Wenn Fachkräfte an ihre Grenzen kommenEmpathie tut gut

Belastete Kinder, herausgeforderte Fachkräfte – in heiklen Situationen hilft es, einen Schritt zurückzutreten und Ruhe zu bewahren. Wie es gelingt, das Nervenkostüm zu schonen und feinfühlig zu reagieren.

Empathie tut gut
© Huntsock/GettyImages

Auch wenn es auf den ersten Blick manchmal so erscheint: Verhaltensweisen von Kindern haben niemals das Ziel, es „uns schwer zu machen“ bzw. jemanden in Schwierigkeiten zu bringen. Im Gegenteil: Kinder sind emotional und existenziell sowohl von Erwachsenen als auch von sozialer Zugehörigkeit abhängig. Entsprechend können Kinder kein Interesse daran haben, bestehende Beziehungen absichtsvoll zu riskieren.

Sie sind hingegen angewiesen auf feinfühlige Erwachsene, die einen Rahmen schaffen, der den kindlichen Bedürfnissen entspricht, und ihnen helfen, sich in der inneren und äußeren Welt zurechtzufinden. Fehlt Kindern das Gefühl von emotionaler Sicherheit, zeigen sich unwillkürlich aversive Verhaltensweisen, die den Stress des Kindes reflektieren. Aggressiv-impulsives Verhalten, motorische Unruhe, Schreien, Fluchen, Beißen oder Schlagen weisen ebenso wie permanentes Anklammern, der Ruf nach Aufmerksamkeit oder eine grundsätzliche Verweigerungshaltung auf innere Belastungen des Kindes hin.1; 2

Kein Kind verhält sich schlecht, das in gutem Zustand ist. Aufgabe von Fachkräften ist es, zu erkennen, dass Kinder mit „schwierigem Verhalten“ nicht Kinder sind, die es schwer machen, sondern Kinder, die es schwer haben und in besonderer Weise auf Unterstützung angewiesen sind. Um Kindern also auch in herausfordernden, konflikthaften und grenzwertigen Situationen fachlich versiert und kindgerecht begegnen zu können, braucht jede pädagogische Fachkraft entsprechendes Know-how. Professionelle Kompetenz beweist sich, wenn es schwierig wird!

Die Bereitschaft, sich mit stress- und belastungsbedingtem Verhalten von Kindern auseinanderzusetzen, ist Teil des Anforderungsprofils jeder pädagogischen Fachkraft. Dennoch fühlen sich viele Fachkräfte in entsprechenden Situationen verunsichert und überfordert. Überforderung bedeutet, sich kognitiv (Ich kann das Geschehen nicht richtig einordnen), emotional (Ich bin stark emotional aktiviert) und strategisch (Ich weiß nicht, was ich tun kann) überbeansprucht zu fühlen.

Die Erkenntnis, dass nicht das Kind überfordernd ist, sondern dass ich „an meine Grenzen stoße“, ist die erste Voraussetzung für verantwortungsbewusstes Handeln. Katrin Halfmann schreibt in ihrem Praxisbuch für mehr Professionalität im pädagogischen Alltag: „Als ‚Profis‘ übernehmen wir nicht nur Verantwortung für andere und für unseren Auftrag, sondern auch für uns selbst, für unser Fühlen, Wollen, Denken und Handeln.“3

Eigene Einstellung kritisch hinterfragen

Was also können Fachkräfte tun, um schwierige Situationen gut zu meistern?

Denken: Wie wir über etwas bzw. jemanden denken, wirkt sich auf unser Fühlen und Handeln aus. Halten wir das Verhalten eines Kindes für bösartig oder feindselig motiviert, werden Wut und Ärger ausgelöst. In dieser Haltung gehen Fachkräfte oftmals in eine Angriffs- oder Verteidigungsposition. Das Kind wird zum Gegner, das die Fachkraft nun ihrerseits „unter Kontrolle“ bekommen will. Hier gilt es, die eigene Einstellung kritisch zu hinterfragen, zum Beispiel: Was ist mein Bild vom Kind? Wie denke ich über sein Verhalten? Welches Motiv unterstelle ich ihm?

Um zu einem professionellen Verständnis und einer Neuinterpretation zu gelangen, braucht es die Bereitschaft, das ganze Kind verstehen zu wollen, statt ausschließlich sein Verhalten zu bewerten. „Das Verstehen-Wollen ist der Anfang, um eigenes Verhalten ändern bzw. korrigieren zu können.“4 Erst wenn die „guten Gründe“, inneren Nöte, Gefühlslagen und Bedürfnisse, die mit dem kindlichen Verhalten zusammenhängen, erkannt werden, kann die Fachkraft feinfühlig handeln und dem Kind auch in schwieriger Lage Verbundenheit und Hilfe anbieten.5

Fühlen: Welche Gefühle in einer Situation geweckt werden, hängt neben Denkweisen und mentalen Haltungen auch von den biografischen Vorerfahrungen und Bedürfnislagen der Fachkraft ab. Wenn Fachkräfte sich durch das Verhalten eines Kindes stark aktiviert fühlen (zum Beispiel Wut auf das Kind, Hilflosigkeit, körperliche Reaktionen wie Hitze, Zittern), gilt es zu reflektieren:

