Borderline - ein Leben im ständigen emotionalen Chaos

Menschen, die an der Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) erkrankt sind, erleben die Welt fünffach intensiver als andere. Allein in Deutschland sind es 1,6 Mio. Vor allem junge Menschen sind häufig betroffen.

Borderline - ein Leben im ständigen emotionalen Chaos
Betroffene befinden sich ein einem ständigen emotionalen Chaos.© Pixabay

Wieso eigentlich "Borderline"?

Selbstverletzung, Suchtmittelmissbrauch, Essstörungen, sprunghaftes Verhalten, die Suche nach Erfahrungen auf der Überholspur bis hin zu Suizid – all dies sind Symptome einer Erkrankung, die ihren Namen der schwierigen Einordnung in ein System verdankt. Da die Borderline-Persönlichkeitsstörung sowohl neurotische als auch psychotische Symptome aufweist, entschied man sich für den englischen Begriff Borderline, also Grenzlinie, auf der sich die Patienten bewegen. Heute zählt das Leiden zu den Persönlichkeitsstörungen und wird definiert als emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline Typ.

Typische Merkmale der Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS)

Menschen mit Borderline können ihre Gefühle nicht regulieren und befinden sich im ständigen innerlichen Chaos. Dadurch stehen sie permanent unter einem inneren Druck, den sie nur loswerden können, indem sie bewusst extreme Situationen schaffen, die sie selbst kontrollieren können: sie ritzen sich, fügen sich Verbrennungen zu oder bringen sich in gefährliche Situationen. Da die dadurch entstehende Entlastung nur kurz anhält, müssen immer stärkere Reize geschaffen werden (negative Verstärkung). Von Außenstehenden werden sie oft als "Drama Queen" wahrgenommen, als Personen, die ständig im Mittelpunkt stehen müssen und ohne Chaos nicht leben können.

Zusätzlich leiden Borderline-Patienten unter intensiven negativen Emotionen wie Schuld, Scham, Ohnmacht und Selbstverachtung. Diese wirken sich wiederum extrem auf ihre zwischenmenschlichen Beziehungen aus, sowohl privat als auch im beruflichen Umfeld. Paarbeziehungen leiden besonders unter einer stark ausgeprägten Verlustangst, die existenzielle Ausmaße annehmen kann.

Die Ursache für eine Borderline-Persönlichkeitsstörung liegt meist in der Kindheit und frühen Jugend: traumatische Erlebnisse wie sexueller Missbrauch, körperliche Gewalt oder emotionale Vernachlässigung sind in sehr hohem Maße Auslöser der Erkrankung. Außerdem spielen genetische und neurobiologische Dispositionen eine Rolle, die wissenschaftlich aber noch nicht abschließend erforscht sind.

Die Diagnose der BPS ist schwierig, da sie häufig mit weiteren psychischen Erkrankungen wie Depression oder Angststörungen einhergeht. Laut DSM-IV (Diagnostisches und Statistisches Manual psychischer Störungen) müssen fünf der folgenden Kriterien erfüllt sein, damit eine Borderline-Störung vorliegt:

  1. Verzweifeltes Bemühen Alleinsein/Verlassenwerden zu verhindern (sowohl reales als auch imaginäres)
  2. Ein Muster von instabilen und intensiven zwischenmenschlichen Beziehungen (Verehrung – Abwertung)
  3. Eine starke Instabilität des Selbstbildes und Selbstwertes
  4. Impulsivität in mindestens zwei potentiell selbstbeschädigenden Bereichen (z.B. Sex, Substanzmissbrauch, Fressattacken, Geldausgeben)
  5. Wiederkehrende Suiziddrohungen, -andeutungen oder -versuche; selbstschädigendes Verhalten
  6. Starke Stimmungsschwankungen, die sich schnell verändern (starke episodische Niedergeschlagenheit, Reizbarkeit oder Angst)
  7. Ständiges Gefühl von Leere
  8. Unangemessen starke Wut oder Schwierigkeiten, Wut oder Ärger zu kontrollieren (z.B. häufige Wutausbrüche, andauernder Ärger, wiederholte körperliche Auseinandersetzungen)
  9. Vorübergehende stressabhängige paranoide Vorstellungen oder schwere dissoziative Symptome

Donata Müller, die als Ärztin in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie arbeitet, stellt in "Die eigene Mitte wiederfinden" fest: "Ob die Borderline-Erkrankung ein typisches Phänomen unserer Gesellschaft ist, so wie jede Zeit ihre eigenen Störungen (bzw. die Wahrnehmung oder 'Konstruktion' bestimmter Störungen) haben mag, […] darüber streiten manche Experten. Sicher ist jedoch, dass dieses Störungsbild immer häufiger im psychiatrischen Alltag und in psychotherapeutischen Praxen zu finden ist. Es stellt sowohl die Betroffenen, als auch die Angehörigen vor große soziale und persönliche Probleme, und auch die zuständigen Ärzte, Therapeuten und Betreuer werden nicht selten an ihre Grenzen gebracht."

