Der Monatsspruch im Mai 2013

Öffne deinen Mund für den Stummen, für das Recht aller Schwachen!
Sprüche 31,8

Im sogenannten Superwahljahr 2013 schlägt jetzt die große Stunde der Berater. Wie sollen die Wahlplakate aussehen, die in ein paar Wochen an den Straßen Spalier stehen werden? Mit welchen Sprüchen und Slogans sollen die Parteien auf sich aufmerksam machen? Welche Botschaften sollen ihre Spitzenkandidaten in den Mittelpunkt ihrer Reden stellen? Es gibt wohl kaum eine Partei, die sich bei der Beantwortung dieser Fragen nicht von Beratern helfen lässt. Vom Engagement der beratenden Agenturen und Einzelpersonen verspricht man sich einen größeren Wahlerfolg. Ihr Blick von außen soll dabei helfen, die Stimmung der Wähler einzufangen und am Ende auch ihre Stimmen.

Der Monatsspruch für den Mai 2013 erinnert daran, dass schon die Mächtigen zur Zeit des Alten Testamentes ihre Berater hatten. Sprüche 31,8 stammt aus einer Sammlung von Ratschlägen, die Lemuel, dem König von Massa, galten. Wer genau dieser Lemuel war und wo sein Königreich lag, erzählt das Buch der Sprüche leider nicht. Jedoch verrät es uns den Urheber der königlichen Ratschläge. Es ist des Königs Mutter. Für einen kurzen Augenblick stelle ich mir vor, wie die Eltern unserer heutigen Spitzenkandidaten ihren Söhnen und Töchtern Ratschläge mit auf den Wahlkampfweg geben. Vermutlich würden sich ihre Hinweise erheblich unterscheiden von den Rückmeldungen professioneller Berater. Die Ratschläge der Königinmutter Lemuels jedenfalls würden gewiss nicht zu einer dieser modernen, glattgeschliffenen Kampagnen führen.

Lemuels Mutter spricht Klartext mit ihrem königlichen Sohn. Sie rät ihm ab vom übermäßigen Genuss von Wein und Weib. Beides sei bei der Ausübung seiner königlichen Pflichten nicht hilfreich. Vor allen Dingen aber rät sie ihrem Sohn: „Öffne deinen Mund für den Stummen, für das Recht aller Schwachen!“ Wer meint, dass dieser Ratschlag sehr allgemein und plakativ daherkomme und somit nicht unähnlich den Plakatsprüchen sei, die in einigen Wochen unsere Straßen säumen werden, möge sich erinnern, dass in der hebräischen Bibel Reden und Tun zusammengehören. Auch im Buch der Sprüche steht der Vers nicht isoliert da. Lemuels Mutter unterstreicht seine Bedeutung mit dem Hinweis: „Tu deinen Mund auf und richte in Gerechtigkeit und schaffe Recht dem Elenden und Armen.“ Der König ist nicht um seiner selbst willen mächtig. Er hat Macht, damit er gerecht richten kann. Er hat eine starke, mächtige Stimme, damit er den Stummen und Ohnmächtigen ein Fürsprecher sein kann. Was für eine wunderbare und zugleich merkwürdige Ableitung von Macht! Der Mächtige soll nicht zuerst seine Interessen oder die der Mehrheit vertreten. Seine wichtigste und vornehmste Aufgabe ist die Interessenvertretung der Schwächsten seiner Gesellschaft.

Ob König Lemuel die Ratschläge seiner Mutter tatsächlich beherzigt hat, ist leider nicht dokumentiert. Ich frage mich, wie eine Gesellschaft aussehen würde, in der sich die Mächtigen diesen Rat zur obersten Maxime machten und ihre Münder für die Stummen öffneten, „für das Recht aller Schwachen“.

Wie würde es zum Beispiel den Asylbewerbern in einer solchen Gesellschaft gehen? Würde man ihnen bei ihrem Einreisen und Antragstellen immer noch mit Misstrauen begegnen, oder würden sich die Mächtigen im Zweifelsfall endlich einmal für die Verzweifelten einsetzen?

Die Länder Deutschland und Dänemark, in denen ich bisher gearbeitet habe, bieten in dieser Hinsicht den meist lobbylosen Flüchtlingen keine große Lobby. Vor diesem Hintergrund finde ich die Monatslosung umso wichtiger. Sie nimmt die in den Blick, die sonst keiner im Blick hat. Sie erinnert die Amt- und Würdenträger an ihre eigentliche Aufgabe. Eine wichtige Erinnerung im Superwahljahr 2013! Vielleicht sollte man in diesem Jahr am Tag nach der Wahl auf die Wahlplakate keine „Danke für Ihr Vertrauen!“-Zettel kleben, sondern Blätter mit dem königlichen Ratschlag aus dem Buch der Sprüche: „Öffne deinen Mund für den Stummen, für das Recht aller Schwachen!“

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