Der Himmel, der ist" (EG 153) – Lieder predigen

Der Himmel, der ist, ist nicht der Himmel, der kommt. Jede Strophe des gerade gesungenen Liedes beginnt damit. Heute möchte ich über dieses Lied predigen. Es stammt von Kurt Marti, einem Schweizer Pfarrer, der trotz seiner nun 90 Jahre immer noch Texte verfasst, die mich wegen ihrer ganz schlichten zurückhaltenden Sprache beeindrucken. In einfachen Worten redet er vom ganz Großen. Ganz normal klingt das, wenn er vom Reich Gottes spricht, so als wäre es das Normalste der Welt. - Damit wir die Strophen mit ihren schlicht-verwunderlichen Worten frisch im Ohr haben, singen wir sie immer noch einmal einzeln:

EG 153,1

Es wird anders, ganz anders, ein neuer Himmel löst den alten ab, eine neue Erde die alte. Nun gut, mag mancher einwenden - selbst wenn es so kommen würde: Ich lebe doch hier und jetzt. Hier, auf dieser Erde muss ich mein Leben bestehen. Ja aber, erwidert Kurt Marti. Ja, es ist gut, dass du hier in deiner Welt lebst. Aber öffne deine Augen für das, was kommt, damit es in deine Welt schon jetzt hineinkommt. Lebe erwartungsvoll. Welche Energie ein solch erwartungsvolles Leben entfalten kann, dazu möchte ich Ihnen etwas von einer gemeinsamen Wanderung mit meiner Tochter erzählen:

Sie läuft und läuft und läuft, mit ihren kurzen Beinen, Kilometer für Kilometer. Mache ich einen Schritt, muss sie drei machen. Aber sie hält mit, ab und zu läuft sie sogar ein paar Meter voraus. Dabei redet sie in einem fort: „Ja, Papa, heute Abend …“ Ja, heute Abend, was werden wir da nicht alles machen. Ich kenne unser Abendprogramm schon in- und auswendig, so oft hat sie es mir schon rauf- und runtererzählt. Wir werden im Stroh schlafen, wir werden auf dem Spirituskocher Nudeln kochen, wir werden ihr Lieblingsbuch lesen, wir werden auch noch ein Lagerfeuer anzünden … Sie erzählt das immer wieder, redet mehr mit sich selbst als zu mir. Und dabei läuft und läuft sie. Erstaunlich, was so ein kleines Mädchen alles schafft. Sie will unbedingt ankommen, ans Ziel kommen. So sehr ist sie vom Ziel erfüllt, dass die Anstrengungen der Strecke nicht ins Gewicht fallen. Vermutlich merkt sie gar nicht, wie viel sie laufen muss. Obwohl es noch einige Kilometer vor uns liegt, ist das Ziel schon gegenwärtig, präsent in ihrem Erzählen. Schon jetzt prägt das Ziel, weckt eine Vorfreude in meiner Tochter, die alle Strapazen vergessen lässt. Hoffnung ist eine starke Kraft. Hoffnung bringt Zukunft und Gegenwart zueinander. Das Erhoffte ist schon hier und jetzt greifbar, es liegt in der Luft. Die Hoffnung auf das Schlafen im Stroh, Nudeln und Lagerfeuer färbt schon die Gegenwart in ein anderes Licht. Hoffen ist etwas Wunderbares - kann man das lernen?

Kinder sind Weltmeister der Hoffnung - Erwachsenen fällt es meist schwerer. „Man wird halt realistischer“, sagen sie. Manch einer ist enttäuscht worden - das Ziel hat nicht gehalten, was es versprochen hat. Anderen wird die Zeitspanne bis zum Erreichen des Erhofften zu lang - und sie haben keinen, der sie wieder auf die Spur bringt. Viele sind schlicht und einfach zu müde zum Hoffen. Der Alltag mit seinen Herausforderungen ist so voll, da fehlt die Kraft, Hoffnung überhaupt erst zu wecken. Viele haben das Gefühl, den Pflichten und Aufgaben hinterherlaufen, dauernd irgendwelche Löcher füllen zu müssen. Wenn Erwachsene wandern gehen, klingt das oft ganz anders. Sie sagen: Ich muss mich vom Stress der letzten Woche erholen. Ich muss etwas für meine Gesundheit tun. Erwachsene sind schrecklich vernünftig, realistisch. Die Gegenwart hat sie fest im Griff. Würden sie sich bloß genauso von der Vorfreude locken lassen wie meine Tochter.

