Ich hatte in der September-Ausgabe nicht unbedingt einen Windhauch gesät und habe auch keinen Sturm geerntet. Aber mit meinem Editorial konnte ich wenigstens eine Reaktion von zwei besonders Qualifizierten provozieren:
Prof. Albrecht Grözinger und Dr. Elisabeth Grözinger.
Ich freue mich über ihre Bereitschaft, je einen Beitrag - homiletisch und poimenisch - zum Thema „Ausreden lassen“ zu schreiben.
Seit diesem Editorial ging für mich und Sie einige Zeit ins Land. Ich konnte über das „Ausreden lassen“ länger nachdenken. Ich fühle mich bestärkt.
Da fällt ein Organist dem Segnenden ins Wort.
Da macht ebenfalls ein Organist eine junge Kollegin zur „Minna“, weil sie im laufenden Gottesdienste liturgisch nicht vorgesehene Worte sagt.
Da lege ich fast die Hälfte der für „Literaturgottesdienste“ zu lesenden Bücher nach 50 Seiten weg.
Wir alle haben ein Bild.
Je nach Befindlichkeit ist der Rahmen kleiner oder größer.
So geht es uns beim Hören (einer Predigt), beim Lesen (eines Buches) oder beim Betrachten eines Kunstobjektes.
Verweilt unser Blick nur lange bei einem gegenständlichen Bild (wir nähern uns dem Reformationsjubiläum und damit einem Cranach-Festival) und hören wir vertrauten Worten gerne zu?
Klingt nur ein bekanntes Intro auf der Orgel von Johann Sebastian Bach vertraut und hüllt uns ein in die „evangelische Vertrautheit“?
Muss nach dem „Kollektengebet“ ein „Amen“ der Gemeinde folgen, oder darf man einmal darauf verzichten?
Die Liturginnen und Liturgen unserer Landeskirchen sind entsetzt über solche Fragen. Sie bringen unseren jungen Kolleg/innen bei, dass man immer „mit dem Herzen“ zum Altar um die quasi heilige Stätte zu gehen hat und gefälligst die Gemeinde nach dem Kollektengebet mit einem gesungenen „Amen“ antworten lässt.
Was sind das für kleine Karos?
Sind wir „frei“ oder nicht?
Sind wir nur unter bestimmten Konditionen frei?
Wem dienen wir? Wen feiern wir?
Wen bekennen wir?
Ob Jesus sich je um die Form des Brotes beim Abendmahl, die Haltung des Pfarrers bei der Taufe oder um die Gestalt eines „Kyrie“ gekümmert hat?
Ihm war doch wichtig:
- Sie haben was zum Essen.
- Der Pfarrer muss tun, was er sagt, und glauben, was er verspricht.
- Lass sie singen. Wenn sie singen, haben sie verstanden.
Die Gemeinden sagen: der Gottesdienst sei „steif“. Und sie erkennen die „gestelzte“ Umwanderung des Altars (- nur ein Tisch, um den man sich zum gemeinsamen „Bankett“ - so übersetzte ein chinesischer Freund - versammelt -) als „gekünstelt“. Sie erleben die Liturginnen und Liturgen als „präsent“ oder „abgehoben“. Und sind meist froh, wenn man sie überhaupt versteht.
„Ausreden lassen.“
Dazu gehört auf unserer Seite:
- Verständlich reden.
- Freundlich reden.
- Den Ohren und den Seelen nahe sein.
- Die Menschen achten.
Ich drehe mein Momentum um:
„Lasst sie ausreden.“
„Lasst sie weiterdenken.“
„Lasst sie nach Hause gehen.“
„Schnürt ihnen mit euren Worten nicht die Kehle zu.“
„Redet barmherzig.“
„Seid ehrlich.“
Schon diese kleinen Einwürfe könnten befreiend sein.
Ich wollte, wir stünden auf und brächen Ketten.
„Ausreden lassen.“
Man erwartet vom neuen Papst neue Gedanken. Der Poverello hat die Armen zu Wort kommen lassen.
Lasst die Hartz-IV-Empfänger ausreden.
Lasst die Durchwanderer erzählen.
Lasst die Kinder weinen und die Alten reden.
Und kommt ihnen nicht mit Kyrie, auch nicht mit Eleison.
Und sagt nicht Amen, bevor ihr nicht mit ihnen gebetet habt.