  • Welche eigenen Erfahrungen rührt das Kind in mir an? Welche (unangenehmen) Assoziationen weckt es? So könnte das laute Schreien eines Kindes eigene kindliche Ängste aktivieren, wenn „Schreien“ in der eigenen Familie beispielsweise der Vorbote von Strafen war.
  • Kenne ich dieses Verhalten von mir? Wie wurde mit mir als Kind in solchen Situationen umgegangen? Wie geht es mir selbst etwa mit „Wut“ oder starker Trauer?
  • Welche verletzten oder unbefriedigten Bedürfnisse von mir sind durch das Verhalten des Kindes berührt bzw. betroffen?

Hier geht es also nicht um die Frage, was mit dem Kind los ist, sondern um die Erkundung, was mit mir selbst los ist. Die Reflexion eigener (Erziehungs-)Erfahrungen sowie die Auseinandersetzung mit der persönlichen Bindungs- und Traumageschichte sind unerlässlich, damit Fachkräfte „symptomfrei“6 auf kindliche Verhaltensäußerungen reagieren können.

Strategien, um cool zu bleiben

Wenn Fachkräfte spüren, dass sie emotional an ihre Grenzen kommen, sollte es Teil ihres professionellen Selbstverständnisses sein, für Selbstklärung und Selbststabilisierung zu sorgen. Eventuell braucht es auch externe Unterstützung in Form von Coaching, Supervision oder therapeutischer Begleitung. Um in krisenhaften Situationen mit Kindern professionell handeln zu können, bedarf es in erster Linie selbst- und co-regulatorischer Kompetenzen.

Selbstregulation: Selbstregulation meint die Fähigkeit, eigenes Stresserleben beruhigen zu können, um einen „kühlen Kopf“ zu behalten. Wirkungsvoll können hier zum Beispiel Selbstanbindungsgesten (Hand aufs Herz legen), mentale Skills (sich selbst Zuspruch geben) oder Körperstrategien (tief durchatmen, um das Nervensystem herunterzufahren) sein. Grundlegend präventiv ist zudem eine gute Selbstfürsorge, damit das Nervensystem „Puffer“ hat, wenn es auf Belastungen trifft.

Co-Regulation: Wenn ein Kind sich schwierig verhält, kann man davon ausgehen, dass es sich in einem dysregulierten Zustand befindet. Impulsive Reaktionen von Fachkräften wie Schimpfen, Drohen, Beschämen feuern das Stressempfinden des Kindes an und verstärken sein Symptomverhalten. Es kommt zu einem klassischen Teufelskreis. Um diesen zu unterbrechen, müssen Fachkräfte geübt darin sein, dem Kind Co-Regulation anzubieten. Diese besteht im Ruhe-Bewahren, Präsenz-Zeigen, in feinfühliger Resonanz durch Spiegelung und Beantwortung von Bedürfnissen und Gefühlen des Kindes sowie in der Aktivierung von Ressourcen, die das Wohlbefinden des Kindes verbessern. Co-Regulation als Handlungsansatz bezieht sich nicht nur auf die akute Situation, sondern schließt auch Überlegungen ein, was präventiv für die Stabilisierung des Kindes getan werden kann und welche unnötigen Stressoren zu vermeiden sind.

Unterstützung aus dem Team

Neben diesen Selbstkompetenzen braucht es zudem eine Teamkultur, in der gegenseitige Rückmeldung, gemeinsame Reflexion und wechselseitige Unterstützung haltgebend wirken. Alle bisher benannten Faktoren haben somit in erster Linie mit den fachlich-persönlichen Kompetenzen einer Person sowie mit der Teamstruktur zu tun. Entsprechend lassen sich hier bei genauerer Analyse Ansatzpunkte finden, die es ermöglichen, Herausforderungen künftig selbstsicherer zu begegnen. Davon abzugrenzen sind faktische Belastungsfaktoren wie schlechte Arbeitsbedingungen, personeller Notstand und chronischer Zeitdruck. Hier ist vermehrt politisches Engagement im Einsatz für strukturelle Verbesserungen gefragt. Kinder jedoch tragen keine Verantwortung für prekäre Situationen. Es bleibt die Aufgabe Erwachsener, sich auch unter belastenden Bedingungen für das Wohlergehen von Kindern verantwortlich zu fühlen. Bedingungen, wie schwierig sie auch sein mögen, dürfen niemals eine Begründung dafür sein, dass Fachkräfte die Grenzen von Kindern verletzen, weil sie sich selbst an ihren Grenzen fühlen.

Das Fachmagazin im Abo

  • 10 Ausgaben pro Jahr
  • Beispielhafte und inspirierende Praxisbeiträge aus dem Kita-Alltag
  • Fachliche Orientierung, Standpunkte und Meinungen zu Themen der Frühpädagogik
  • Sicherung und Weiterentwicklung der pädagogischen Qualität in Ihrer Einrichtung
Jetzt testen