Viele Mütter befürchten, nach der Hochzeit ihres Sohnes die stets wichtige Rolle in dessen Leben zu verlieren. Nun gibt es eine Ehefrau an der Seite ihres Sohnes – und die Mutter fühlt sich zurückgestoßen und vernachlässigt, obwohl sie doch immer eine gute Beziehung zu ihrem Sohn hatte und über alles reden konnte. Seit es die Schwiegertochter gibt, scheint die Beziehung zum Sohn in großer Gefahr.
Paarberater und Familientherapeut Martin Koschorke weiß, was es mit diesen Ängsten und Sorgen einer Mutter auf sich hat und erklärt, wie die neue Situation zu meistern ist.
Die Beziehung verändert sich – der Sohn bleibt derselbe
Im Herzen vieler Mütter überwiegen häufig Kummer und Trauer, wenn der Sohn seine eigene Familie gründet und sich von der Mutter distanziert. Doch der Sohn bleibt derselbe. Nichts von dem, was sich in den Gesprächen und der guten Beziehung zwischen Sohn und Mutter entwickelt hat, ist verloren – es ist bei ihm abgespeichert. Der Sohn praktiziert jetzt, was seine Mutter ihm liebevoll beigebracht hat: eigenständig seinen Weg zu gehen und das zu tun, was in seinem Leben für ihn jetzt dran ist.
Zugegeben: Das ist für beide, für Mutter und Sohn, vorübergehend nicht ganz einfach. Beiden tut es erst einmal weh, denn ihre Beziehung zueinander verändert sich. Sie passt sich einer neuen Lebenssituation an. Sie wächst und wird dadurch erwachsener. Die Natur würde sagen: Du als Mutter, ihr als Eltern habt die Aufgabe, die ich euch übertragen habe, erfolgreich gelöst. Bravo!
Loslassen lernen
Bleiben der Schmerz und die Frage über die neue Rolle. Nach so vielen Jahren intensiver Beziehung ist Loslassen erst einmal mit Schmerzen verbunden. Mütter haben viel investiert: Das ging schon in der Schwangerschaft los, als der Sohn im Leib heranwuchs. Es folgten die Schmerzen der Geburt, nächtliches Schreien und durchwachte Nächte, Kinderkrankheiten und vieles andere mehr. Viele Mütter stecken auch beruflich zurück, um sich der Erziehung ihres Sprösslings voll und ganz zu widmen. Soll es für all das, was sie in ihren Sohn investiert haben, keine Belohnung geben – etwa in Form einer liebevollen Beziehung zum erwachsenen Sohn und seiner Familie?
Der Meisterbrief in Elternschaft besteht darin, den Kindern die Unterstützung nicht zu entziehen und weiter innerlich zu ihnen zu stehen – auch wenn sie Wege gehen, denen die Eltern nicht folgen können. Zu akzeptieren, dass die Kinder sich (vorübergehend) von ihnen entfernen. Eine Jahrtausende alte Weisheit besagt: „Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen und an seiner Frau hängen.“
Neue Beziehungspriorität des Sohnes
Der Sohn hat sich nun in einer neuen Beziehung zu bewähren und anzuwenden, was er von seinen Eltern gelernt und erfahren hat. Die wichtigste Beziehung ist für ihn jetzt die zu seiner Frau und zu seinem Kind. Für ihn besteht eine neue Beziehungspriorität. Soll sich seine eigene Familie gut entwickeln, so muss er sich von seiner Herkunftsfamilie erst einmal ein Stück lösen. Was nicht heißt, dass er sie vergisst oder nicht mehr liebt.
Schon in der Kindheit braucht ein Kind zunehmend Abstand zu seinen Eltern. Das gibt dem Kind die Möglichkeit zu wachsen, seine eigene Persönlichkeit zu entwickeln, herauszufinden, welchen Lebensweg es einmal gehen möchte. Dass der Sohn sich – zusammen mit seiner Frau – jetzt erst einmal in seiner neuen Familie engagiert, ist ganz normal. Seine Mutter kann ihn dabei unterstützen: Indem sie seine Entscheidung gutheißt, indem sie das Engagement ihres Sohnes für sein eigenes Kind als Belohnung für die Mühen empfindet, die sie sich mit ihm gegeben hat. Indem sie – aus einem gewissen Abstand heraus – das Leben der jungen Familie mit wohlwollenden Gefühlen begleiten.
