unmittelbar Folgerungen für die Gestaltung von Fördermaßnahmen ableiten. Pädagogische Fachkräfte haben gemäß den Bildungs- und Erziehungsplänen die Aufgabe, die sprachliche Entwicklung jedes einzelnen Kindes regelmäßig zu beobachten und zu dokumentieren. Die Kompetenzen der pädagogischen Fachkräfte im Hinblick auf die Beobachtung sollten genutzt und durch entsprechende Fortbildungsmaßnahmen gestärkt werden. Die Feststellung des Sprachstandes eines Kindes mithilfe von Testverfahren sollte auf die Fälle begrenzt werden, in denen Kinder vor dem Eintritt in die Schule keine Kita besuchen.

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