Die Adventszeit als Zeit des „Noch-nicht-aber-beinahe-doch-schon" scheint zu verschwinden. Allerdings brennen wenigstens in kirchlichen Räumen nicht schon am 1. Advent alle vier Lichter. Da wird an vier Sonntagen immer ein Licht mehr angezündet, bis dann in diesem Jahr am 20.12. alle vier leuchten.
Die Adventszeit könnte eine Zeit der allmählichen Steigerung von spannungsreicher Vorfreude sein. Könnte?
Könnte! Die Advents und Weihnachtszeit hat wohl längst einen Beigeschmack. Es wagen sich jetzt Erinnerungen an Enttäuschungen hervor, die Furcht vor neuen Verletzungen. Vielleicht verlangt gerade etwas an unserer Advents- und Weihnachtszeit, dass sie endlich anders stattfindet als gewohnt. Vielleicht wird gerade in dieser Zeit der Ruf nach Änderung, nach Umkehr laut in uns.
Das „Kehrt um. Denn das Himmelreich ist nahe herbei-gekommen", das Johannes der Täufer einst seinen Zeitgenossen zugerufen haben soll, das kann sich - jedenfalls im ersten Teil - anhören wie für uns gemacht.
Aber stimmt das Wort „Umkehr" für uns? Hilft uns das Wort „Umkehr", also „Zurückgehen zu einem vorherigen Punkt", weiter? Eine Veränderung unseres Lebensstils mag angebracht sein, aber ob wir durch eine schlichte Umkehr an Zukunft gewinnen, scheint fraglich.
Wohin sollen wir umkehren? War denn jemals alles aus-balanciert? Wird nicht sogar in der Bibel erzählt, dass das menschliche Miteinander früh gestört war? Sollen wir etwa zu Verhältnissen zurückkehren, in denen vielleicht ökologisch noch alles im Lot war, aber der Erfolg eines Familienmitglieds bereits nicht mehr verkraftet wurde.
Kain habe seinen Bruder Abel erschlagen, weil der offenbar bei Gott besser „ankam" als er, Kain - so wird auf den ersten Seiten der Bibel erzählt. Zu solchen Verhältnissen wollen wir nicht zurückkehren. Aber gerade die Furcht vor einem gnadenlosen Kampf in der globalen Menschenfamilie, vor einem gnadenlosen Kampf um Ressourcen gehört zu den Problemen unserer Gegenwart. Die Sorge um die Zukunft mit noch mehr ungezügelter Konkurrenz macht für Aufrufe zur Umkehr vielleicht noch empfänglicher.
Aber: Wir stehen wohl längst an einem „Point of no return". Unsere „Umkehr" muss sich wohl eher in einer Kehrtwende nach vorn vollziehen. Vielleicht taugt für uns das Wort „Umkehr" nicht einmal mehr. Vielleicht müssen wir uns einem neuen Wort wie etwa „Nach-vorn-Kehr" zuwenden.
„Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen" - dieser Satz steht auch über dem Monat Dezember. Ich schlage vor, diesen Satz nicht als konkrete Zeitansage, sondern als Hinweis auf die Qualität zu verstehen, die unsere neuen Wege auszeichnen müsste.
In der Bibel, diesem Buch voller Zukunftsbilder, ist übrigens auch von radikal neuen Wegen die Rede. Da geht es auch um Wege, die es noch nie gab und die erst werden. Bei Jesaja heißt es, dass Lahme springen werden wie Hirsche und eine Straße entstehen wird, die „Weg der Heiligkeit heißen" wird (Jes 35). Dieser Weg gehöre denen, die ihn nutzen. Nicht einmal Dummköpfe könnten da in die Irre gehen, habe ich gelesen.
Der Weg des Himmelreichs ist nicht der Weg, den wir jetzt schon einschlagen können. Unsere Adventzeit ist eben die Zeit des „Noch-Nicht". Was aber erwarten wir von der Zeit, auf die die Adventszeit zuläuft? Wir erwarten wohl sowohl kleine Hoffnungsschimmer als auch nicht enden wollende Lichterketten. Die Adventzeit kann uns darauf noch immer ausrichten. Sie präsentiert keine fertigen Wege. Aber sie kann mit ihrer Orientierung Lust auf noch zu entwickelnde Wege entfachen.
„Macht hoch die Tür, die Tor macht weit" - heißt es im
ersten Lied unseres Gesangbuchs. Da heißt es auch: „Dein heil'ger Geist uns führ und leit den Weg zur ewigen Seligkeit."
Sollte sie uns gelingen, die Abkehr von alten Gewohnheiten, die Nach-vorn-Kehr, der Schritt auf den Weg, der Zukunft möglich macht - sogar für Dummköpfe - , so werden wir diesen Heiligen Geist brauchen. Auf dass wir uns nicht verbissen auf neue Wege begeben. Sondernd schmunzelnd.