Der Monatsspruch im Dezember 2007

Die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.
Jesaja 43,10

Auf langen Wegen gehen wird durch das Leben und bisweilen auch auf schweren und tiefen. Wir spüren es an den Knien, wie sie müde werden und sie an jeder Bewegung leiden. Wir sehen es an unseren Händen, in denen die Zeit ihre Spuren zurückgelassen hat. Wir merken es an den Verletzungen, die unsere Seele mit sich trägt. Nichts wird abgetragen, Neues stapelt sich, legt sich auf das Alte. Es sind die Lasten ungelöster Probleme, es sind die Mühen des Alltags. Die Ruhepausen, die uns vergönnt sind, werden immer kleiner und seltener. Und wenn wir uns ausruhen, dann merken wir erst recht, wie müde und erschöpft wir sind. Davor scheuen wir uns vielleicht noch mehr als vor dem Weg, den wir gehen, zu gehen haben, gehen müssen, gehen werden.
Ich will nicht nur auf meinen Weg schauen, will auch andere Wege mitgehen, will mich anderen zugesellen, gehe mit ihnen durch das Dunkel dieser Nacht, die manchen im Rückblick als die Nacht der Nächte erscheinen wird. Ich höre ihren schweren Gang. Sie sind müde von der schweren Arbeit, die sie Tag für Tag zu leisten haben. Sie leben weit draußen, sie leben von ihrer Hände Arbeit. Mit ihren Herden ziehen sie über das Land, sie kennen jeden Schritt auf diesem kargen, zerklüfteten Boden. Und sie kennen die Gefahren, sie müssen auch an steilen Abhängen vorbei. So manches Schaf ist da schon abgestürzt. Und sie wissen auch, was das heißt. Entschuldigungen zählen nicht, sie werden zur Rede gestellt, aber sie haben zu schweigen. Das Urteil ist längst über sie gefällt worden. Und wenn ein Schaf von den Wölfen gerissen wird, dann bleibt von ihm noch weniger als ein totes Tier, dann bleibt weder Fleisch noch Fell. Dann fällt das Urteil noch härter aus. Als wenn ihr Leben nicht auch so schon schwer genug wäre.
Ihnen folge ich durch das Dunkel, achte auf jeden Schritt. Ich höre ihrem Schweigen zu, das mehr über sie verrät als jedes Wort. Sie sind abgestumpft. Abgestumpft ist ihr Leben, ihre Gegenwart wie ihre Zukunft, abgestumpft ist ihre Hoffnung. Hoffen? Worauf sollten sie hoffen? Mag sein, dass sie einmal ein Prophetenwort aufgeschnappt haben. Aber es waren nicht ihre Verheißungen, diese Worte gehörten den Reichen, in ihren Häusern sprach man davon. Hier draußen auf den Feldern, da hörte man nur den Wind und das Blöken der Schafe, hier war das Schweigen zuhause.
Und doch muss es in ihnen eine letzte Spur der Hoffnung gegeben haben, einen Schatten jenes Lichtes, das irgendwo in der Ferne aufgegangen sein muss. Was sie erwartet haben? Sie werden es kaum gewusst haben, ihre Hoffnung kannte nur wenige Worte. Aber das eine Wort, das verstanden sie auf Anhieb. Und es ging ein Lächeln über ihr Gesicht, als sie es sahen. Ein Kind, ein kleines unschuldiges Kind! Ein Kind mit all seinen Möglichkeiten. Dieses Kind, von dem gesagt wird, dass es Gottes Wort an die Welt ist; von dem behauptet wird, dass in ihm Gott zu den Menschen gekommen ist. Ein Kind, das hier draußen zur Welt gekommen ist und doch Gott ist. Ein Kind, das so wehrlos und schutzlos ist und das doch diese Welt verändern wird. Und vielleicht kann das nur ein Kind, das den Wind hört und das Blöken der Schafe, das um sich Männer und Frauen sieht, deren Hände und Seelen Schielen tragen und deren Knie und Herzen müde sind. Sie brauchen keine Worte, sie sehen das Kind und kommen nicht los davon. Und wie sie sehen und staunen, fällt von ihnen die Müdigkeit ab, sie sind auch nicht mehr stumpf und verzagt. Sie haben doch Gott bei sich, sie haben Gott mit sich auf dem Weg. Ja, sie müssen wieder zurück. Ob sie ihren Weg noch schweigend gehen? Vielleicht auch nicht, vielleicht sogar nie mehr. Ich höre, wie ihr Schritt fester geworden ist, sie haben ein Ziel, wohl zum ersten Mal in ihrem Leben.
Auch ich kehre zurück von diesem langen Weg, aber ich nehme etwas mit, etwas Licht, etwas von dieser Hoffnung für die Welt und für mich. Für einen Moment scheint auch bei mir die Müdigkeit gewichen sein. Täusche ich mich? Ich gehe nicht ohne Wort, nicht ohne Zusage durch die Zeit, auch durch diesen Monat nicht. Er hat sein eigenes Wort, er hat seine Verheißung für mich: Die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden. (Jesaja 43,10)

Anzeige:  Herzschlag. Etty Hillesum – Eine Begegnung. Von Heiner Wilmer

Die Pastoralblätter im Abo

Gottesdienste komplett und fundiert vorbereiten.

Zum Kennenlernen: 2 Ausgaben gratis

Jetzt testen