Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen.
Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben,
und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.
Jesaja 2,4
Bewegter Friede
Das Stück Stoff über meinem Schreibpult wird dreißig Jahre alt. Es ist ein Lesezeichen mit der ausgeblichenen Darstellung eines Schmiedes, der ein Schwert zu einer Pflugschar breitzuschlagen versucht. Dieses unscheinbare Bild stand am Anfang der friedlichen Revolution, die mit dem Fall der Berliner Mauer 1989 ihren Höhepunkt erreichte. Als Vorlage diente ein Monument des russischen Bildhauers Jewgeni Wutschetitsch (1908-1974). Die Sowjetunion schenkte die später berühmte Skulptur 1959 den Vereinten Nationen, um ihren Friedenswillen zu bekunden. Niemand konnte ahnen, dass dieses monströs in Bronze gegossene Bibelwort für Millionen Menschen ein Wegweiser in die Freiheit werden sollte. „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen", hatten die Propheten Jesaja (2,4) und Micha (4,3) gut 700 Jahre vor Christus ihrem vom Krieg zerquälten Volk vor Augen und ins Herz geschrieben.
Als sich im Jahre 1980 die Rüstungsspirale immer weiter zu drehen schien, beschloss der Thüringer Jugendpfarrer Harald Bretschneider, die Propheten beim Wort und die Sowjetunion beim Monument zu nehmen. In einer kirchlichen Werkstatt ließ er 120.000 Exemplare des muskulösen Russen auf Stoff drucken. Als Umschrift fügte er nur das Herzstück des Prophetenwortes bei: „Schwerter zu Pflugscharen". Denn die Sowjetunion hatte ihrem Geschenk einen anderen Sinn gegeben. Hieß es in der Bibel: „Sie (die Völker) werden die Schwerter zu Pflugscharen machen", ließen die Machthaber auf den Sockel meißeln: „Wir werden die Schwerter zu Pflugscharen machen." Der mit Bedacht gewählte Ausschnitt blieb der Bibel treu und stimmte dennoch mit der abweichenden Variante des „Großen Bruders" überein. Der bedruckte Stoff wurde als Lesezeichen in Umlauf gebracht und sollte bald für erheblichen Aufruhr sorgen. Aus starrer Ohnmacht wurde bewegter Friede.
Roter Faden
Tausende Jugendliche hatten sich das Lesezeichen des Pastors auf den Ärmel genäht. Das Zeichen wurde verboten und von den Jacken gerissen. Bald wurden die, die es trugen, verhaftet, verhört und bedroht, viele mussten ihre Schulen verlassen. Aber das Wort ließ sich nicht mehr aus der Welt schaffen. Es hinterließ Spuren. Zuerst auf den Jacken. Dort, wo das Zeichen entfernt worden war, blieb kreisrund ein Faden sichtbar. Als es keine Zeichen mehr gab, trugen viele nur noch einen roten oder weißen Faden auf dem Ärmel, aber alle wussten diese Spur zu deuten.
Heißes Eisen
Noch einmal stand mir der biblische Friedensschmied eindrücklich vor Augen, diesmal nicht aus Bronze oder Stoff, sondern als lebendiger Mensch im Fernsehen. Ich wagte meinen Augen nicht zu trauen, als ich die Bilder sah, die bald um die Welt gehen sollten. In der Lutherstadt Wittenberg setzte der Schmied Stefan Nau die prophetische Vision in die Wirklichkeit um. Er machte ein glühendes Schwert zu einer Pflugschar. Das westliche Fernsehteam stieß, nicht ohne Risiko, ein Fenster zur Welt auf. So konnte das heiße Eisen vor aller Augen geschmiedet werden. Der Pfarrer Friedrich Schorlemmer las zwischen den Hammerschlägen die Jesaja-Vision.
Wenige Jahre später nahm das Wunder seinen Lauf. Ein Prophetenwort hatte nach zweieinhalbtausend Jahren die Kraft, atomare Waffenarsenale im postchristlichen Zeitalter in Schrott zu verwandeln. Die Mittelstrecken-Raketen, die damals im zerrissenen Deutschland feindlich aufeinander gerichtet waren, wurden abgeräumt. Der Eiserne Vorhang fiel.
Vor unseren ungläubigen Augen erfüllte Gott seine Verheißung.
Er tat es nicht ohne die Kraft, den Mut und die Phantasie lebendiger Menschen.
Aber am Ende war es allein seine Handschrift, die, wie so oft, erst im Rückblick zu entziffern war.