Aufsichtspflicht in Kitas"Und wer verantwortet das jetzt?"

Wie viel Freiräume sollten Fachkräfte Kleinstkindern zugestehen, damit sie sich bestmöglich entfalten können? Wie viel Aufsicht ist verpflichtend und wer ist befugt, diese zu übernehmen?

© Gary S Chapman - GettyImages

INFO

Kriterien zur Aufsichtsführung

  • Kind: Alter und Persönlichkeit berücksichtigen.
  • Pädagogik: Wie ist die Aktivität pädagogisch begründet?
  • Gruppe: Wie groß ist die Gruppe und wie gestaltet sich die Gruppendynamik?
  • Ort & Raum: Wie sind die örtlichen Gegebenheiten?
  • Situation: Welches Gefahrenpotenzial birgt die Situation?
  • Aufsichtsperson: Über welche Kompetenzen verfügt sie?
  • Zumutbarkeit: Ist die Aufsicht zumutbar (etwa bzgl. der Gruppengröße)?

Der Alltag in Kindertageseinrichtungen steckt voller rechtlicher Fragen und Abwägungen. Oftmals herrscht Unsicherheit darüber, was erlaubt ist und was nicht. Aufgabe der Fachkräfte ist es, die Entwicklung der Kinder zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten zu fördern. Doch wie viel Eigenverantwortung kann welchem Kind zugestanden und zugetraut werden? Wie viel Risikobereitschaft ist dabei notwendig und welche Entscheidungen sind hingegen als fahrlässig zu betrachten?
Diese Fragen machen deutlich: Pädagogische Fachkräfte befinden sich in einem Spannungsfeld: Klar ist, dass die Kinder zu Menschen erzogen werden sollen, die ihr Handeln auf die daraus resultierenden Konsequenzen hin überprüfen und abwägen. Gleichzeitig bergen neue Erfahrungen auch die Gefahr, sich selbst oder andere zu verletzen. Der Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen ist folglich untrennbar mit der Aufsichtspflicht verbunden. Nur eine ausgewogene Balance im Alltag kann beiden Verpflichtungen des Gesetzgebers gerecht werden. Nach einer wegweisenden Entscheidung des Bundesgerichtshofs sind die Pflichten einer Aufsichtsperson wie folgt geregelt: „Das Maß der gebotenen Aufsicht bestimmt sich nach Alter, Eigenart und Charakter des Kindes sowie nach der Voraussehbarkeit des schädigenden Verhaltens sowie danach, was den Aufsichtspflichtigen in ihrem jeweiligen Verhalten zugemutet warden kann. Entscheidend ist letztlich, was ein verständiger Aufsichtspflichtiger nach vernünftigen Anforderungen im konkreten Fall unternehmen muss, um die Schädigung zu verhindern.“ (NJW 1968, 1672, zit. nach von Langen 2023, S.  186) Hier wird bewusst auf eine engere Eingrenzung bei der Aufsichtsführung verzichtet, um die pädagogische Freiheit zu gewährleisten. Die Fachkräfte sollen und müssen in der jeweiligen Situation selbst entscheiden, wer zu welchem Zeitpunkt und in welchem Umfang zu beaufsichtigen ist. Bei der Entscheidung über die Aufsichtsführung sind verschiedene Kriterien von Relevanz (s. INFO). Trotz Vorsicht dürfen die pädagogischen Ziele jedoch nicht aus dem Blick geraten: Partizipation und Selbstwirksamkeit ermöglichen sowie Grenzen austesten lassen.

Die Aufsichtspflicht wahrnehmen

Ein weiterer Aspekt, der dabei oft diskutiert wird, ist der konkrete Beginn und das Ende der Aufsichtspflicht. Diese beginnt, wenn die Eltern ihr Kind morgens abgeben und endet, wenn sie es wieder abholen. Entscheidend ist dabei die Übergabe, z.B. in Form eines Begrüßungsoder Abschiedsrituals. Beschädigt ein Kind bspw. einen Gegenstand im Eingangsbereich der Kita noch vor der Übergabe an eine pädagogische Fachkraft, haften die Eltern für den Schaden. Die bewusste Übergabe in die Gruppe hat noch nicht stattgefunden und somit wurde die Aufsichtspflicht noch nicht von den Eltern an die Fachkraft übertragen.

Damit pädagogische Fachkräfte ihrer Aufsichtspflicht nachkommen können, sollten sie die folgenden vier Aspekte beachten:

  • Vorausschauen: sich über den Ort und die Kinder informieren, Gefahren abschätzen, vor allem bei unbekanntem Terrain, z.B. bei einem geplanten Ausflug
  • Informieren & regeln: über Gefahren informieren, belehren, ermahnen, Regeln und Verbote aufstellen
  • Ausführen: die Schützlinge im Blick haben (überwachen), je nach Alter und Reife wissen, wo sie sind und was sie tun, die Einhaltung der Regeln kontrollieren
  • Eingreifen: bei Regelverstößen einschreiten, in Gefahrensituationen sofort handeln.

INTERVIEW

Was sagt das Sozialrecht?

Frau Schröter, wer hat bei Veranstaltungen in der Einrichtung die Aufsichtspflicht?

Eltern gehen oftmals selbstverständlich davon aus, dass die Aufsichtspflicht ihrer Kinder automatisch vom Kita-Personal übernommen wird, auch wenn sie selbst dabei sind.
Dabei gilt folgende Grundregel: Sind Eltern und Kinder gemeinsam in der Einrichtung, bleibt die Aufsichtspflicht bei den Eltern. Am besten ist es, wenn die Fachkräfte diese Regelung bereits bei der Einladung zur Veranstaltung mitteilen, da Eltern meistens nicht davon ausgehen. Das schafft Transparenz und vermeidet unnötige Konfliktsituationen.

Dürfen Praktikantinnen und Praktikanten, Auszubildende oder Aushilfen ebenfalls die Aufsichtspflicht übernehmen?

Ja! Sogar minderjährige Praktikantinnen und Praktikanten, Auszubildende oder Aushilfen können als Aufsichtspersonen eingesetzt werden. Sie sollten allerdings über gewisse Fähigkeiten verfügen: körperliche und geistige Eignung, Erfahrung im Umgang mit Kindern, Zuverlässigkeit, Gewissenhaftigkeit, Verantwortungsbewusstsein, die Kompetenz, die Übersicht zu behalten, und die Bereitschaft, bei Gefahren einzuschreiten. Die Fachkraft entscheidet dabei nicht allein. Auch wenn sie sich sicher ist, dass die Praktikantin alle erforderlichen Fähigkeiten mitbringt, muss diese der Übernahme der Aufsicht ausdrücklich zustimmen. Traut sie sich das (noch) nicht zu, darf ihr die Aufsicht nicht übertragen werden.

Aber was passiert, wenn dennoch etwas schiefgeht und ein Kind sich oder andere verletzt oder etwas kaputt geht?

Auch wenn es überraschen mag: Wer nachweisen kann, nach vernünftigen Maßstäben gehandelt zu haben, und es trotzdem zu einem Unfall gekommen ist, hat seine Aufsichtspflicht nicht verletzt.

Die Fragen stellte Bernadette Weis.

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