Kann man einem Neugierigen in wenigen Sätzen die ganze Bibel erzählen? Ich will es versuchen. Und ich erzähle dabei von der Liebe Gottes.
Den eigentlich zentralen Mythos unserer jüdisch-christlichen Kultur erzählt die Bibel in einfachen Worten.
Gott sagt sie, Gott liebt.
Gott liebt nicht wie du und ich.
Gott liebt so wie ein Smaragd grün und ein Rubin rot ist. Gott ist Liebe.
Und wenn du und ich schon mit deiner Liebe einen anderen brauchen, dann erst recht Gott, der liebt, wie ein Lapislazuli blau ist.
Also schafft Gott Menschen, ein Gegenüber. Und wenn deren Liebe auch echt sein soll - denn Marionetten sind schön, aber sie bewegen sich nicht von alleine -, wenn deren Liebe echt sein soll, dann müssen sie frei sein. Frei sein, ja und nein sagen zu können. „Ich liebe dich" sagen zu können und „Ich hasse dich".
Kurt Marti nennt Gott den „großen Verrückten, der immer noch an die Menschen glaubt". So ist das eben, wenn man liebt. Eine verrückte Sache. Gott schlägt alle Warnungen in den Wind und schenkt dem Menschen Freiheit.
Das geht nicht gut. Der Mythos erzählt, dass die Menschen sich mit der Freiheit nicht zufriedengeben, sie wollen Ewigkeit. Ganz nach Nietzsche: „Alle Lust will Ewigkeit". Und damals war das noch eine Lust, zu leben, mitten im Paradies.
Gott schließt das Paradies, erlässt die zehn und noch ein paar weitere Gebote für ein sinnvolles Zusammenleben und lässt den Menschen die Erde schmecken, jenseits von Eden.
Und das schmeckt dem Menschen nicht.
Kain erschlägt Abel.
Israel schlägt Ägypten.
Assyrien schlägt Israel.
Babylon schlägt Assyrien.
Persien schlägt Babel,
und die Griechen schlagen die Perser,
die Römer schlagen die Griechen
und so weiter.
Das schaut sich Gott mehr oder weniger zwei gute Jahrtausende an. Das Elend jenseits von Eden. Das Hauen und Stechen, das Lieben und Hassen, das Treten und Flehen, das Sterben und Schreien, die Lüge und die Lust, die Angst und die Ohnmacht, die Größe und den Wahn.
Und sagt dann: Es reicht.
Ich habe den Menschen aus Liebe geschaffen. Mir selbst ein Gegenüber, ein Ebenbild.
Er hat sich übernommen, hat sein Maß nicht gefunden.
Nun sitzt er im Dreck. Im Ausland. Im Elend.
Wenn einer liebt, und der, den er liebt, leidet, was macht er dann?
Er beugt sich. Er bückt sich. Er wird sanft und schwach und lieb und zärtlich. Nimm an, deine Frau, dein Mann, dein Kind liegt todkrank irgendwo im Elend, auf einer Intensivstation.
Du wirst auf Haltung pfeifen, du wirst alle Etikette vergessen. Du wirst dich bücken am Lager eines Kranken. Und du wirst hingehen, wo immer er liegt.
Nun liegt der kranke Mensch im Elend hier auf diesem wunderbaren Planeten. Es ist also ganz einsichtig, was der Mythos weitererzählt. Der große, mächtige Gott bückt sich zum Lager des Menschen.
Nicht nur zum Besuch beugt sich der Gott der Bibel. Er sucht eine Bleibe. Er wird Mensch. Der Mythos erzählt von einer Handvoll Gott, gelegt in eine Futterkrippe, notdürftig in Windeln gewickelt, Mutter gerade vielleicht vierzehn, Vater auf der Flucht.
Gott schmeckt Erde. Und das schmeckt nicht gut. Und doch wird die Erde diesen Gott nicht mehr los.
Der Himmel stünde längst wieder offen, sagt der alte Mythos. Engel gingen auf Leitern aufwärts und abwärts, ein reger Verkehr. Die Tür zum Himmel stünde offen. Jesus Christus habe sie aufgeschlossen - durch sein Leiden, Sterben und Auferstehen.
Und so wird aus der Liebe Gottes ein Weg für uns Menschen.
Der Weg unserer Liebe.
Ein Weg jenseits aller Diskussion und Berechnung.
Ein Weg jenseits aller Beweisbarkeit, und gerade deshalb ein mutiger Weg.
Da bricht ein Neues auf.
Ein Frieden, der höher ist als alle Vernunft.
Ein Weg aus der Angst.
Ein Weg aus dem Beweis.
Ein Weg aus den kleinen Karos.
Ein Weg über Grenzen.
Ein Weg, der Himmel und Erde zärtlich verbindet.
Das ist unsere Hoffnung.
Das ist unser Glauben.