Wie kann es gelingen, dem festen Griff der Gegenwart zu entkommen? Oft genügt ein kleiner Spalt im festen Griff der Gegenwart - und die Hoffnung wächst hindurch. Zwei Wochen Sommerferien. Manchem genügen schon fünf Minuten Schweigen beim Meditieren. Wenn es wirklich gelingt, die Gedanken frei zu bekommen. Dann können fünf Minuten genügen, sich aus dem festen Griff der Gegenwart freizumachen und den Horizont zu weiten, über uns hinauszuwachsen, zu hoffen. Wir können Hoffnung nicht machen. Aber wir können ihr Freiräume schaffen. Und die Hoffnung wird diese Freiräume nutzen.

Genau das machen wir jetzt im Gottesdienst: Wir müssen nichts machen, müssen nicht produktiv sein. Wir schneiden eine Stunde aus unserem Alltag heraus und hören eigentümliche Geschichten, beschäftigen uns mit eigenartigen Gedanken, ohne immerzu nach ihrem Nutzen zu fragen. Wir sprechen 3000 Jahre alte Psalmen und wir singen. Das alles ist nutzlos - und genau darum geht es. Wir öffnen den Horizont, wir schaffen einen Spalt in der Gegenwart, um über uns selbst hinauswachsen zu können. Wir können Hoffnung nicht machen, aber die Hoffnung wird solche Freiräume nutzen.

Der Himmel, der ist, ist nicht der Himmel, der kommt. Es kommt noch etwas, wir können noch etwas erwarten - nur was?

Singen wir die zweite Strophe.

EG 153,2

Ein neuer Herr kommt, die alten müssen gehen, abtreten. Abtreten wie ein Politiker, weil die Skandale sich häufen. Abtreten wie ein Fußballer, wenn er keine Leistung bringt, und ein anderer kommt aufs Spielfeld und kann sich bewähren. Abtreten wie der Manager, der die Firma in den Abgrund gesteuert hat; er macht den Platz frei für einen neuen Kopf mit neuen Ideen und einem zukunftsweisenden Konzept.

Abtreten müssen die Herren der Erde, weil sich nicht mehr übersehen lässt: So geht es nicht weiter. Es geht nicht weiter mit Habsucht und Eigennutz, mit Ellenbogen und Ausbeutung. Eine Weile können sich die Mächtigen noch halten, die Menschen und Erde rücksichtslos für ihre Zwecke missbrauchen, weil wir Menschen nicht die Kraft haben, sie zum Abtreten zu zwingen. Weil die Mächtigen zu mächtig sind und die Schwachen zu schwach. Aber dann kommt ein ganz anderer Herr, der auf der Seite der Schwachen steht und doch stark genug ist, die Mächtigen abzusetzen, einfach auszuwechseln gegen seinen Mann - Jesus.

Er wird kommen, dieser Wechsel - und mit ihm kommen ganz neue Spielregeln, die des kommenden Himmels. Glaube, Hoffnung und Liebe werden herrschen. Einer hat das schon auf Erden gelebt - Jesus. Er und seine Liebe werden im Himmel über alles herrschen. Darum wird er auf vielen alten Bildern thronend auf den Wolken gezeigt. Er ist Herr über die ganze Welt. In der Hand hält er das Schwert, mit dem er der Wahrheit zum Sieg verhilft. Und er hat das Buch des Lebens in der Hand, in dem die Namen der Menschen aufgeschrieben sind. Kein Mensch geht verloren, keiner gerät unter die Räder, jeder Einzelne ist wichtig. Das sind die Zeichen seiner Herrschaft: Er ist wahrhaftig, gerecht und den Menschen zugewandt.

