Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt.
1. Petrus 3,15
Da ist nichts Lauwarmes an diesem Vers. Keine Lauheiten und keine Halbheiten sieht er mir nach. Ein anspruchsvoller Text. Einer, der aufs Ganze geht. Stets bereit sein - wer wäre das schon? Rede und Antwort stehen - das fordert mich ganz. Über meine Hoffnung Auskunft geben - sollte doch ein Leichtes sein. Ist es das?
Ich muss an eine kleine, unseren Vers vielleicht erhellende Geschichte denken, die Dorothee Sölle noch in ihrem letzten Vortrag erzählt hat: „In einem theologischen Seminar wurde einmal nach religiösen Erfahrungen gefragt. Und es entstand ein peinliches Schweigen, als hätten wir unsere Großmütter nach ihren sexuellen Erfahrungen gefragt, so peinlich war's. Schließlich meldete sich eine junge Frau und sagte, sie würde nächste Woche was darüber sagen." In der Mitschrift des Vortrages wurde an dieser Stelle „Lachen" unter den Zuhörenden notiert.
Und sofort fallen mir eigene Begegnungen ein. Ich will von ihnen erzählen.
Eine erste Begegnung: Sie, die junge Frau aus Afrika, seit einigen Jahren hier geduldet - nie sicher, ob unsere Liebe groß genug ist, dass sie weiter bleiben darf -, sie sitzt mir gegenüber und aus ihr sprudelt alles Leid der letzten Jahre heraus: die Demütigungen durch den Ehemann, die finanzielle Not, die Sorgen um die Kinder. Ich kann körperlich die Wucht ihrer Erfahrungen spüren. Fühle mich wie eine Klagemauer aus Fleisch und Blut. Da unterbricht sie sich plötzlich, schaut mich nach längerer Zeit wieder einmal an und sagt: „You know doch Bibel. What denken Gott dabei?" Das ist eine Frage, die aufs Ganze geht. Die so Hoffnungslose möchte sich meine Hoffnung leihen, sie möchte sie probeweise anziehen wie ein noch zu großes Kleid. Sie möchte wissen, was ich glaube, hoffe - vielleicht kann es einmal ihre Hoffnung werden.
So versuche ich, von dem Gott zu erzählen, der allein deshalb Grund meiner Hoffnung ist, weil er unserem Leben auf den Grund gegangen ist. Weil er mit seinen Habenichts-Freunden selber ein paar Körner von den Feldern mitgehen lassen musste, weil sie alle Hunger hatten. Der selber erfahren hat, was es heißt, wenn einen Schläge treffen, mit Fäusten oder Worten. So sieht er aus, der Gott meiner großen Hoffnung. Von ihm will ich reden. „Ich glaube, darum rede ich" (Psalm 116,10).
Eine zweite Geschichte: In einer Schulklasse, in der ich zu Gast bin, kommt die Sprache auf die verschiedenen Religionen. Auf die Frage, wer den anderen etwas über seine Religion erzählen möchte, meldet sich Süleyman, der kleine türkische Junge. In der nächsten Stunde hat er seinen Koran dabei, einen kleinen Gebetsteppich auch. Ruhig und stolz erzählt er, den ich noch nie so viele Worte hintereinander habe machen hören, den anderen aus seinem religiösen Alltag. Wie er sich erst die Hände waschen muss, bevor er sein heiliges Buch in die Hände nimmt, wie er den Gebetsteppich vorbereitet ... Gespanntes Staunen, manch offener Mund im Klassenraum. Und am Ende die Frage: „Ja, wer möchte denn in der nächsten Woche etwas über die christliche Religion ...?" Ahnen Sie, was passierte? Kein Finger schnellt in die Luft. Nicht aus Bequemlichkeit, sondern aus schlichtem religiösem Analphabetismus. Niemand hat sie je die Geschichten der Hoffnung gelehrt. Niemand hat ihnen Schwarzbrot mitgegeben, bis jetzt. Und jetzt haben wir keine Zeit mehr, Gott zu verschweigen.
Gott ist ein Du, Gott ist Gespräch, Gott ist der große Kommunikator. Wir stammeln ihm nach, unser Hoffnungsherz humpelt hinterher (aber immerhin!), wenn wir unsere Hoffnung in Worte zu fassen versuchen.
Wes das Herz voll ist, dem geht der Mund über. Soll doch keiner denken, in unseren Herzen wären noch zu viele Freiräume ...