Maskenball und Rollenspiel

Nun ist wieder die Zeit der Maskenbälle, Prunksitzungen - auch gelegentlich die Zeit der gereimten Predigten.
Als etwas „evangelisch karg" erzogenes Kind zog ich einmal, der unbedingt einen Wellensittich haben wollte, das Geschenk eines Vogels im Käfig der „Verkleidung" als Cowboy an Fastnacht vor. Doch dann erst - oder noch viel später - begannen die eigentlichen Maskenbälle und Rollenspiele, die vielen „Verkleidungen" eines Lebens, die viel tiefer griffen als die Fransen an Hosen, der breitrandige Hut und das Pistolenhalfter am Gürtel eines Achtjährigen.
Mir bot 1967ff die „Studentenbewegung" erstmals die Möglichkeit, in die Rolle eines Kämpfers, Veränderers und Weltverbesserers zu schlüpfen.
Dann las ich Harvey Cox' „Fest der Narren" und verstand, wie befreiend eben dieses Fest für „die da unten" war, welch wesentlichen Einfluss „Hofnarren" auf die Geschicke eines Landes hatten und dass Jesus in das Gewand eines Harlekins geschlüpft war. Ein Liebesdienst. Einer, der alles auf den Kopf stellt; der Erste zu Letzten und Letzte zu Ersten macht; und der nicht nur sein letztes Hemd, der sein ganzes brüchiges Leben gibt - für ein Lachen der Mächtigen, einen Scherz der Schergen und für die Tränen der vielen. Und seit ich „im Dienst bin" - wie oft habe ich Rollen gespielt, charmant taktiert, polternd protestiert, lächelnd Fehler übersehen, eigene Schwächen überspielt, mich verbiegen - gelegentlich auch verbeugen - müssen? Hier ein Fest, dort ein Grußwort, hier ein Betteln, dort ein kurzes Aushalten, wo mir nach Flüchten war …

Erst als das Spiel mit den Rollen in der Ehe und mit den eigenen Kindern mir so nahe rückte, dass ich mich nicht mehr „verkleiden" konnte, lernte ich sehen. Und wer sehen lernt, lernt auch neu spielen. Ein Sehender spielt anders, leichter; nicht so verklebt mit der eigenen Rolle, nicht mehr so verhaftet an eigene Positionen, nicht mehr so geklammert an die eigene Wichtigkeit. Manche nennen das mit dem alten Wort „Demut".
Ein Kollege, der ähnlich lange wie ich an der gleichen Pfarrstelle war, erzählte mir, er habe alles darangesetzt, seine Gemeinde so begleiten (- „erziehen" hat er nicht gesagt -), dass nach seiner Pensionierung bestimmte liturgische Profile und theologische Ausrichtungen garantiert weitergeführt werden. Heute sei ihm das nicht mehr wichtig. Er hatte seine Zeit, und die war gut und erfüllt. Andere nach ihm werden ihre Zeit haben und sie anders füllen. Einsicht? Müdigkeit? Oder doch Demut?
Wenn wir ab 2010 immer wieder einmal über die „pastorale Identität" Beiträge drucken, dann gehört wohl dazu auch ein pastoraltheologisches Nachdenken, eine „Theorie". Wichtiger ist mir der kreative Umgang mit der Praxis, die rechtzeitig gestellten Weichen, die Wege aus den Krisen - und der kritische Umgang mit den „Rollen", die wir spielen.

Von Kurt Marti stammt der Satz: „Gott? Das ist jener Große, Verrückte, der noch immer an Menschen glaubt."
Darf man so über Gott reden? Darf man so über Jesus reden?
Solche Fragen nach der orthodoxen Lehre klingen für mich wie die in meiner Kindheit immer wieder allen kindlichen Ernstes gestellte Frage: Darf ich mich an Fastnacht verkleiden?
Ach, was sind die paar Indianerfedern, das Harlekinkostüm oder die Prinzessinnenkrone. Sie alle sind viel echter und ehrlicher als viele der Rollen, die wir täglich spielen - und menschlicher als alle Worte, die du nur sagst, aber nicht so meinst …
Simone Weil hat einen wunderschönen Satz über Gottes Liebe gesagt: „Gott liebt, nicht wie ich liebe, sondern wie ein Smaragd grün ist. Er ist ,Ich liebe'."
Und nun ist es an uns, diese zärtliche, schmerzliche Liebe zu übersetzen.

Nach der närrischen Zeit folgt die Fastenzeit.
Vielleicht dass wir nicht erst ab Aschermittwoch fasten? Sondern schon lange vorher - jetzt - die Verkleidung ablegen und die wichtigste Rolle beherzt spielen, die Gott uns zugewiesen hat, und sei sie auch lächerlich: Menschen, die lieben, wenn andere nicht mehr lieben.
Gott lieben, die Nächsten lieben - und uns selbst.

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