Für mich ist dieses Bild von Jesus als Herrscher sehr tröstlich. Ich habe einen auf meiner Seite, der meint es nicht nur gut, der kann das Gute auch durchsetzen. „Gut gemeint“, das sagen wir, wenn das Ergebnis gerade nicht gut war. „Gut gemeint“ meint vergeblich, umsonst. „Gut gemeint“, denken manche auch bei Jesus: Er wollte ja etwas Gutes, aber letztlich ist er doch am Kreuz gescheitert. Es hat keinen Sinn auf das Gute zu setzen, es klappt nicht. Richten wir uns lieber in der Welt ein, wie sie ist. Ja, manchmal erscheint es wirklich so, dass Gott es vielleicht gut meint, aber es nicht gut hinbekommt. Kurt Marti spricht vom kommenden Herrn: Er meint es nicht nur gut, er kann es auch durchsetzen, weil seine Herrschaft kommen wird. Er hat den längeren Atem. Wie sieht nun seine Herrschaft aus? Singen wir die dritte und vierte Strophe:

EG 153,3.4

Seine Hoffnung schöpft Kurt Marti aus der Offenbarung des Johannes. Wir haben sie als Lesung gehört. Gott ist bei den Menschen, ganz nah. Er teilt ihr Leben, und sie leben mit ihm. Es braucht weder Kirche noch Tempel mehr, denn Gott ist überall da und alles ist göttlich. Die Menschen kommen mit allem, was unser Menschsein auch mit sich bringt, mit ihren Tränen, mit ihrem Leid und ihrer Klage. Aber dabei bleibt es nicht, es wird verwandelt. Die Tränen werden abgetrocknet.

Da kommt etwas radikal Neues, eine Welt ganz ohne Leid, in der Gewalt und Elend ein für alle Mal besiegt sind. Wie schön, bei jedem Sonnenstrahl nicht gleich an den nächsten Regen denken zu müssen. Statt ängstlich die Sekunden des Glücks zu zählen, werden die Menschen einfach in diesem Glück leben, das ohne Anfang und Ende da ist. Ganz selbstverständlich wird es sein, so, als ob es gar nichts anderes als Glück gäbe. Und so ist es ja auch. Es gibt nur noch das Glück, dass das Gegenteil nicht einmal mehr gedacht werden kann.

Singen wir die letzte Strophe.

EG 153,5

90 Jahre ist der Dichter Kurt Marti alt, ein Alter, in dem man den Tod vor Augen hat. Und er schreibt immer noch solche Texte, die von der Zukunft schwärmen. Ich bewundere Martis Vertrauen in das, was kommt. Ich bin beeindruckt, wie ein reifer und mehr als lebenserfahrener Mensch von 90 Jahren noch so viel erwarten kann. Das Zeitungsinterview zu seinem 90. Geburtstag beginnt mit einer ganz direkten Frage: „Herr Marti, Sie werden bald 90, Ihr Tod ist nicht mehr fern. Möchten Sie nach dem Tod auferstehen?“ Und was antwortet Kurt Marti? „Nein“, sagt dieser so zukunftsfrohe Mensch, „das ist doch ganz unwichtig. Was nach dem Tod kommt, weiß nur Gott. Entscheidend ist doch, was aus der Zukunft jetzt schon in mein Leben leuchtet. Prägt das, was ich erwarte, schon jetzt mein Leben?“ Warum Auferstehung für ihn eine Haltung zum Leben ist, hat Marti in einem Gedicht gesagt:

