Frühling ist nicht abgesagt.
Was für ein herrlicher Frühling! Dieses Jahr ist er besonders schön.
Blauer Himmel wölbt sich über grünende Wiesen mit strahlend gelben Osterglocken. An den Bäumen wiegen sich weiße und rosa Blüten im Wind. Und das erste Blättergrün wagt sich zaghaft aus den Knospen.
Überall regt sich Leben – nach einem ungemütlichen Winter. Er hatte uns wahrlich nicht verwöhnt. Kein schöner knackiger Wintertag mit kalter Sonne über schneebedeckten Feldern, dafür jede Menge nasskalter Tage mit Nebel oder Sturm. Wir alle haben uns auf den Frühling gefreut. Und jetzt ist er da.
Aber er findet ohne uns statt. „Stay at home!“ heißt es für uns. Und wir dürfen das fröhlich bunte Erwachen der Natur nur durch die Fensterscheibe betrachten, oder – wenn’s hochkommt – bei einem Spaziergang mit gehörigem Abstand zu anderen.
Und doch findet der Frühling statt. Ganz ohne uns. Wie als wollte er uns sagen: Das Leben kommt wieder. Auch nach langer, kalter, grauer Zeit.
Das Leben wird auch zu Euch zurückkehren. Wenn Ihr diese grauen, angsterfüllten und unsicheren Monate der Corona-Pandemie überstanden habt. Das Leben wird zurückkehren. Mit seiner Fröhlichkeit, seinen Farben, seinen Umarmungen und seinen Festen.
Ich möchte Ihnen heute Mut machen, an die Rückkehr des Lebens zu glauben, mit einer Geschichte (von Linde von Keyserlingk, in Geschichten für die Kinderseele), die mir schon vor vielen Jahren in die Hände gefallen ist und die ich von Herzen lieb gewonnen habe.
Bitte legen Sie dieses Blatt nicht beiseite – und klicken Sie diesen Lichtblick nicht weg. Lesen Sie die Geschichte. Bitte. Sie werden am Ende lächeln und sagen: „Ja, es stimmt: Das Leben wird zurückkehren!“
Die Hyazinthe
Der kleine Moritz, der vom Rohracker, ging einmal zu seiner Oma in die Stube und sah ihr eine Weile beim Bügeln zu.
„Du Oma“, sagte er schließlich. „Kann man Blumen auch begraben?“
„Eigentlich braucht’s das nicht“, sagte die Oma. „Die begraben sich selbst. Wenn die Pflanzen im Herbst verwelken, dann fallen sie runter und werden zu Humus.“
„Was ist Humus?“, fragte Moritz.
„Humus, das ist die schöne schwarze Gartenerde.“
„Wenn aber nicht Herbst ist?“, fragte Moritz weiter.
„Ha, dann ...“, sagte die Oma und wusste eigentlich nicht mehr, worum es ging. Schließlich erzählte Moritz, dass er vergessen hatte, seine Hyazinthe zu gießen.
„Und jetzt ist die Erde im Blumentopf knochentrocken und die Hyazinthe hängt runter auf den Tisch und ist mausetot.“
„Das ist schade“, sagte die Oma. „Dann solltest du sie vielleicht tatsächlich im Garten begraben.“
„Kann ich deine Keksdose nehmen, als Sarg?“ fragte Moritz.
„Auf keinen Fall!“, rief die Oma „Die verrottet nicht.“ Mit Verrotten meinte die Oma: zu Humus werden.
„Nimm ein schönes Seidenpapier. Da oben steht die Schachtel.“
Moritz wickelte seine Hyazinthe in das Papier: Blüte, Blätter, Zwiebel, Wurzeln und alles. Dann hackte er ein Loch in der Ecke des Rasens, legte das Bündel hinein und deckte alles gut zu.
„Entschuldige Hyazinthe, dass ich vergessen hab‘, dich zu gießen. Kehre jetzt heim zu deinem Hyazinthen-Clan.“ (Er hatte gehört, dass die Indianer das so machten): „Kehre heim zu deinem Hyazinthen-Clan und sage, dass es mir leid tut und dass ich es nächstes Mal besser machen werde. Hm hm hhm hhm hm ...“, summte er noch ein Hyazinthenlied hinterher. Danach fühlte er sich irgendwie besser und hatte kein schlechtes Gewissen mehr.
Im nächsten Jahr, so März oder April, geschah ein Wunder.
„Oma, Oma“, schrie Moritz aufgeregt und außer Atem. „Die Hyazinthe ist wieder gekommen. Genau an der Stelle, wo ich sie begraben hab, da steht sie.“
Er zerrte seine Oma hinaus in den Garten. Und tatsächlich: da hatte die Hyazinthe ihre langen, geraden Blätter aus dem Gras gesteckt und blühte in voller Pracht, blau und schön.
Die Oma schaute die Hyazinthe und dann ihren Enkel an, mit ihren lieben, lustigen Omaaugen.
„So ist’s recht!“, sagte sie.