Ein Jahr in Südafrika
(eBook (EPUB))
Reise in den Alltag
- Verlag Herder
- 1. Auflage 2011
- virtuell (Internetdatei)
- 192 Seiten
- ISBN: 978-3-451-33879-3
- Bestellnummer: 4338794
Als ihr Freund Max sie fragt, ob sie Lust hätte, mit ihm für ein Jahr ins Ausland zu gehen, nach Kapstadt (Südafrika), dachte Kristina eine Nacht darüber nach und entschied sich: Ja, das mache ich! Kann man ein Jahr in Südafrika planen? Davon war die Journalistin überzeugt. Obwohl sie nie dort gewesen war. Oder vielleicht gerade deshalb. Drei Monate vor der Abreise begann sie, alles Mögliche zu lesen: Reiseführer, Geschichtsbücher, Zeitungsartikel, Statistiken. Als sie fertig war, ließen sich ihre Erwartungen an die neue Heimat auf Zeit ungefähr an vier dicken Ordnern ablesen. Doch: Alles kam anders, ganz anders!Südafrikanisch für Anfänger: Lektion 1: Überleben Sie den Straßenverkehr! Die Gruselfakten zuerst, dann haben wir sie hinter uns: 900.000 Unfälle pro Jahr, 42 Verkehrstote pro Tag, Zehntausende schrottreifer und überladener Bakkies (Pick-ups), Minibusse und Citi Golfs auf verstopften Stadtstraßen und schlaglochgespickten national roads. Wie geht der Südafrikaner damit um? Er schimpft (Lektion 7). Und fährt noch radikaler. Was wiederum die Polizei freut, die sich, so das Gerücht, vor allem über die zahllosen Strafzettel finanziert, die sie wegen Tempoüberschreitung oder Trunkenheit am Steuer (die Promillegrenze liegt bei 0,5) austeilt. Doch wie reagieren Sie? Mit Gemach und Neugier. Halten Sie Respektabstand zu den Minibussen (es sei denn, Sie wollen bei 120 km/h aus der Spur geboxt werden). Rechnen Sie immer und überall mit Mensch und Getier auf der Fahrbahn. Und freuen Sie sich über all das, was Sie aus Deutschland nicht kennen: einsame Fahrten durch traumhafte Landschaften. Charmante Tankwarte. Billigen Sprit. Und Bakkie-Fahrer, die dank der fast überall vorhandenen Extra-Spur für langsame Autos stets bereitwillig Platz machen. Bedanken können Sie sich dafür mit einem kurzen Betätigen des Warnblinkers. Und, ach ja: Bleiben Sie um Himmels willen links! Sonst: siehe obenLektion 2: Leben Sie bunt! Zugegeben, gerade für Deutsche ist das gewöhnungsbedürftig, doch: Vom Thema ,,Rassen und Hautfarben" sind Südafrikaner geradezu besessen. Das kann wunderbar selbstironisch sein, etwa wenn junge Zulus oder Buren mit Darkie- oder Mlungu- (Isi-Zulu für ,,Weißer") T-Shirts herumlaufen. Manchmal ist es aber auch einfach nur anstrengend. Zumal einige besonders geltungsbedürftige Zeitgenossen den geschickt platzierten Rassismus als erfolgreiche Marketingstrategie entdeckt haben. Und so lästern weiße Schlagersänger die Verkaufszahlen ihrer Alben nach oben, indem sie öffentlich am Intellekt von Schwarzen zweifeln. Schwarze Politclowns sammeln Wählerstimmen mit dem Grölen rassistischer Kampflieder. Allzu wild darf man es dabei freilich auch nicht treiben, sonst landet man vor dem Equality Court. Südafrika gehört nämlich zu den wenigen Ländern, die eigene Gerichte für Klagen gegen Diskriminierung und Hassrede haben. Schon das zeigt, dass der aufgeklärte Teil der Bevölkerung das Geläster selbst ziemlich satthat. Altkluge Sprüche in Sachen Political Correctness sollte man als Neuzugang deshalb besser lassen. Profitieren Sie lieber von Ihrem Fremdlingsstatus: Gegenüber weißen Ausländern sind Zulus oder Xhosas nämlich oft viel herzlicher als gegenüber südafrikanischen Weißen. Und das hilft, die Grenzen zu überschreiten, die das Land trotz aller Bemühungen noch immer prägen. Vier Jahrzehnte lang wurden per Gesetz alle Menschen in Schwarze (2001: 79 Prozent), Weiße (9,6 Prozent), Mischlinge bzw. Coloureds (8,9 Prozent) und Inder (2,5 Prozent) eingeteilt. Fast ebenso lang lebte man in getrennten Wohngebieten, durfte mit anderen Hautfarben nicht mal auf derselben Bank sitzen. Südafrika war ein reicher Weißenstaat, gesprenkelt mit zehn unterentwickelten
Autorin
Kristina Maroldt, geb. 1976, absolvierte die Deutsche Journalistenschule. Von 2006 bis 2010 war sie Mitglied der »Brigitte«-Redaktion. Sie schreibt u.a. für »DIE ZEIT«, »Brigitte« und die »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung«. Von 2009 bis 2010 berichtete sie ein Jahr lang als freie Reporterin aus Südafrika.