Der Monatsspruch im November 2013

Siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch.
Lukas 17,21

Jesus spricht zu ihnen, Jesus handelt an ihnen, tröstet, heilt, grenzt ein, setzt Leben gegen den Tod in die Welt: Wo ist das Reich Gottes? Jesus ist mitten unter ihnen, und sie stehen dumm in der biblischen Geschichte herum: Siehe, wann kommt das Reich Gottes? Sie lesen die Bibel, sie feiern Gottesdienst, sie zahlen Kirchensteuer: Wo ist Gott? Sie sind spirituell, sie leben als Christenmenschen, Jesus ist mitten unter ihnen, aber sie stehen dumm in der Kirchengeschichte herum: Siehe, jetzt fehlt nur noch das Reich Gottes.

Wer Jesu klare Ansage früher auslegte, nahm Rücksicht auf dieses Dumm-Rumstehen der Christenheit. Das Reich Gottes wurde in das Innere des Menschen verlagert. Es ist „inwendig in euch“, lautete entsprechend eine Übersetzung. In der lateinischen Vulgata-Bibel stand dafür das Wörtlein „intra“, das uns heute wieder im Intranet begegnet - für Außenstehende nicht einsehbar.

Diese Ortsangabe hat den Nachteil der Nachweispflicht: Es ist von mir abhängig. Ihr glaubt zu wenig, eure Lebensweise ist zu uneindeutig, wo bitte ist da Reich Gottes?

Das dagegen vom Evangelisten verwendete griechische Wort „entos“ ist wagemutiger. Es gibt einen Bereich in

der Gegenwart an. Ihr seid, sagt Jesus, im Bereich des Reiches Gottes. Man könnte auch formulieren: Wir sind in seinem Dunstkreis. Jetzt, wo ihr danach fragt, wo ihr euch danach sehnt, ist das Reich Gottes mitten unter euch, und ihr seid mittendrin, nicht erst irgendwann und irgendwo. Gewiss, auch in der Zukunft als heile Welt Gottes, als neuer Himmel und neue Erde. Jetzt im November Richtung Toten- und Ewigkeitssonntag geht unsere Erwartung in diese Richtung. Jesus holt uns aber allenthalben in die Gegenwart zurück.

Seine Ortsanweisung ist elegant. Hätte er die Weihe eines klassischen Philosophen, würde man sagen: Seine Antwort ist dialektisch. Das Reich Gottes ist da, aber es ist nicht so da, wie alles andere da ist. Man kann es nicht nachweisen, statisch, mit Kirchenmauern und Lehrgebäuden, statistisch, mit den aufgelisteten Kirchenmitgliedern, und doch ist es in diesem Bereich und darüber hinaus zu finden.

Mir hilft, um empfänglich dafür zu werden, eine Formulierung. Sie lautet: Das Reich Gottes findet statt. Und mir hilft, um meine Wahrnehmungsfähigkeit zu schärfen, die Emmaus-Geschichte mit den beiden Jüngern, die Jesus auf dem Weg treffen und ihn nicht erkennen. Jesus geht mit ihnen, trotzdem vermissen sie das Reich Gottes, so ungefähr. Nach seinem Entschwinden, als sie hinterher unter sich sind, stellen sie ein Nachglühen fest. Das Reich Gottes fand statt. „Brannte nicht unser Herz?“

Ich will also nicht mehr so vorsichtig sein wie die Altvorderen, kann aber auch nicht so wagemutig sein wie der Evangelist. Ich wähle die Vergangenheitsform und sage: Ja, es war da, das Reich Gottes. Es gibt Orte, Zeiten, die ich benennen kann. War es auf dem Kirchentag? War es, als ein Wort meine frostige Seele wieder auftaute?

Die tägliche oder sonntägliche Wiederholung der Vaterunser-Bitte „Dein Reich komme“ ist keine Folge ihrer Nichterhörung - wir bitten, weil Gott sie einfach nicht erhört -, im Gegenteil: Es fand statt. Darum: Unser täglich Reich Gottes gib uns heute.

Kirche kann man definieren, Frömmigkeit beschreiben, das Reich Gottes ist darin und daneben und darüber hinaus. Ist es in der Demut eines Papstes, in der Begeisterung der lateinamerikanischen Pfingstkirchen? Wer ein Bedingungsgefüge aufstellt, ob glaubensmäßig, ob ethisch, wird das Reich Gottes mal mehr, mal weniger, meist gar nicht finden. Und steht dumm in der Weltgeschichte herum. Jesus nimmt uns das Aufstellen von Bedingungen aus der Hand. Er setzt das Reich Gottes, wo er gegenwärtig ist. So einfach ist das!

Es ist mitten unter uns, denn Jesus tröstet uns und heilt. Es ist mitten unter uns, denn er setzt am Kreuz das Zerbrechliche gegen das Vollendete. Es ist mitten unter uns, denn der Geist Gottes rührt oder stößt uns an, je nachdem. Wo ist das Reich Gottes? Jetzt gerade, wo ihr fragt, wo ihr euch danach sehnt, seid ihr in seinem Bereich. Wer vorsichtiger sein will, mag nach wie vor bekennen: Ich habe es „intus“.

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