Wenn nur höchste Ansprüche zählen
Perfektionisten streben danach, geliebt, geschätzt und anerkannt zu werden. Genau das wird ihnen aber vorenthalten, wenn sie zu hohe Ansprüche an sich und ihre Mitmenschen stellen. Sie sollten sich und anderen Fehler erlauben.
„Wer sein Selbstwertgefühl mit dem Anspruch auf perfekte Leistung verknüpft, wird kaum einmal wirklich zufrieden mit sich sein und sich gut fühlen“, betont Herder-Autorin Sigrid Engelbrecht immer wieder in ihren Seminaren. Er wird abhängig von Lob und Tadel von anderen. Und wer zu Perfektionismus neigt, stellt meistens auch sehr hohe Ansprüche an seine Mitmenschen – und steckt damit in einer doppelten Falle.
Sind Sie ein Perfektionist?
Haben Sie Tendenzen zu Perfektionismus? Anzeichen dafür sind:
- Sie finden keine Ruhe und checken alles zwei Mal
- Sie werden ungeduldig oder wütend, wenn etwas nicht so läuft, wie Sie es sich ausgemalt haben
- Sie können schlecht Verantwortung abgegeben, denn dann würden Sie das Risiko eingehen, etwas könnte Ihren Erwartungen nicht entsprechen
- Sie können schlecht Prioritäten setzen, alles, was Sie tun, ist gleich wichtig
- Sie schlafen schlecht, weil Sie auch noch im Bett über das Tagesgeschehen grübeln
- Hundert Prozent ist gerade mal gut genug, achtzig Prozent können Sie nicht akzeptieren.
Wenn Sie sich in diesen Punkten wiedererkennen, wird es Ihrem Chef, falls er um Ihren Hunger nach Lob und Anerkennung weiß, ein Leichtes sein, immer noch mehr aus Ihnen herauszuholen. Indem er statt der erhofften Wertschätzung Kritik übt, bringt er Sie mühelos dazu, sich noch mehr einzusetzen. Ebenso werden Sie sich wohl lieber auf die Zunge beißen, wenn Ihr Partner Ihnen versichert, wie großartig er es findet, dass Sie trotz Ihres anstrengenden Jobs den Haushalt so prima stemmen, anstatt ihn um Unterstützung zu bitten.
Andererseits müssen sich alle Ihre Mitmenschen gewaltig ins Zeug legen, um es Ihnen recht zu machen. Wer aber anderen ständig das Gefühl gibt, nicht gut genug oder nicht schnell genug zu sein, verbreitet Ärger, Stress und Hektik und macht sich zusehends unbeliebt.
Warum Perfektionismus paradox ist
Als Perfektionist streben Sie mit Ihrer Leistungsbereitschaft danach, geliebt, geschätzt und anerkannt zu werden. Aber überzogene Ansprüche an uns selber führen leicht dazu, dass wir uns übernehmen. Hinter Perfektionismus stecken oft große Versagensängste, die Angst vor Ablehnung und Befürchtungen, den Ansprüchen anderer nicht zu genügen.
Kollegen und Familienmitglieder spüren Ihre allzu kritische Haltung selbst dann, wenn Sie gar nichts Negatives äußern. Ihre Mimik und Gestik sprechen Bände. So werden Sie vielleicht bewundert, weil Sie so tüchtig sind, aber so richtig warm wird keiner mit Ihnen.
Perfektionismus: Nichts für das berufliche Weiterkommen
Perfektion macht einsam – und sichert übrigens auch keineswegs das berufliche Weiterkommen. Aktuellen Untersuchungen zufolge finden Vorgesetzte eine hohe Leistungsbereitschaft zwar löblich, befördern meist aber nicht die Fleißigen, sondern eher diejenigen, die das Große und Ganze im Auge behalten, konsequent ergebnisorientiert arbeiten, sich gut darstellen und gut mit anderen umgehen können.
Perfektionismus ablegen: Sich Fehler zugestehen
Wenn Sie also ein Stück weit loslassen und sich selbst den einen oder anderen Patzer zugestehen, tun Sie sich und anderen etwas Gutes. Sie befreien sich aus der doppelten Falle: Die innere Anspannung lässt nach. Sie werden gelassener und können dann auch mehr Toleranz im Umgang mit Fehlern und Schwächen anderer zeigen. Die Menschen, an denen Ihnen liegt, sind lieber mit Ihnen zusammen, da sie sich nicht mehr so stark bewertet und eingeordnet fühlen.
Vielleicht erinnern Sie sich beim nächsten Mal, wenn Ihr Vorgesetzter Sie wegen eines Details kritisiert, an diesen Artikel. Vielleicht gelingt es Ihnen, die Kritik allein auf die Sache zu beziehen und nicht auf Ihre Person. Dann können Sie den Tag trotz der Kritik genießen und Sie sind auf einem sehr guten Weg – für sich und andere.