Gerecht gemacht aus Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn.
Römer 5,1
Keine Predigt muss publiziert werden; und jene, die Sie eben zu lesen anheben, schon gar nicht. Eine Predigt indes hätte man gerne überliefert gefunden: eine Predigt des Apostels Paulus zur Rechtfertigung. Wie predigt der diesen Glaubensgedanken? Wie kann ich dies folglich tun? Wie können wir Rechtfertigung glauben?
Gegen den Gottesdenker aus Tarsus wird der Vorwurf erhoben, mit der Rechtfertigungslehre ein anämisches Dogma in die Welt gesetzt zu haben. Um Paulus für unsere rechtfertigungsvergessene Zeit zu retten, wird von Paulus-Forschern behauptet, der denke gar nicht in Strukturen reformatorischer Theologie. Ist die Rechtfertigungslehre also nur mehr ein Kuriosum in der Asservatenkammer der Theologiegeschichte, denkwürdig zwar, aber nicht glaubwürdig? Als Prediger könnte man argwöhnen, dass Rechtfertigung gar nicht zu predigen ist. Hinzu tritt die schmerzliche Erfahrung des Theologen: Kaum ein Gemeindeglied schert sich um die Rechtfertigungslehre. Man möchte mit dem apostolischen Rohrspatz von Gal 3,1 fragen: „Seid ihr verrückt? Ihr Knalltüten! Wer hat euch verhext?"
Was also sollen wir dazu sagen? Und wie? Ich möchte Paulus nachsprechen, seinen Gesprächsfaden aufnehmen. Der Apostel kennt keine Scheu vor Schwergewichtsworten: Vom „Frieden" redet er und vom „Glauben", von „gerecht", vom „Herrn". Paulus kann sich derlei Worte leisten, weil er sie zu verflüssigen weiß - in gedanklichem Durchdringen und Fortschreiben zunächst (V. 2-11), dann in biblischem Querdenken (V. 12-21). So möchte ich von Adam erzählen, dass ich und du darin vorkommen; und Christus auch nicht unter diesem Wert verplempern.
Um zu verstehen, was „Frieden haben mit Gott" meint, lesen wir die Megawörter ineinander: Wie hängt „Frieden mit Gott haben" mit „gerecht gemacht" zusammen? Wie geschieht „durch Jesus Christus, unseren Herrn"? Da gerät uns dieser Gedankensplitter „Herr" ins Auge, wir spüren, wie er sticht. Wir haben es, folgen wir Paulus, nicht mit einem wohlfeilen Gott zu tun, der - wie die Schweizer in ihrer Hymne singen - folkloristisch zu packen ist: des Eidgenossen „fromme Seele ahnt Gott im hehren Vaterland". Nach Paulus ist Gottes Rockzipfel nur zu erhaschen als der nach Jes 6,1 den Tempel füllende Saum dessen, der mich bei meiner selbstverschuldeten Verirrung behaftet und aus der Selbstverstrickung befreit. Die Wendung „durch Jesus Christus, unseren Herrn" mag auch gemeint sein als „durch unser Bekenntnis: Jesus Christus ist unser Herr". Also: Indem wir Jesus als Herrn bekennen, ereignet sich der Frieden mit Gott in unserem Leben. Weil ich da weiß, wem und wohin ich gehöre.
Wir reden umgangssprachlich reflexiv, also aktiv von Rechtfertigung: Der Mensch rechtfertigt sich. „Wer sich rechtfertigt, klagt sich an", heißt es in Martin Walsers Buch „Angstblüte" (S. 455). Wen aber Gott rechtfertigt, über den wird ein Urteil gesprochen. Nach einem Urteil lebt es sich anders, weil ein Urteil die Person des Verurteilten und dessen Tat so anspricht, dass sie unterschieden werden können. Dieses Urteil ist definitiv, es definiert, setzt Grenzen, damit es keine Verlorenheit mehr gibt. Darum steht hier bei Paulus der Glaube, das Nicht-mehr-verloren-Sein(-Können).
Der Monatsspruch ist die Überschrift des ganzen Kapitels und will eine Anmutung, eine Animation sein. Wir wollen diesen Monat nicht verstreichen lassen, ohne dieser Einladung nachgekommen und Römer 5 gelesen zu haben. Hier liegt die eingangs vermisste Paulus-Predigt nun doch vor. Ihr Schlusssatz wiederholt jenes Bekenntnis vom ersten Vers. Anfang und Ende einer Rechtfertigungspredigt ist der Ruf und Seufzer: „Jesus Christus, unser Herr!" Mit Paulus spüre ich, wie weit die Gedankenarbeit dem Bekennen und dem Singen hinterherhinkt. Mehr als des Gedankens Schwere zeigt uns(er) freies Bekennen und heiteres Singen Rechtfertigung. Ach, wie die Gottesjubler in Qumran müssten wir singen können:
Nur durch deine Güte wird der Mensch gerecht,
und durch dein großes Erbarmen wird er rein.
In deinem Glanz lässt du ihn erstrahlen.