Der Monatsspruch im Mai 2008

Ich will nicht nur im Geist beten, sondern auch mit dem Verstand.
1. Korinther 14,15

Eigentlich ist es klar: Unterschiedliche, auch widerstreitende Kräfte bewirken allein ohne Pendant nicht viel Gutes. Verschiedene Dimensionen des Lebens gehören einfach zusammen.
Die Griechen hatten für verschiedene Aufgaben die Götter, so z. B. Dionysos und Apoll. Manche Philosophen machten daraus so etwas wie Prinzipien (vgl. Nietzsches Rede vom dionysischen und apollinischen in der „Geburt der Tragödie" von 1872), andere Denker verlagerten die widerstreitenden Kräfte in den Menschen.
Der Widerstreit zwischen elementaren Kräften, die Auseinandersetzungen der Götter mit widerstreitenden Aufgaben, die Prinzipien, die oft unterschiedlicher nicht sein können, vieles gehört zusammen.
Paulus weiß das aus anderen Quellen auch. Er wird es Menschen sagen, denen nur das eine reicht, denen das eine ausschließlich das Wahre ist. Er wird es Menschen sagen, die das andere scheinbar nicht brauchen, denen das andere weniger wert ist. Ihnen widerspricht er. Und er widerspricht zu Recht.
Er sagt „wieder einmal", dass beides zusammengehört, auch wenn es widerstreitend ist. So wie es manchmal mit Mann und Frau ist, so auch beim Beten! Auch beim Beten gehört beides zusammen, ermöglicht so erst Sinn.

Manches Paar scheint auf den ersten Blick so gar nicht zusammenzupassen: Verzückung und Vernunft tun sich schwer zusammen. Andere Paare tun sich etwas leichter, wie Geist und Gesinnung. Aber alle Paare haben ihr Zuhause ursprünglich woanders: Zunächst kommen sie von einem anderen Zuhause, und erst dann leben und wirken sie zusammen. Das ist nicht nur beim Familiegründen so, sondern auch beim Beten.

Der Atem ist beim Geist (Pneuma) zu Hause; die Absicht beim Verstand (Nous). Zusammen und als Paar, so sagt uns Paulus, verstehen es auch die anderen. Bleibt jeder für sich, tun sich die Außenstehenden schwer.

Dass einen die anderen verstehen, ist beim Beten unter anderem der Sinn. Es ist nicht der einzige Sinn, aber es soll einladen, anstiften, mitnehmen: Die anderen sollen das Gebet verstehen, vor allem, wenn wir im Gottesdienst beten, wenn wir laut beten: Wie soll da einer „Amen" zu unserem Gebet sagen (vgl. 1. Kor 14,16), wenn er nicht versteht, was der eine allein sagt. Vielleicht spricht er nicht einmal verständlich, sondern ist in seiner Verzückung ganz allein, und die Vernunft sitzt außerhalb der Kirche.

Zusammen sind sie stark, nicht allein. Allein sind sie entweder geistloses Gerede oder geistreicher Unsinn, lebensarmer Gedanke oder gedankenloses Leben, mutlose Einsicht oder blinder Mut. Aber beim Beten braucht es beides: Geist und Verstand! Beim Psalmen singen übrigens auch (vgl. 1. Kor 14,15b: „Ich will Psalmen singen mit dem Geist und ich will Psalmen singen mit dem Verstand").

Wenn wir etwas anpacken ohne Herz und Verstand, kann es nichts Gutes werden. Das ist beim Beten nicht anders als sonst im Leben.
Zu Pfingsten werden wir verführt, das eine wichtiger zu nehmen als das andere. Den Geist feiern wir, auch wenn viele nicht so genau verstehen, was wir da feiern. Es braucht unseren Verstand, um zu erklären.
Besser wäre, nicht erst den Geist zu feiern und dann zu erklären. Besser wäre, zu beten mit Geist und Verstand, sodass der Geist im Wort lebt. Besser wäre, wenn der Geist das Wort nicht als unangenehme, unpassende Hülle empfindet, sondern in ihm tobt und weht, wenn er sich richtig wohl fühlt im Wort. Dann springt auch der Geist über aus dem verständlichen Wort.
Luther dichtet in seinem Pfingstlied „Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist" (EG 126) im dritten Vers: „Zünd uns ein Licht an im Verstand, gib uns ins Herz der Liebe Inbrunst ..." Für Paul Gerhardt vereint der Geist Gottes bereits alles, was es zum Beten braucht: „Du bist ein Geist, der lehret, wie man recht beten soll ..." (vgl. EG 133,5). Heinrich Held bittet, dass zusammenkommt, was zusammengehört „Gib in unser Herz und Sinnen Weisheit, Rat, Verstand und Zucht ..." (vgl. EG 134,2), und all das singen wir zu Pfingsten.
Also lasst uns auch beten mit geistgefülltem Verstand und im verständlichen Geist Gottes.

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