„Das könnte den Herren der Welt ja so passen, wenn erst nach dem Tod Gerechtigkeit käme, erst dann die Herrschaft der Herren, erst dann die Knechtschaft der Knechte. Vergessen wäre für immer. // Das könnte den Herren der Welt ja so passen, wenn hier auf der Erde stets alles so bliebe, wenn hier die Herrschaft der Herren, wenn hier die Knechtschaft der Knechte so weiterginge wie immer. // Doch ist der Befreier vom Tod auferstanden, ist schon auferstanden und ruft uns jetzt alle zur Auferstehung auf Erden, zum Aufstand gegen die Herren, die mit dem Tod uns regieren.“

Das ist Kurt Marti ganz wichtig: Es geht nicht um zwei getrennte Welten, hier die Erde und dort der Himmel. Die eine Welt wirkt auf die andere ein, und zwar in einer ganz bestimmten Richtung: Die Zukunft bestimmt die Gegenwart. Was kommt, ist in der Hoffnung schon da. Die Erde ist nicht sich selbst überlassen. „Der Himmel, der kommt, grüßt schon die Erde, die ist.“ Ein schönes Bild, der kommende Himmel, der uns zuwinkt, zu sich herwinkt. Er grüßt und ruft uns herbei: Macht euch auf den Weg zu mir, dann werde ich kommen, dann bin ich da. Schaut zu mir, dann seht ihr, welche Spielregeln das letzte Wort haben werden. Der Himmel ist dichter, als wir denken. Er ist bereits da, wo wir uns auf ihn einlassen. Das Reich Gottes ist mitten unter uns, wo Menschen wie Kurt Marti ganz unerschütterlich davon reden. So gewinnt es in unserem Herzen Raum, wo wir diesen Worten vertrauen. Der Himmel ist mitten unter uns, wenn wir einander solche Worte weitersagen - sie nähren die Seele und lassen uns in den Himmel vertrauen: Der Himmel, der kommt, grüßt schon die Erde, die ist, wenn die Liebe das Leben verändert.

Eingangsgebet:

Aus meinem Alltag komme ich,
der voll ist und manchmal übervoll,
aber immer wieder auch erfüllend, weil du da bist,
bei mir -
dafür möchte ich dir danke sagen.
Ich komme zu dir, Gott,
aus meinem Alltag schneide ich mir eine Stunde heraus
und verlasse mein Haus,
um in dieses ganz andere Haus zu kommen,
suche etwas anderes, und dich, den Anderen,
der mehr ist als mein Alltag
und größer als all mein Wollen und Können.
Dich suche ich, Gott,
weil mir mein Alltag nicht genügt,
weil ich mehr brauche, weil du mehr bist.
Lass mich dich finden, finde du mich.

Gebet:

Gefangen fühle ich mich manchmal, Gott,
gefesselt von dem, was zu tun ist
und was ich mir vornehme,
durch das ich von mir selber erwarte.
Öffne mir die Augen für das, was wirklich wichtig ist,
was zählt vor dir.
Gefangen nehme ich manchmal andere,
wenn ich sie für meine Pläne einspanne,
wenn ich ihnen keinen Raum lasse, sich zu entfalten.
Schenke mir Vertrauen,
dass ich andere loslassen kann
und ihnen helfen, ihre Ziele zu suchen und zu finden.
Gefangen bin ich manchmal, Gott,
in meinem engen Horizont,
wenn ich nur noch sehe, was nicht geht,
und nicht mehr, was hilft,
wenn ich den Eindruck habe, auf mich kommt es nicht an,
wenn ich gar nicht mehr weiß, was ich will.
Weite meinen Horizont
und mache mir Lust auf den Himmel,
stärke die Sehnsucht nach dem,
was du mit mir und aller Welt vorhast.
Und selbst wenn ich dich jetzt nicht finde,
zeige mir wenigstens, wie ich auf der Suche bleiben kann.

Evangelium: Matthäus 5,3-12
Epistel: Offenbarung 21,1-7
Liedvorschläge: 152 (Wir warten dein, o Gottes Sohn)
393,1-2.4.6.11 (Kommt, Kinder, lasst uns gehen)
165,1.5-8 (Gott ist gegenwärtig)

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