Für viele ist die Adventszeit die schönste Zeit im Jahr. Straßen und Häuser sind stimmungsvoll beleuchtet. Läden und Wohnungen werden üppig dekoriert. Auch die Musik gesellt sich dazu. Meist sind es aber Weihnachtslieder, die erklingen. Advent ist für viele das vorgezogene Weihnachten, das Fest des Friedens und der Freude.
Eine ganz andere Sprache sprechen die alten Adventslieder. Ihre Texte sind ernst, ihre Melodien unterstreichen das. Sie zeigen, dass die Adventszeit eigentlich eine Zeit der Buße ist, eine Zeit der Vorbereitung auf das Weihnachtsfest. Erst dann sollen als Zeichen der Freude die vielen Lichter erstrahlen, erst dann sollen die fröhlichen Lieder angestimmt werden. Viele Menschen empfinden dies auch in unseren Tagen. Die alten Adventslieder sprechen ihnen aus der Seele. Zu drückend empfinden sie die Probleme unserer Zeit. Müsste die Energie, die aufgewendet wird, nicht ganz anders eingesetzt werden? Wie verträgt sich die angebliche Adventsstimmung mit dem Unfrieden allerorten und besonders in den Krisenregionen der Welt?
(Möglichst konkrete aktuelle Nöte und Krisen benennen.)
Die vermeintliche Idylle von Bethlehem löst diese Probleme nicht ... Viel eher möchten sie einstimmen in den Klageruf eines alten Propheten, der vor 2500 Jahren angesichts des Elends, das er im Volk Gottes wahrnimmt, schreit: „Ach dass du den Himmel zerrissest, Gott, und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen." (Jes 64,1)
2000 Jahre später hat ein Jesuitenpater, Friedrich von Spee, mit diesem Klageruf eines unserer bekanntesten Adventslieder begonnen: „O Heiland, reiß die Himmel auf, herab, herab vom Himmel lauf, reiß ab vom Himmel Tor und Tür, reiß ab, wo Schloss und Riegel für."
Lassen Sie uns dieses Lied zunächst einmal ganz singen, bevor wir die einzelnen Strophen genauer betrachten: EG 7,1-6 (Die 7. Strophe stammt nicht von Friedrich von Spee)
Drängende Imperative bestimmen das Lied. Sie sind ein Ruf nach Gott, nach einem starken Gott. In einer gottverlassenen Welt werden sie laut hinaus geschrien. Es muss etwas geschehen, etwas Gewaltiges! Von oben her muss es geschehen! Gott soll eingreifen in die Not dieser Welt und ihrer Menschen! Wer aber ist der Gott, dessen Eingreifen erwartet wird? Ein König wird erwartet, nicht das niedliche Baby in der Krippe. Ein König soll kommen, der mit starker Hand richten wird. Ein König, der als Garant für Gerechtigkeit auch Garant für Frieden sein wird. Wie aber soll er kommen? Kommt er behutsam, fast unbemerkt wie der Tau in der Nacht, ist es ein Regen, der über das Land geht, oder bricht ein Wolkenbruch herab? Die zweite Strophe lässt alle Bilder anklingen. Egal, wie er kommt, er soll als König alle Not und Ungerechtigkeit wegspülen. Von oben her. Oder doch nicht? Kommt er doch von unten? Lassen sich die Probleme möglicherweise doch nicht „von oben herab" lösen? Ist ein Machtwort doch nicht das richtige Mittel? Gerechtigkeit und Versöhnung brauchen Zeit. Sie müssen wachsen und reifen. Das geht langsam, behutsam, aber stetig. Wir sind bei der dritten Strophe angekommen mit ihren ganz anderen Bildern. Die Erde soll den Heiland hervorbringen. Wie eine Blume soll er wachsen und aufblühen. Also doch das Baby in Bethlehem?
Wie kann dieser Welt und ihren Menschen geholfen werden?
Singen wir noch einmal die Strophen 1-3.
