"Am Anfang hatte ich schon Schwierigkeiten damit", sagt Melanie Bohner*. Eigentlich wollte sie Religion so weit wie möglich aus der Erziehung ihrer Tochter raushalten. Das war zu der Zeit, als Lena* auf die Welt kam. Inzwischen ist sie sieben Jahre alt und stellt Fragen: zum Beispiel zu Weihnachten - wie das damals war, oder ob man nach dem Tod in den Himmel kommt. So sei Religion "zwangsweise" zum Thema in ihrer Familie geworden, sagt Melanie Bohner heute. Weil das Christentum in ihren Augen Teil unserer Kultur ist, will sie ihrer Tochter die Antworten der Religion nicht vorenthalten: "Dass man nach dem Tod als Engel auf einer Wolke schwebt, ist eine schöne Vorstellung", sagt sie. Taufen lassen will sie ihre Tochter deshalb aber nicht. Das soll Lena später selbst entscheiden können.
Mit ihrer Zurückhaltung ist Melanie Bohner nicht allein. Als der Ethikunterricht in der Grundschule ihrer Tochter in einen konfessionellen Religionsunterricht umgewandelt werden sollte, gab es Proteste von Seiten der Eltern. "Wir wollen die Religion vorstellen, wir wollen die Kinder nicht von etwas überzeugen" - diese Einstellung der Lehrer hat die Eltern dann beruhigt.
Eltern Mut machen
Dass viele Eltern in Sachen Religion Angst vor Zwängen haben, versteht Friedrich Schweitzer, Professor für Religionspädagogik an der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen. "Man darf keine Zweifel haben", sei eine Vorstellung, die viele Menschen noch immer mit Religion verbinden und vor ihr zurückschrecken lässt. Ein weiterer Grund ist für ihn das heutige Verständnis von Erziehung: "Eltern wollen Kindern nichts aufdrängen. Sie fragen vielmehr danach, wie Kinder selbstständig werden können", sagt er. Einen Widerspruch sieht er hier allerdings nicht, im Gegenteil: Friedrich Schweitzer ist überzeugt, dass Religion Kindern dabei hilft, eine eigenständige Persönlichkeit zu werden. Auf die Frage, was Kinder brauchen, müsse eine Antwort deshalb lauten: Religion.
Weil sie in der pädagogischen und öffentlichen Diskussion oft keine Berücksichtigung findet, versucht Schweitzer gemeinsam mit anderen Religionspädagogen ein neues Nachdenken darüber anzuregen. "Das Recht des Kindes auf Religion" betont schon der Titel eines seiner Bücher. "Kinder nicht um Gott betrügen" - darum bittet auch sein katholischer Kollege Albert Biesinger in einem gleichnamigen Elternratgeber.
Nicht um Schuldzuweisungen oder Kritik geht es den Autoren dabei. Sie wollen Eltern ermutigen und anstiften, die religiöse Dimension bewusst in die Erziehung ihrer Kinder einzubeziehen. Fünf Fragen sind es für Friedrich Schweitzer, die zum Aufwachsen von Kindern gehören und nach religiösen Antworten verlangen: "Warum musst du sterben, was kommt nach dem Tod", "Wer bin ich und wer darf ich sein", "Warum soll man anderen Menschen helfen in einer Welt, in der es nicht fair zugeht?"; schließlich die Fragen nach Gott und nach der Religion der anderen, auf die Kinder in unserer Gesellschaft unweigerlich stoßen.
Nicht-religiös zu antworten ist möglich, das gesteht Schweitzer zu. In jedem Fall vermitteln Eltern ihren Kindern aber ein bestimmtes Bild vom Leben und von der Welt. Die Antwort "Alle Menschen müssen eben einmal sterben - das ist halt so!" kann auf Kinder sehr resignativ wirken. Schnell entsteht bei Ihnen der Eindruck, als ob es auch in anderen Situationen, vielleicht sogar im ganzen Leben keine Hoffnung gibt. Biblische Geschichten hingegen bieten Kindern die Möglichkeit, eine Sprache zu finden für Sehnsüchte und Wünsche. Außerdem lernen sie so den Grund dafür kennen, dass sie sich unbedingt angenommen fühlen dürfen.
Eine Sehnsucht aus Kindertagen
Kinder finden dabei Worte für ein Gefühl, das ihnen erstmals die umsorgenden Eltern in der frühen Kindheit vermittelt haben: jemand schützt mich und begleitet mich auf meinem Weg. Nach Ansicht der Religionspädagogen verweist das Vertrauen zu den Eltern schon auf das Vertrauen zu Gott. In dieser religiösen Dimension des sogenannten Urvertrauens sehen sie deshalb auch den Beginn der religiösen Entwicklung.
Am Ende der Kindergartenzeit oder zu Beginn der Grundschulzeit können Kinder dann erste Gottesbilder entwickeln. Jetzt fangen sie an, nach einer allumfassenden Ordnung zu suchen. In ihren Fragen nach dem Woher von Mensch und Welt sind sie empfänglich für den Gedanken eines letzten "machenden" Grundes. Angewiesen sind sie dabei jedoch auf das Gespräch mit anderen.
Zweifel als Chance
Obwohl viele Eltern nicht abgeneigt sind, bleibt das Sprechen über Gott nach Ansicht von Friedrich Schweitzer dann aber oft aus. Zu groß sind die eigenen Unsicherheiten und Zweifel: "Wenn ich so unsicher bin, kann ich meinem Kind dann religiöse Erziehung bieten?" Schweitzer sieht hier kein Problem. "Religiöse Erziehung ist auch für Erwachsene eine Chance, sich wieder neu mit Fragen zu beschäftigen, auf die es keine abschließenden Antworten geben kann", sagt er.
Melanie Bohner ist selbst religiös erzogen worden. Als Jugendliche hatte sie zunächst den Bezug zur Religion verloren. "Ja, auf jeden Fall", antwortet auch sie auf die Frage, ob sie durch die "Religionsgespräche" mit ihrer Tochter einen verlorenen Faden wieder aufgenommen hat.
*Name von der Redaktion geändert