Wirklich beten habe ich als Pfarrvikar am Bett einer Sterbenden in Mannheim gelernt, zu der mich die damals schon hochbetagte „Gemeindehelferin" schickte. Ich war ja zuständig und dazu ausgebildet.
Wirklich unterrichten habe ich gelernt, als mich Jugendliche festnagelten und nicht nachgaben auf einige gute Geschichten von Gandhi, Martin Luther King und Jesus. Sie fragten: Was hätten Sie gemacht?
Wirklich Abendmahl feiern habe ich bei einem Ehepaar in Scheidung gelernt. Beide wollten „in Frieden auseinandergehen"; und da beide gute Christen waren, wollten sie dies mit einem Pfarrer tun, zu dem sie Vertrauen hatten und dem noch einmal alles Schwere gesagt und alles Böse gebeichtet wurde.
Wirklich predigen habe ich gelernt, als die Gemeinde nur etwas mehr als zwanzig Gottesdienstbesucher zählte, der Organist nicht Orgel spielen konnte und ein Küster nicht anwesend war.
Wirklich glauben lerne ich, seit mir Jörg Zink, mein geistlicher Lehrer, gesagt hat, ich solle meinen Zweifeln nicht glauben.
Immer wieder staune ich, mit welcher Kreativität Pfarre-rinnen und Pfarrer von den Nordseeinseln bis in den Süden, von Dresden bis in die Pfalz ihre Praxis reflektieren und andere in den PASTORALBLÄTTERN teilhaben lassen an ihren Erfahrungen und Umwegen.
„Die Praxis sollte das Ergebnis des Nachdenkens sein, nicht umgekehrt", meinte Hermann Hesse. Und August Bebel, Mitbegründer der SPD, ergänzte: „Um schwimmen zu lernen, muss ich ins Wasser gehen, sonst lerne ich nichts." Ich füge hinzu: Um predigen zu lernen, musst du auf die Kanzel. Um trösten zu lernen, musst du auf eine Palliativstation. Um glauben zu lernen, musst du scheitern.
Wie wird man Christ? Diese Frage stellte man dem Kirchenvater Clemens von Alexandrien im 2. Jahrhundert. Clemens antwortete: „Ich lasse ihn ein Jahr lang in meinem Haus wohnen."