Gute psychotherapeutische Behandlungsmöglichkeiten

Die Aussichten auf eine Heilung, aber zumindest auf eine erhebliche Verbesserung, sind bei BPS gut. Sie kann mit speziellen Formen der Verhaltenstherapie behandelt werden, wobei sich die dialektisch-behaviorale Therapie (DBT) und spezielle psychodynamische Therapien wie die Übertragungsfokussierte Psychotherapie (TFP) als besonders wirksam erwiesen haben. Weitere Therapiemöglichkeiten sind:

  • Schematherapie/schemafokussierte Therapie (SFT)
  • mentalisierungsbasierte Therapie (MBT)
  • klärungsorientierte Psychotherapie (KoP)
  • medikamentöse Therapie

Die Bedeutung der dialektisch-behavioralen Therapie (DBT) bei der Behandlung von BPS In ihrem Buch "Stärker als Borderline" beschreibt Debbie Corso, wie sie mithilfe der dialektisch-behavioralen Therapie (DBT) gelernt hat, mit ihrer Erkrankung zu leben: "Meine Gefühle waren derart heftig, dass ich von ihnen überwältigt wurde. Üblicherweise fühlte ich mich emotional dysreguliert und unfähig, mit normalem Stress oder mittelschweren bis schweren Belastungen klarzukommen. Heute kann ich meine Emotionen wahrnehmen, ohne dass sie mich aus der Bahn werfen oder zerstören. Das Ziel ist nicht, nicht zu fühlen. Das Ziel ist es, zu fühlen, zu funktionieren und sich dabei wohlzufühlen." Im Rahmen der Therapie werden den Patienten Skills (Fertigkeiten) vermittelt, um ihre Gefühle selbst steuern zu können, bevor sie außer Kontrolle geraten. Das Fertigkeitstraining beinhaltet vier Module:

  • Dem eigenen Leben bewusst mehr Beachtung schenken
  • Effektive Bewältigung von Stress
  • Regulierung von Emotionen
  • Training der sozialen Interaktion

Mit diesen Skills an der Hand, die auf den ersten Blick einfach umsetzbar erscheinen, aber ausdauerndes Training erfordern, hat Debbie Corso einen Weg gefunden, mit ihren starken Gefühlen umzugehen: "Ich habe mich immer als emotional sensiblen Menschen gesehen und glaube nicht, dass sich das jemals ändern wird. Das will ich auch gar nicht. Meine Gefühle erlebe ich intensiv und empfinde tiefes Mitgefühl. In richtige Bahnen gelenkt, hat beides kreative Unternehmungen und Projekte möglich gemacht, die eine befreiende Selbstentfaltung bewirkt und anderen geholfen haben. Ich bekenne mich zu meiner emotionalen Empfindsamkeit und möchte auch euch dazu ermutigen."

Übertragungsfokussierte Psychotherapie nach Otto Kernberg

Die übertragungsfokussierte Psychotherapie – übersetzt aus dem englischen „Transference-Focused-Psychotherapy“ (TFP) – ist eine spezielle Form der psychodynamischen Psychotherapie. Erstmals beschrieben wurde die TFP Ende der 1990er Jahre von John F. Clarkin, Frank E. Yeomans und Otto F. Kernberg.

Die TFP basiert auf den Theorien der Psychoanalyse und bezieht sich im Speziellen auf die Objektbeziehungstheorie und die Ich-Psychologie. Nach diesem Ansatz können sich gestörte Objektbeziehungen aus der Kindheit in der Übertragung auf den Psychotherapeuten abbilden. Im Gegensatz zur klassischen Psychoanalyse, in der sich der Therapeut auf eine Übertragungsbeziehung einlässt, arbeitet die TFP eher mit der Analyse der Übertragung, die im Hier und Jetzt auftritt.

Nach dem von Otto Kernberg entwickelten Konzept ist eine Verbesserung im Bereich der Objektbeziehungen möglich, wenn eine Therapieform sich auf die Durcharbeitung der Übertragung konzentriert. Kernberg selbst sagt in dem von Manfred Lütz bei Herder erschienenen Buch „Was hilft Psychotherapie, Herr Kernberg?“ dazu: „Statistisch besteht bei ungefähr zwei Dritteln der Patienten am Ende der Therapie keine Borderline-Störung mehr.“

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