Der Ruf nach dem Retter erklingt seit Tausenden von Jahren. Die Israeliten warteten und warten auf den Messias. Wir Christen glauben, dass er in Bethlehem geboren ist. Dass Jesus Christus der erhoffte Messias war, der als König der Gerechtigkeit und des Friedens auf diese Welt kam. Jedoch nicht stark und mächtig wie ein Wolkenbruch, sondern zart und klein wie eine Blume. Friedrich von Spee lebte zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Ganz Mitteleuropa litt unter Mord und Totschlag, Plünderung und Brandschatzung. An seinem Ende war fast ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland hinweggerafft. Viel bedrückender war für den jungen Spee jedoch der Hexenwahn, der ausgebrochen war. Spee wurde zum Sonderseelsorger für die als Hexen verurteilten Frauen. Er sollte sie auf ihrem Weg zum Scheiterhaufen begleiten und sie auf ihr grausames Sterben vorbereiten. Spee erkannte den Irrweg, den seine Kirche eingeschlagen hat. Er veröffentlichte anonym ein Buch, in dem er ihn heftig kritisiert. Mehr war einem einfachen Priester nicht möglich. Zu groß war die Macht der Mächtigen. Wirklich helfen konnte nur Gott selbst.
In den Strophen 4-6 erklingt Spees Bitte innig, beschwörend und hoffnungsvoll. „Wo bleibst du Trost der ganzen Welt? ... O Sonn, geh auf... Ach komm, führ uns mit starker Hand".
Spee stellt seine unheilvolle Gegenwart dem erwarteten Heil gegenüber: das Jammertal dem höchsten Saal, die Finsternis der Sonne, dem schönen Stern, das Elend dem Vaterland.
Auch nach 2000 Jahren Christentum gibt es diese Gegensätze. Die Erde ist nicht zum Paradies geworden. Viele leben im Jammertal, auch wenn das Jammern bei uns ein hohes Niveau hat, betrachtet man es im weltweiten Horizont. Für viele ist ihr Leben trostlos und hoffnungslos. Viele leben auf der Schattenseite, im Dunkeln.
(Evtl. weitere Konkretionen einfügen: die allein erziehende Mutter, die nicht weiß, wie sie ihrem Kind eine bessere Zukunft ermöglichen kann; die Seniorin, die einsam und allein lebt.)
Lassen Sie uns die Strophen 4-6 singen und dabei an all die Menschen denken, die sich auf der Schattenseite des Lebens nach Licht und Trost sehnen.
Friedrich von Spee dichtete sein Lied schon 1622, zunächst nicht als Adventslied. Es war das erste Lied eines Büchleins, das zum Unterricht in Katechismusschulen veröffentlicht wurde. Durch das Singen sollten sich wichtige Glaubensinhalte einprägen. Eine kurze Notiz am Anfang dieses Büchleins zeigt die Absicht, die der Dichter mit seinen Liedern verfolgt. „Wer Christus sei, lern, junger Christ. Zur Seligkeit es nötig ist. Wer Christus sei, hier fleißig such. Kurz, alles steht in diesem Buch."
Der zum Adventslied gewordene Text des Lehrers Friedrich von Spee will zu dem führen, der allein die Spannung zwischen Himmel und Erde aufheben kann. Jesus, der vom Himmel kam, auf der Erde lebte und wieder in den Himmel fuhr, kann uns helfen, die Spannung auszuhalten. Er allein ist unsere Hoffnung. Das alte Adventslied zielt auf einen neuen Advent, auf einen ewigen Advent, darauf, dass die Hoffnung in uns zu ihrem Ziel kommt. So wie es in einem geistlichen Gedicht von Arno Pötzsch heißt:
„Ach, dass der Himmel risse und du führst selbst herab und brächst die Finsternisse, die Schuld, den Tod, das Grab, all Angst und Not der Erde, die Schwermut allerwärts, und gäbst, dass Friede werde, dich selbst in jedes Herz.
Wohl bist du, Gott, gekommen seit Anbeginn der Welt, hast Wohnung dir genommen in deinem Sternenzelt, ja, gingst auf unsern Straßen und hast dich uns zu gut, du
Ewger, eingelassen in unser Fleisch und Blut.
Doch Jahr und Tag aufs Neue schreit unser Herz nach dir, braucht deine Huld und Treue und sucht dich jetzt und hier. Es hungert, Herr, die Erde stets nach der Ewigkeit. Komm, dass dein Friede werde, Herr, heut in unsre Zeit!"
Wir wollen zum Schluss die 7. Strophe singen. Sie wurde später hinzugefügt. Der Schrei nach der Befreiung aus der Not und dem Elend sollte nicht mehr das letzte Wort haben. Das Lob Gottes darf erklingen. Die Freude auf Weihnachten darf darin konkret werden, denn der Erlöser ist geboren. Er ist unsere Hoffnung.