Reim auf Gottes Tod

Im 12. Jahrhundert versuchte Anselm von Canterbury die vernünftige Notwendigkeit des stellvertretenden Leidens und Sterbens des Gott-Menschen der Logik schlüssig zu beweisen. Im 16. Jahrhundert konnte Martin Luther fast heiter schreiben: Ich tue als Christ, was ich kann. Was ich nicht kann, das zahlt das Leiden Christi.
Vor Jahren schrieb mir eine Frau und drückte damit aus, was viele umtreibt, wenn sie gar mit Begriffen wie Opfer, Sühne, Strafe usw. konfrontiert an die Passion Jesu denken: „Von so einem Gott will ich nicht geliebt werden."
Im letzten Jahrzehnt ist eine Reihe von Büchern erschienen, die den Opfergedanken ganz aus dem „Beziehungsgeflecht" zwischen Gott und Jesus heraushalten wollen und in den Sühne-, Opfer- und Schuldbildern die Ursache für Depressivität, mangelnde Lebensfreude und Lebensbejahung gerade evangelischer Christen sehen.
Das Kreuz als Mahnzeichen für die vielen Kreuze: Ja. Das Kreuz als Zeichen für die geschundene Existenz des jüdischen Volkes: Ja. Das Kreuz als Zeichen der menschlichen Ohnmacht angesichts politischer Willkür und kalter Macht: Ja. Das Kreuz als Zeichen der Liebe Gottes: Nein.
So wie es vielleicht peinlich ist, dass mir einer die Füße wäscht, wie es befremdend ist, dass mir einer seinen Speichel auf die Augen streicht, wie es scheinbar unappetitlich ist, dass ich aus einem Kelch mit vielen trinke, so wehre ich mich dagegen, dass Christus für mich stirbt. Sterben ja, aber nicht für mich, nicht für meine Schuld. Als ob ich keines Opfers wert wäre.

Die theologische Krise unserer Zeit ist die Krise des Glaubens an den leidenden, sterbenden, für uns geopferten Gottessohn.
Warum wehren wir uns gegen solche Gedanken? Warum ist uns das Kreuz als ureigenste Tat Gottes so undenkbar geworden in den vergangenen Jahrzehnten?
Petrus hatte, als Jesus sein Leiden und Sterben ankündigt, gewehrt: Gott bewahre dich, Herr! Das widerfahre dir nur nicht! Sie kennen die Antwort Jesu: Geh weg von mir, Satan, du bist mir ein Ärgernis; denn du meinst nicht, was göttlich, sondern, was menschlich ist.
Der Mensch will weg von Gott, will glänzen ohne Gott, will Gottes Liebe nicht. Um die Verlorenen zu retten, so erzählt das Neue Testament der Bibel, verlässt Christus die Liebe Gottes. Geht ins Ausland zu den Menschen, die sich gegen die Liebe und den Glanz Gottes wehren. Erträgt an unserer Stelle den Zorn Gottes.

So gibst du nun mein Jesu gute Nacht,
so stirbst du denn, mein allerliebstes Leben,
ja du bist hin, dein Leiden ist vollbracht.
Mein Gott ist tot, sein Geist ist aufgegeben.

Mein Freund ist hin, den meine Seele liebt,
der neigt sein Haupt, dem sich der Himmel bücket.
Der mir und aller Welt das Leben gibt,
wird von dem Tod ins finstre Grab gedrücket.
J. S. Bach

Eine eigenartige Sprache. Eine eigenartige Gedankenwelt erreicht uns von diesem Lied.
Wir haben das verdrängt in unserer Zeit. So von Gott zu reden war zu früheren Zeiten selbstverständlich. Mein Freund ist hin. Mein Gott ist tot.
Kann ein Gott sterben? Stirbt da - so mag man sich helfen - die menschliche Hülle, innerhalb derer Gott unversehrt die Passion übersteht? Aber wie soll ich auf solchen Tod dann meine Hoffnung gründen? War Jesus von Nazareth nur äußerlich und zum Schein Mensch, wie kann ich dann von seiner Auferstehung her sagen: Christus lebt, mit ihm auch ich?
Gott hat nicht unversehrt die Passion überlebt. Wie immer wir dies innergöttliche Geheimnis deuten - hier stirbt ein Mensch. Das ist eigentlich schlimm genug. Dieses Kreuz macht die ganze menschliche Hilflosigkeit, unser Elend deutlich. Aber hier stirbt auch Gott. Das Herz Gottes blutet. Die Zeit steht still. Keiner, an den der Mensch sich noch wenden könnte. Im 17. Jahrhundert dichtet Johann Rist: „O große Not! Gott selbst ist tot". Im heutigen Kirchengesangbuch ist diese Zeile in Lied 73 geändert. Jetzt singen wir sehr viel zurückhaltender: „O große Not! Gotts Sohn liegt tot!"

Ich möchte in eigener Sache das Editorial nützen, um noch einmal auf die neuen „Kommunikationsdaten" der Redaktion hinzuweisen:
Pfarrer Gerhard Engelsberger, Mozartstraße 24, 69234 Dielheim, Telefon: 06222 / 3171551, Fax: 0321 / 213 60 315, Mail: mail@gerhard-engelsberger.de.

Schließlich möchte ich Sie - ohne eigenen „Buchtipp" - auf ein neues Praxisbuch von mir hinweisen, das Ihnen die Dienste in der Passionszeit hoffentlich erleichtern kann:
Gerhard Engelsberger, Auf dem Weg nach Golgatha, Andachten, Meditationen und Gottesdienste für die Passionszeit,
Gütersloh 2011, 224 Seiten. Mit CD-ROM. Paperback, Broschur, ISBN 978-3-579-05933-4, 19,95 Euro.

Beim Kreuz Verlag in Freiburg ist ein neues Gebetebuch für die Praxis im Pfarramt wie ebenso für Gemeindeglieder erschienen: Gerhard Engelsberger, Denn du bist bei mir, Heilsame Gebete und Gedanken, Freiburg 2011,
128 S., gebunden mit Leseband, ISBN 978-3-451-61027-1, 12,- Euro.

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