Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin.
1. Korinther 15,10
„Sie haben's gut!", meint ein Konfirmand und blickt auf mein einfaches und etwas älteres Handy. Es ist mit dem Buch aus der Tasche gerutscht. Als ich ihn fragend anschaue, fügt er hinzu: „Na ja, Sie können es sich leisten, nicht das neueste Modell zu haben. Sie brauchen damit nicht mehr zu punkten. In meinem Alter muss man immer das Neueste haben und Markenklamotten, sonst stellt man nichts dar, sonst bin ich nichts wert bei meinen Kameraden. Was ich habe und was ich mir leisten kann, macht mich aus. Das ist ganz schön stressig! Da darf man nicht schwächeln, das ist gnadenlos." Die Aussage des Jugendlichen über Statussymbole, über Haben und Sein hat mich sehr berührt.
Was bin ich eigentlich? Das, was die anderen in mir sehen? Das, was ich besitze, mir kaufen und leisten kann? Das, was ich in mir sehe und von mir erwarte? Was bin ich? Erfolgreich, sportlich, in Topform - oder angeschlagen, schwach, erfolglos? Was bin ich? Glücklich und zufrieden, in eine Familie und einen großen Freundeskreis eingebettet - oder an Beziehungen gescheitert und allein, zurückgezogen? Was bin ich und was gibt mir mein Selbstwertgefühl?
Wie wohltuend und befreiend nimmt sich inmitten dieser Gedanken und Fragen der Satz des Paulus aus. Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin, sagt Paulus.
Es geht Paulus nicht um seine gesellschaftliche Position. Er redet auch nicht vorrangig von seiner Tätigkeit als Prediger. Paulus beschreibt seine Erfahrung mit Jesus Christus. Obwohl er zunächst ein Gegner Jesu und seiner Gemeinde war und sie verfolgt hat, konnte Gott ihn gebrauchen. Gott hat die Begegnung mit ihm gesucht und ihn gefunden und verwandelt. Paulus hat zu Jesus Christus Vertrauen gefasst. Paulus spürt an sich selber Gnade. Was er verkehrt gemacht hat, darf er hinter sich lassen und anders weitermachen. Er bekennt, dass er in der Folge hart gearbeitet hat, dass er sich angestrengt hat, die gute Nachricht von Jesus Christus weiterzusagen. Es war ihm ein inneres Bedürfnis und er hat in all seinem Tun Gottes Kraft in sich wirken gespürt. Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin, sagt Paulus.
Was ich bin, das entscheide nicht ich. Was ich bin, das entscheiden nicht die anderen. Was ich bin, das entscheiden nicht die Dinge, die ich mir leisten oder kaufen kann. Was ich bin, das entscheidet Gott. Und Gott begegnet mir mit Gnade.
Diese Erkenntnis befreit. Bei Gott darf ich schwächeln, darf ich mich geben, wie ich mich fühle, darf ich mich zeigen, wie ich bin, wie es mir gerade geht.
Zu Gottes Gnade gehört es sogar, dass ich ihm klagen darf, wenn ich nicht in Topform bin, wenn es mir gerade gar nicht gut geht; wenn ich Enttäuschungen hinnehmen musste in meinem Leben, wenn ich durch einen Unfall viel von meiner Gesundheit dauerhaft eingebüßt habe. Durch Gottes Gnade bin ich überhaupt.
Gottes Gnade und ich, wir gehören zusammen. Immer wieder gibt es Momente im Alltag, in denen ein Abglanz von dieser Gnade Gottes in unser Leben fällt. Mir ist eindrücklich, wie mir einmal ein alter Mann erzählt hat, dass er als Junge beim Fußballspielen mit dem Freund eine Fensterscheibe eingeschossen hatte. Starr vor Schrecken hört er das Klirren der Scheibe nach seinem Schuss. Kreidebleich wird er, und in Sekundenschnelle gehen ihm die Bilder durch den Kopf, wie er zu Hause von dieser Scheibe seinem Vater würde beichten müssen. Er fürchtete sich vor ihm. Der Vater war ein ungeheuer strenger Mann ohne Verständnis für solche Kindersünden. Die Bilder von der empfindlichen Tracht Prügel mit dem Stock traten vor sein inneres Auge, alles andere wollte er sich noch gar nicht ausmalen. Er war noch ganz bei diesen inneren Bildern, als er hörte, wie sein Freund sich bei dem Nachbarn, dessen Scheibe zu Bruch gegangen war, entschuldigte und behauptete, er sei der „Torschütze" gewesen. Er werde es seinen Eltern erzählen. Zu seinen Eltern könne er mit allem kommen. Sie würden den Schaden wiedergutmachen. Auf dem Nachhauseweg meinte der Freund nur: „… ist doch klar, dass ich dich nicht hängenlasse, meine Eltern werden mir den Kopf nicht abreißen, ihre Liebe endet nicht bei einer eingeschossenen Fensterscheibe, bei deinem Vater bin ich mir da nicht so sicher." Erleichtert konnte er damals nach Hause gehen. Seinen Freund und dessen Lüge für ihn hat er nie vergessen. Gnadenerfahrung.