Der Monatsspruch im Februar 2011

Auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes.
Römer 8,21

„An einem Mittwoch wurde sie Vegetarierin", berichtet ein Freund von seiner Tochter. Alles spielte sich völlig unspektakulär ab. Sie nahm einfach kein Wurstbrot mit zur Schule. Mittags aß sie Gemüse und Kartoffeln. Joghurt zwischendurch. Eier standen am ersten Abend auf dem Speiseplan. „Sie erklärte uns, dass sie keine Tiere mehr töten wolle. Tiere hätten eine Seele, da seien sie uns Menschen verwandt, sagte sie." Ihre Entscheidung war gefallen und steht bis heute. In einigen Wochen ist Konfirmation. Auch die Festtagstafel wird vegetarisch gedeckt sein, natürlich. Mit der Zeit stellte die ganze Familie ihren Speiseplan neu zusammen. Der Vater ernährt sich mittlerweile ohne Fleisch. Die anderen Familienangehörigen essen anders als früher. Statt im Supermarkt kaufen sie Wurst, Kotelett und Rinderbraten nur beim Metzger. „Egal, wo ich von meiner Familie erzähle, immer gibt es lange Diskussionen", schließt der Freund. So ist es auch. Wir sitzen nach einem schönen Fortbildungstag im Tagungshaus, der Kamin prasselt.

Unser Gespräch hat schon nach wenigen Minuten die Konfirmandin vergessen. Es geht um die Frage, wie die Tierwelt beseelt ist. Ist die Tierseele ähnlich oder ganz anders beschaffen als die des Menschen? Kinderfragen, naiv, einfältig? Vordergründig ja, im Hintergrund nicht mehr. Der Apostel Paulus holt urplötzlich weit aus und nimmt die ganze Schöpfung in das Heilsgeschehen hinein. Fest steht, das Tier ist Gottes Schöpfung und ist in Gottes Handeln beschlossen. Und die Freiheit, von der der Apostel spricht, gilt den Menschen wie auch dessen Mitgeschöpfen. Freiheit setzt eine Wirkung frei und entfaltet diese zunächst für den Menschen und damit auch in der ganzen Kreatur. Der Mensch lässt sich als der Prototyp empfangener und dann auch aktiv gelebter Freiheit beschreiben. Er ist einen Schritt voraus, bildet aber nicht die Spitze der Bewegung. Darin sind sich alle einig. Schöpfung und Erlösung haben einen Punkt, an dem sie verbunden und füreinander durchlässig sind. Zwischen dem, was Gott geschaffen hat, und dem, was Gott vollenden wird, besteht eine Beziehung. Vielleicht sind Schöpfung und Erlösung so etwas wie Geschwister. Die Gegenwart empfängt Kräfte aus der Zukunft, die Zukunft hebt die Gegenwart auf. Alle schweigen. „Das Heute ist von dem, was morgen sein wird, schon qualifiziert", sagt jemand in die Stille. Das Ziel beeinflusst die Gegenwart. „Es bräuchte mehr Rücksicht. Wir essen zu viel Fleisch." Es geht um Methan, das den Kuhmägen entweicht, und um die Gier nach immer mehr und billigerem Fleisch.

Während die Schöpfung laut seufzt, meldet sich die Freiheit bereits zu Wort. Das Seufzen der Kreatur dringt nicht aus dem künstlich beleuchteten Massenstall heraus, noch nicht. Der Schlachthof liegt weit draußen vor der Stadt außer Hörweite. Je weniger Tiergeräusche und Gerüche an die Ohren und Nasen dringen konnten, umso mehr Fleisch kam auf den Tisch. Das Seufzen und Stöhnen der Kreatur lässt sich verdrängen. Je weniger Seufzen und Ächzten zu hören ist, umso dringlicher wartet die Kreatur auf ihre Verheißung. Der Mensch hat das Privileg, dass er seine Hoffnung in Worte fassen und sie aktiv leben kann. Der Neutestamentler Ernst Käsemann soll, erinnert sich eine Kollegin, Paulus so ausgelegt haben, dass er in der Christenheit die große Verheißung an alle Kreatur sieht. Christen wirken als Avantgarde für eine künftige Welt. „Die Freiheit liegt gleichsam schon in der Luft und wird von uns verwaltet", füge ich an. „Ob uns das gelungen ist?", kommt prompt als Rückfrage.

Ein modernes Schwein sieht sein Leben lang keinen Himmel und schiebt seinen Rüssel niemals durch feuchte Erde. Der Mensch hat das Paradies geräumt. Man könnte annehmen, dass Adam und Eva die Schöpfung aus dem Paradies entführt haben. Es ist aber die Verheißung, um die es dem Apostel geht. Die klang schon im ersten Wort des Schöpfers mit und ist bei dem Apostel noch immer zu hören. Wenn die laut wird, dann ist das Seufzen und Stöhnen der Schöpfung nicht mehr zu überhören. Christen sind wie die Kinder, sie sind in vielem hellhöriger als andere Menschen. Denn die Verheißung der Bibel gilt den geschundenen Geschöpfen. Mensch und Tier sind sich näher, als viele denken. Die Freiheit, der der Apostel den Titel „herrlich" verleiht, eint sie.

Es geht nicht um den Speiseplan einer Familie. Es geht um die Verheißung. Wir diskutieren über Fleisch und unseren Fleischkonsum, finden keinen gemeinsamen Nenner. Ausweglose Diskussion. Aber die Verheißung belebt das Gespräch. Alle, die an diesem Abend zusammensitzen, spüren, dass selbst Entscheidungen, das Leben zu ändern, zur Vergänglichkeit verurteilt sind. Der Apostel lässt keinen Zweifel, die Freiheit, die er meint, überführt alles, was jetzt ist, der Vergänglichkeit. Der Bogen, den er spannt, reicht weiter als meine eigene Entscheidung.
Am nächsten Vormittag gibt die Küche des Tagungshauses einen Zettel herum. Wir sollen ankreuzen, wenn wir zu dem grundsätzlich vegetarisch angerichteten Essen eine Fleischbeilage wünschen. Ich setzte kein Kreuz. Probieren kostet nichts. Erfahrung macht klüger. Und den Mut einer Konfirmandin, den habe ich auch noch.

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