Für Frauenfreundschaft gab es noch vor zweihundert Jahren gar keine Räume. Frauen konnten sich nicht ohne Aufsicht mit anderen Frauen treffen oder unterhalten, alles fand unter familiärer Kontrolle statt. Allenfalls in Damenstiften oder Klöstern war dies möglich. So entstand in diesen Klöstern auch Frauenmystik, theologisches Denken, Poesie und Literatur. Aber wirklich freie Räume der Begegnung waren die Klöster nicht. Vielleicht entstand hier oder dort Freundschaft, wir wissen wenig darüber. Insgesamt war das Leben streng geregelt. In dem Film „Katharina Luther“ aus dem Jahr 2017 wird das sehr gut deutlich. Das Kloster war für Frauen kein entspannter Ort. Der Vater bringt das kleine Mädchen dorthin, weil er sie entweder nicht ernähren oder nicht erziehen kann. Sie leidet unter der mangelnden Liebe, ihre Welt der Freiheit zerbricht.
Weniger privilegierte Frauen hatten schon gar keinen Raum und keine Zeit zu irgendwelchem Austausch. Frauenleben war hart, von Hausarbeit, Schwangerschaft, Kindererziehung und sozialer Kontrolle geprägt. Wann hatten Frauen Zeit und auch Orte, um ungestört miteinander zu sprechen, einander Briefe zu schreiben? Einfach Zeit miteinander verbringen statt zu arbeiten – das muss eine Frau sich erst einmal leisten können.
Ich erinnere mich aber selbst auch noch, dass es eine Zeit gab, in der es weniger wert schien, „nur“ mit Frauen zusammen zu sein. „Wofür hast du dich denn geschminkt“, fragte mich einmal ein Mann, „ihr trefft euch doch nur unter Frauen?“ Als wäre es das nicht wert, sich für so eine Begegnung schön zu machen! Als würden sich Frauen nur schön anziehen, wenn sie einen Mann treffen, und alles andere sei „Mädchenzeug“, also weniger wichtig. Das hat sich ganz offensichtlich deutlich geändert. Für meine Generation, aber ganz gewiss auch für die meiner Töchter. Schön ist das, finde ich. Frauenfreundschaft hat eine ganz eigene Wertigkeit erhalten.
Nach meiner Erfahrung lässt sich mit Frauen schneller über Gefühle, Beziehungen und damit einhergehend Ängste sprechen. Oft kommt sehr Persönliches zur Sprache: die Erziehung der Kinder, Krankheiten, aber auch Menstruation und Klimakterium. Wahrscheinlich liegt das daran, dass diese Themen das Leben von Frauen tief beeinflussen und prägen.
Bei Männern geht es zuerst oft um den Austausch zu aktuellen Ereignissen in Politik, Sport und gesellschaftlichem Miteinander; gemeinsame Hobbys oder Reiseerfahrungen. Und es braucht lange Zeit und großes Vertrauen, bis es in Gesprächen zu persönlichen Fragen und Sorgen kommt.
Freundschaft zwischen Männern und Frauen kann kompliziert werden, wenn nicht glasklar ist, dass eine Paarbeziehung zwischen ihnen ausgeschlossen ist. Was junge Leute als „Freundschaft plus“ bezeichnen, also Freundschaft, in der es ab und zu auch Sexualität gibt, kann ich mir nicht vorstellen. Freundschaft und Paarbeziehung sind für mich zwei völlig unterschiedliche Konstellationen.
Eine Therapeutin sagte mir einmal, die meisten Menschen würden von einer Paarbeziehung einfach viel zu viel erwarten. Alles soll sie leisten, und alles gleichzeitig: vertraute Nähe und genügend Freiräume für beide, Aufgeschlossenheit gegenüber Neuem und gemeinsame Hobbys, Toleranz und Verlässlichkeit, Zärtlichkeit und sexuelle Befriedigung, ein sichtbares Bemühen um den gemeinsamen Haushalt, Großzügigkeit und Sparsamkeit, liebevolle Erziehung der Kinder und Zeit für Zweisamkeit, ein stets offenes Ohr für die Bedürfnisse des anderen. Das alles auf die Reihe zu bekommen, ist natürlich schlicht unrealistisch. An der einen oder anderen Stelle wird es Abstriche geben müssen. Aber weil die Ideale derart hoch sind, ist eine Beziehung oft überfordert. Deshalb tut es gut, manche Bedürfnisse in Freundschaften „auszulagern“.
Das klingt für mich sehr plausibel! Du brauchst neben der Paarbeziehung unbedingt auch Freundinnen und Freunde zum Reden, um anderes zu erleben. Es ist ja auch entspannend, wenn jemand sagt: „Ich gehe heute mit meiner Freundin ins Kino oder ins Restaurant.“ Das stellt die Paarbeziehung nicht in Frage, sondern ist einfach gut. Wenn zwei ständig aufeinanderhocken, kann das durchaus auch als Enge empfunden werden. Dann ist ein wenig Distanz hilfreich. Insofern ergänzen sich Freundschaft und Paarbeziehung. Sie sind erst einmal gar keine Konkurrenz.
Freundschaft mit homosexuellen Männern habe ich als besonders entspannt empfunden. Da ist die Frage der Sexualität von vornherein geklärt. Nach meiner Erfahrung können schwule Männer auch viel besser über Beziehungen sprechen, sie sind sprachgewandter in Gefühlsfragen als heterosexuelle Männer. Das liegt sicher daran, dass sie sich mit ihrer Sexualität intensiv auseinandergesetzt haben, bevor ihnen selbst ganz klar war, dass sie homosexuell lieben. Zudem: Sexuelle Gewalt, Übergriffigkeit und Diskriminierung erfahren Frauen von heterosexuellen Männern, nicht von homosexuellen.
Freundschaft braucht Vertrauen und das muss Zeit haben, zu wachsen. Deshalb entstehen gute Freundschaften meist erst über Jahre hinweg.