Ich nahm bei einem Familiengottesdienst in der kalten Jahreszeit, in der bei uns keine Rosen blühen, eine Rose mit zum Altar. Dort auf dem Altar, für alle gut sichtbar, habe ich mit dieser Rose getan, was wir oft genug mit Pflanzen, mit Tieren und der Erde, mit Menschen und ihren Geheimnissen tun. Ich habe die Rose zerlegt.
Mit guten Argumenten: Ich will hinter das Geheimnis ihres Duftes kommen. Oder ich möchte die Quelle ihrer wunderschönen Farben sehen. Wir zerlegen doch, wir zerpflücken, wir versuchen, dem Leben das letzte Geheimnis zu entlocken. Und da ich größer und stärker war als die Rose, konnte sie sich mit ihren paar Dornen nicht wehren.
Es war ganz still in der Kirche. Die Kinder sahen, wie ich die Blütenblätter abpflückte, die Blätter abriss und den Stängel brach. Es führte kein Weg mehr zurück. Es war nicht mehr möglich, aus dem „Abfall" wieder eine Rose zu machen. Ich hatte das Geheimnis der Rose gebrochen, ihr Wunder entzaubert, und keiner hatte Freude daran. Hätte sie nur größere Dornen gehabt, die Rose.
Wenn wir Menschen hinter das letzte Geheimnis der Schöpfung gekommen sind, dann ist die Erde wieder das, was sie war, bevor Gott gestaltend eingriff. Tohuwabohu. Wüst und leer.
Es scheint, als sei immer weniger heilig, bald nichts mehr. Der Grund? Vielleicht die Angst vor dem Tod? Vielleicht der Wissensdurst, vielleicht die Überzeugung, man bräuchte auf nichts mehr verzichten, könne sich alles leisten.
Gerade die Kinder waren damals doch betroffen. Zwei oder drei haben sogar geweint. Sie ließen sich auch - nicht anders einige Erwachsene - nicht so recht trösten durch die Rose vom Gärtner, die wir jedem Gottesdienstbesucher am Ausgang in die Hand drückten. Sie hatten etwas gespürt, als da der Rosen-Abfall auf dem Altar lag. Vielleicht helfen sie eines Tages mit, Ehrfurcht wieder unter die gän-gigen Tugenden aufzunehmen.
Einübung in Ehrfurcht - eine wesentliche „Fasten-Übung".