Gott spricht: Ich habe dich je und je geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte.
Jeremia 31,3
Eine Liebeserklärung in der Bibel mag manchem fremd oder fehl am Platz vorkommen. So etwas Persönliches oder gar Intimes verträgt doch keine Öffentlichkeit. Und in einem heiligen Buch hat es erst recht nichts verloren. Die Menschen, zu denen der Prophet Jeremia am Übergang vom siebten zum sechsten Jahrhundert vor Christus spricht, haben es wohl anders verstanden. Ein solcher Vergleich mit den Erfahrungen ihres alltäglichen Lebens hat sie offensichtlich angesprochen. Jeremia scheut sich nicht, in diesen Erfahrungen seine Botschaft für die Menschen in Worte zu bringen. Er ist davon überzeugt, dass Gott sich den Menschen wie ein Liebhaber zuwendet und sie anspricht. Ein Liebhaber wirbt um sein Gegenüber, geht ihm nach, sucht die Nähe des Geliebten. Er zieht ihn an sich, um ihm seine Nähe zu schenken und wiederum seine Wärme zu spüren. Solche Nähe beruhigt, gibt Geborgenheit, hilft Angst überwinden und schenkt Trost. Genau so ist Gott zu den Menschen. Das haben sie verstanden.
In der Auslegung werden die Kapitel 30 und 31 des Jeremiabuches als ein selbstständiger Abschnitt angesehen, der Trostschrift oder auch, wegen seiner Eigenständigkeit, Trostbuch genannt wird. Er fällt aus dem Rahmen des Werkes heraus.
Die geschichtliche Situation verweist auf das Exil der Jerusalemer Gemeinde in Babylon. Zwei Mal, im Jahr 597 und im Jahr 586, wird eine große Gruppe von Bürgern aus Jerusalem nach Babylon deportiert. Es sind vor allem die tragenden Gruppen, Handwerker und führende Persönlichkeiten, die aus der Heimat in die Fremde verschleppt werden. Das gesellschaftliche Leben in der Stadt bricht beinahe zusammen. Nur ein kleiner Rest der Bevölkerung bleibt in der Stadt. Beide Male entgeht Jeremia der Deportation nach Babylon. Er bleibt beim Rest der Gemeinde in Jerusalem. Und während er in einer früheren Phase seines Wirkens seine Aufgabe darin sah, mit Nachdruck für den Jahweglauben einzutreten und seine Zeitgenossen bei diesem Glauben halten wollte, legt er nun den Schwerpunkt seiner Predigt darauf, seine Landsleute zu trösten.
Er spricht von einem liebevollen Gott, der sein Volk vor dem sicheren Verderben bewahrt hat. Der Grund für Gottes Handeln ist lauter Güte und Treue. Güte und Treue hat Gott seinem Volk seit langem bewahrt. Eindrucksvoll und überzeugend bringt Jeremia dies in das beschriebene Bild. Die Liebeserklärung ist wohl die stärkste Ausdrucksform für Gottes sorgende und liebende Nähe. Gott zieht das Volk zu sich, wie ein Mensch einen geliebten Menschen an sich zieht und ihm seine Nähe schenkt. Gott schenkt Geborgenheit und Trost. Und er tut dies aus lauter Güte, das bedeutet aus liebevoller Zuwendung zu den Menschen.
Wie eine Bestätigung oder Umsetzung der Trostworte folgt die Verheißung, dass Gott die Stadt wieder aufbauen wird. Wieder nutzt Jeremia die Alltagserfahrung der Menschen, wenn er seine Rede mit Bildern von einer reichen Ernte und von einem Erntedankfest anschaulich macht.
Viele Menschen sehnen sich heute nach Geborgenheit und müssen die Erfahrung machen, dass menschliche Nähe und Zuwendung allein diese Sehnsucht nicht stillen können. Beziehungen zerbrechen. Was sich einmal als Grundlage des Lebens erwiesen hat, bricht zusammen. Das Vertrauen in die eigene Kraft und in die stützende Nähe schwindet dahin. Ob ein Mensch überhaupt diesem Anspruch gerecht werden kann?
Als glaubender Mensch vertraue ich darauf, dass Gott auch uns seine Güte und Treue schenkt. Er tut dies, ohne dass wir eine Vorleistung erbringen müssen, die dann mit seiner Zuwendung belohnt würde. Er zieht auch uns an sich aus lauter Güte. Aller menschlicher Trost wird so zum Hinweis auf den größeren Trost, den mir Gott allein schenken kann.