Nur für eine kleine Weile habe ich dich verlassen, doch mit großem Erbarmen hole ich dich heim. (E)
Jesaja 54,7
Wut macht stark. Sie ermutigt uns, dass wir es riskieren, uns zu engagieren. Sie gibt uns die Energie zur Auflehnung, zu sagen, was zu sagen ist. Ruhig bleibend würden wir schweigen, verschweigen, Recht und Wahrheit schleifen lassen.
Wut soll allerdings nicht in Hass ausarten. Denn der ist beständig und hartnäckig. Er lässt nichts Neues mehr zu. Die Wut jedoch verraucht und wir sehen wieder klar. Denn einem wahrhaft Wütigen ist klar, dass seine Wut nichts nützt, wenn sie nicht das Terrain vorbereitet, auf dem Lösungen gesucht werden. So steht irgendetwas hinter der Wut, das bereits nach vorne weist.
Ich war wütend, aber jetzt müssen wir die Lösung finden.
Der Wegweiser hat vier Buchstaben: aber. Das große Aber hat Israel bei Gott gelernt. Israel verstand den Wegweiser als von Gott hingestellt. Einen kurzen Moment verlassen - aber - große Barmherzigkeit. Ein einziger Moment - aber - immerwährende Güte. Sein Angesicht eine Weile verborgen - aber - unendliches Erbarmen.
Eigentlich könnte Gott nach menschlichem Auge ganz anders handeln. Sein großer Triumph ist im Grunde gekommen. Die Menschen stehen in ihrer Not dort, wo sie nicht hinwollten, jedoch darauf hinsteuerten. Und sie wissen, dass sie nach Gottes Willen auch nicht dort stehen müssten. Jetzt hat es sie erwischt. Und Gott könnte zusehen, wie sie drankommen. Das tönt nach Rache, tönt nach Satisfaktion. Rache und Genugtuungsforderungen wachsen aus dem Hass, nicht aus der Wut.
Gott zählt nun offenbar nicht nach. Er misst die Dauer seiner Wut nicht an der Größe des Vergehens. Fast schwingt eine Farbe der Entschuldigung mit: Ich war ja nur einen kleinen Moment wütend. Denn es hat mich getroffen, wie ihr euch benommen habt. Ich habe das nicht cool hingenommen. Was nun aber wesentlich ist, ist eben das Aber.
Aber ich liebe euch trotz allem.
Dahinter kann nur ein einziges Motiv sichtbar werden. Nur eine einzige Kraft motiviert ehrlich und ohne Berechnung zum weiteren nun wiederum gemeinsamen Weg. Es muss die Liebe sein. Wut und Liebe sind oft genug Geschwister. Das lehrt uns die Psychologie. Das ist die eine Seite. Die andere sagt, dass die Wut vergehen muss, die Liebe aber bleiben soll. Es ist die Liebe, die darüber entscheidet, ob wir vergeben können oder in der Trennung verharren, ob wir gemeinsam nach vorne oder einsam nur auf uns selbst blicken.
Jesaja hat auf den Wegweiser verwiesen. Dieser zeigt in die Richtung, die Gottes Absicht entspricht. Denn was hier Gott den Menschen sagt, ist schließlich das, was sie zueinander sagen sollen. Wenn Gott nur einen kleinen Moment wütend ist, wenn er wieder zurückkommt und versammelt, wenn er bekräftigt, den Weg weiterzugehen, und zwar mit den Menschen, so ist dies die Anleitung, wie wir es untereinander halten sollen.
Natürlich gibt es Konflikte zwischen den Menschen. Selbstverständlich müssen Menschen sich für die Gerechtigkeit wehren. Zweifellos kostet es oft Mut, die Wahrheit zu sagen. Aber das verunmöglicht keineswegs den Boden, auf dem wir grundsätzlich gemeinsam stehen. Jesaja sagt es später in einem literarischen Bild: Natürlich kann es geschehen, dass die Hügel wanken, aber meine Gnade wird nicht von euch weichen. Wie sehr wir Menschen kategorisieren und wie verschieden sie auch sein mögen, so steht außer Frage, dass sie Menschen sind; wie wir selbst. Hat nicht selbst die Person, mit der wir am meisten Mühe bekunden, in irgendeiner Weise Menschen um sich, die sie lieben? Und selbst wenn das nicht der Fall sein sollte, so ist es Gott selber, der diesen Menschen liebt. Seine Wut dauert für alle nur ein Momentchen.
Dafür steht in dieser Zeit auch die Geburt von Jesus, der Christus genannt werden wird, weil er für alle Menschen zur Welt gekommen ist. Gleichzeitig wird er am Ende das endgültigste aller Zeichen, dass Gottes Wut höchstens eine kleine Weile dauern kann.