Der Monatsspruch im Oktober 2008

Du machst fröhlich, was da lebet im Osten, wie im Westen.
Psalm 65,9

„Freude schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium, wir betreten feuertrunken, Himmlische, dein Heiligtum." Schillers Ode an die Freude lehrt, dass dieser Welt und ihren Gnaden immer noch ein Lied zu singen ist. Es bedürfte einzig eines Okulars, mit dem wir zu schauen und zu staunen lernten. Trotz alledem und alledem ist die Welt ja noch voller Gnaden, tausendfach ist die Güte, von der wir leben. Sie käme in unserer Freude und Fröhlichkeit an ihr Ziel und nicht in einer Moral.

Eine chassidische Geschichte. Ein Rabbi unterredete sich immer wieder mit einem Sünder als sei dieser ein geachteter Mann. Seinen Schülern missfiel dies. Weiß er denn nicht, mit wem er es zu tun hat? Schließlich befragten sie ihren Lehrer. Seine Antwort war, dass er natürlich wisse, mit wem er es zu tun habe. „Aber ist euch auch bekannt, wie sehr ich die Freude liebe und die Schwermut hasse. Und dieser Mann ist ein so großer Sünder - andere bereuen doch im Augenblick, nachdem sie gesündigt haben ... er aber kennt keinen Gram und kein verdrießliches Besinnen, sondern wohnt in seiner Freude wie in einem Turm. Und der Glanz seiner Freude überwältigt mein Herz."

Freude ist ein Gottesgeschenk. Sie krönt das Leben. Der Beter von Psalm 65 freut sich: „Du krönst das Jahr mit deinem Gut, und deine Fußtapfen triefen von Segen. Es triefen auch die Auen in der Steppe, und die Hügel sind erfüllt mit Jubel. Die Anger sind voller Schafe, und die Auen stehen dick mit Korn, dass man jauchzet und singet." In einer anderen Übersetzung heißt es über die Täler: „Sie jauchzen und singen sich zu." Es geht ein Lied durch alle Dinge. Die Schöpfung ist musikalisch. Wer Ohren hat zu hören, der höre. Wer hört singt mit.

Ernest Hemingway: „Freude, mein Lieber, ist die Medizin dieses Lebens! Ich freue mich, wenn ich Gutes von anderen höre, wenn irgendjemand auf unserer traurigen Erde glücklich ist, ja selbst, wenn mein Hund mit dem Schwanz wedelt und die Katzen in irgendeiner Ecke zufrieden schnurren." Oder Albert Camus: „Ich hatte meine Menschenpflicht getan und hatte einen ganzen Tag in Freude verbracht; und war mir so auch nichts Ungewöhnliches gelungen, ich hatte doch ergriffenen Herzens jenem Lebenssinne gehorcht, der uns bisweilen befiehlt, glücklich zu sein."

Es wohnt jedoch in jeder Freude auch ein tiefer Ernst. Der Psalmbeter weiß das. Bevor er noch den Segen Gottes besingt, erschauert er noch einmal vor Gottes Schrecklichkeit. Diese Strophe seines Liedes erzählt davon, dass Gott die Berge festsetzt, das Brausen des Meeres und das Toben der Völker stillt. Sie handelt von einer Majestät, vor deren Zeichen sich die Menschen entsetzen. Natur und Geschichte sind ihr unterworfen. Und darum beugt der Sänger sich in der allerersten Strophe seines Liedes unter diese Macht, inmitten seiner Freude. „Unsre Missetat drückt uns hart; du wollest unsre Sünde vergeben." Es ist, wie wenn ihn seine Freude an ein „Du sollst" gemahnte. Martin Luther würde hier wohl an das erste Gebot erinnert haben. Du sollst Gott lieben, fürchten und vertrauen. Sünde als Gottvergessenheit, als selbstverschuldete Abkehr von den geschenkten Gnaden und als Hinkehr auf die Herrlichkeit des Selbermachens. Umkehr wäre hier eine neue Achtsamkeit für die geschenkte Schönheit und die Wunderkraft der Gnaden. Wir sollen für ihre Spuren ein Okular finden und dann schauen und staunen: mein Leib, mein Geist und meine Seele, der Boden, auf dem ich stehen, der Himmel über mir, die Menschen an meiner Seite, die Pracht eines schneebedeckten Berges oder die Weite des Meeres, das Glück einer Mahlzeit, die Lust an Berührungen, Zärtlichkeit und Erotik, ein neuer Gedanke, ein gelungenes Werkstück, eine beglückende Musik, ein beeindruckender Film oder ein bewegendes Buch. Alles das ist doch auch aus der Hand des einen Ewigen, der fröhlich macht, was da lebet im Osten wie im Westen. Davon ist zu singen und sagen.

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