Fürchte dich nicht! Rede nur, schweige nicht! Denn ich bin mit dir.
Apostelgeschichte 18,9-10 (E)
Ein Paar erwartet sein erstes Kind, einen Sohn: Vorfreude, Glück, Träume, kribbelnde Fragen. Wie es wohl sein wird mit dem Kind, und vor allem: Wie er wohl sein wird? Einer, der eher mit dem Kopf arbeiten wird - oder doch eher ein handfester, Typ, einer, der anpackt?
Kurz vor Weihnachten dann die Geburt. Das Baby wird der Mutter in den Arm gelegt. Der Vater steht am Bett. Dankbarkeit.
Die Idylle perfekt, kurz vor Heiligabend?
Ja. Und: nein. Denn schnell fällt den Eltern auf: An unserem Sohn ist etwas anders. Am linken Arm fehlt etwas. Keine ganze Hand ist da. Ansätze von Fingern. Ein Ballen. Viel mehr ist nicht da.
Das Glück bekommt einen Stich. Es wird bedrängt und eingeengt von der Sorge: Wird er greifen können? Ein Instrument spielen? Was, wenn er Linkshänder ist? Wie soll das werden im Kindergarten, in der Schule, im Beruf? In einer Welt, in der die Leistung angebetet wird und die Perfektion zur Norm erhoben? Einer Welt, in der es die schwer haben, die anders sind als die anderen. Die nicht so zupacken können. Ob der Junge gehänselt werden wird im Kindergarten und gemobbt in der Schule? Ob sie ihm „Du Opfer“ hinterherschreien werden oder „Du Krüppel“?
Ein halbes Jahr später, ein sonniger Tag. Der Junge wird getauft - und ich bin Pate. Und da höre ich aus dem Mund der Pfarrerin den Taufspruch meines Patensohns. Sie wählt die Übersetzung Martin Luthers, aber es ist unser Monatsspruch. Dieser Satz, den Gott einmal dem Paulus in bedrängter Lage sagt und auch dem kleinen Jungen am Taufbecken:
„Fürchte dich nicht, sondern rede und schweige nicht! Denn ich bin mit dir, und niemand soll sich unterstehen, dir zu schaden.“ (Lutherbibel 1984).
Mir läuft es heute noch eiskalt den Rücken hinunter, wenn ich an diesen Moment denke. Dass ein Bibelwort wie ein Lichtstrahl in unser Leben fällt und die Konturen unserer Existenz neu und anders ausleuchtet. In warmes Licht taucht. Verborgenes offenbart. Wo sich Bibelwort und Leben verschränken. Ja: Wo Gott zu uns spricht. Sich hörbar macht.
So war das an diesem sonnigen Tag. Die Botschaft, die da hörbar wurde, das Wort klang gut. Tröstlich, auch ein bisschen trotzig: „Keiner soll sich unterstehen ...“ Fand ich auch.
Und das „Fürchte dich nicht“ ist ja etwas ganz anderes als das „Wird schon werden“, das „Kopf hoch, nach Regen kommt wieder Sonne“ oder das „Alles halb so schlimm“, das Menschen sich im Alltag gegenseitig sagen, wenn es schwierig wird. Wenn sie sich mit mehr oder weniger hilfreichen Worten Mut machen wollen. Oder wenn sie nicht wissen, was sie sonst sagen sollen.
„Fürchte dich nicht!“ Diese biblische Zusage ist für mich so etwas wie der Grundakkord der biblischen Botschaft. Es ist realistisch - und es baut auf, beides gleichermaßen. Realistisch, weil er nicht wegdiskutiert, was wir so gern verdrängen: Unsere Welt ist manchmal zum Fürchten - zum Beispiel für kleine Jungen mit einer missgebildeten Hand. Unser Leben ist manchmal zum Fürchten. Und die Fragen, die uns in ihm bestürmen, sind es auch. Gott wischt die Furcht nicht weg - er nennt sie beim Namen. Und allein das tut gut. Da fühle ich mich verstanden. Den Eltern meines Patensohns wird es ähnlich gegangen sein, als sie gerade diesen Taufspruch auswählten.
Gott weiß besser als wir selbst, wie es um uns steht. Und gegen all die furchteinflößenden Umstände stellt er dieses kleine, klare, große Wort: „Fürchte dich nicht!“
Dies Wort hängt nicht in der Luft. Es ist kein billiger Trost. Es hat einen Grund, eine Basis: „Ich bin mit dir!“ Mit dir, du kleiner Junge, der vielleicht niemals einen Ball fangen wird oder nur mit Mühe. Mit dir, du Pate, der sich fragt, ob und wie er dieses Kind gut begleiten kann und wird. Oder mit den Eltern des Jungen. Du bist nicht allein. Ich gehe mit. Bedingungslos.
Wer das hören kann, wem das so einleuchtet wie uns damals bei der Taufe, der wird kaum die Hände in den Schoß legen, egal, ob diese Hände einen Ball fangen können oder nicht. Wer das hören, fühlen, glauben kann, für den geht die Arbeit erst richtig los: „Rede und schweige nicht!“ Kein schlechter Rat für Christenmenschen, die ihre Furcht Gott in die Hände legen können. Wenn ich meinem Patenkind etwas zeigen kann von diesem Mut zum Reden und zum Handeln, der aus dem Glauben, aus dem „Fürchte dich nicht!“ wächst - dann ist das ein Segen. Für uns beide. Und alles andere als zum Fürchten.