Konflikte vermeiden und lösen
Je enger eine Bindung war, desto stärker, notwendiger – und schmerzlicher – ist meist die Ablösung. Doch es gibt auch Zukunftsperspektiven: Je sicherer sich der Sohn und seine Frau sein können, dass die Mutter das Leben der neuen Familie mit Wohlwollen und liebevollem Respekt betrachten, desto entspannter kann diese sich entwickeln. Je deutlicher die jungen Eltern von der Mutter spüren, desto größer ist die Chance, dass sich die Kontakte in Zukunft locker und entspannt entfalten können: „Ich werde mich bei euch nicht einmischen, ich werde euch nicht mit meiner Sehnsucht nach meinem Enkel bedrängen, ich achte den Schutzmantel, den ihr in dieser ersten, sehr arbeitsintensiven Phase um eure Familie legt.“
Auf diese Weise können Mütter die gute Beziehung, die Sie zu ihrem Sohn haben, fortsetzen: Sie teilen ihm mit: „Ich habe Vertrauen in dich, ich habe Vertrauen in dich und in die Partnerin, die du dir ausgesucht hast.“ Zudem wäre es ein Liebesbeweis für den Enkel.
Welche Konstellation ist problematisch?
Viele Paare brauchen die Schwiegereltern zum Kinderhüten oder wegen eines Kredits beim Hausbau. Das schafft Verpflichtungen. Für den Konfliktfall nennt Therapeut Martin Koschorke drei Grundprinzipien, die die Probleme zwar nicht lösen, aber zeigen, wer wofür zuständig ist.
- Sie brauchen einen Liebes- und Lebensbereich, der gegenüber anderen Familienangehörigen – und seien es die eigenen Eltern – deutlich abgegrenzt ist. Im Konfliktfall markieren und verteidigen Sie diesen Kernbereich Ihrer Beziehung deutlich.
- Sie werden Ihre Schwiegermutter in jedem Fall respektieren und achtungsvoll behandeln. Aber keiner verlangt von Ihnen, dass Sie sie ebenso lieben wie Ihren Partner selbst.
- Es ist nicht in erster Linie Aufgabe der Schwiegertochter bzw. des Schwiegersohns, Übergriffe der Schwiegereltern abzuwehren, sondern Aufgabe des Sohns beziehungsweise der Tochter.
Im Konfliktfall heißt die Frage also: Wie halte ich als Sohn oder Tochter meine eigenen Eltern im Zaum und schütze oder verteidige meine Liebsten und unsere Beziehung?
Sich neuen Lebenszielen zuwenden
Viele Mütter stehen nun – nachdem sie ihren Erziehungsauftrag erfolgreich gemeistert haben – nach der Hochzeit ihres Sohnes an der Schwelle zu einem neuen Abschnitt ihres Lebens. Wenn sie mit einem Partner leben, könnten sie sich im Blick auf ihre eigene Paarbeziehung einmal mit ihrem Partner darüber austauschen: „Was wollen wir beide aus der dritten Phase unseres Lebens, der Zeit des reifen Erwachsen-Seins, machen? Was sind meine, was sind deine Vorstellungen und Wünsche an unsere Beziehung?“
Doch unabhängig davon, ob sie zu zweit lebt oder alleine, stellt sich nach der Familienphase für die Mutter persönlich die Frage: „Welchen Sinn möchte ich meinem Leben jetzt geben? Wie kann ich die nächsten vor mir liegenden Jahre so gestalten, dass ich ausgeglichen und zufrieden, vielleicht sogar glücklich, bin?“
Wer als Mutter eine befriedigende Antwort auf diese Fragen findet, wird auch die positiven Auswirkungen auf das Verhältnis zum Sohn spüren.