Gottesdienst am 2. November 2014"Geistreiches Wort"

20. Sonntag nach Trinitatis, 2. Korinther 3,3-6(9)

Vorbemerkung: Ich würde den Predigttext kürzen, da ab Vers 7 der Gedankengang deutlich erweitert wird. Stark und ausreichend für eine Predigt sind die Verse 3-6. Den Text selbst würde ich an den angegebenen Stellen lesen, um die Verbindung zu dem Gesagten nahezulegen, ohne es 1:1 abzuleiten.

Benno hat Glück gehabt. Als Einhunderteinundzwanzigster auf der Liste des Studentenwerks hat er gerade noch ein Zimmer im Studentenwohnheim im Neuenheimer Feld bekommen. Leider hat er erst 14 Tage vor Semesterbeginn davon erfahren.
Er studiert Physik in Heidelberg. Außer den Seminaren, Vorlesungen und Praktika sehnt er sich nach klaren Überzeugungen, an denen er sein Leben ausrichten kann. Neulich hat seine Freundin zu ihm gesagt: Ich kann in dir lesen wie in einem Buch. Ja, sie spürt seine Verstimmungen, sie erahnt seine Gedanken, er ist immer öfter für sie wie ein offenes Buch!

Er selbst ist seit einigen Wochen in einem Kreis von Studenten, die sehr angeregt mit einem Prediger diskutieren. Sie treffen sich bei ihm, er verblüfft sie, weil er fast zu jedem Thema eine passende Stelle in der Bibel findet. Ob sie über Partnerschaft und Ehe sprechen oder über den richtigen Umgang mit den Ressourcen der Erde, immer kann er sagen, was die Bibel dazu sagt. Er hatte sie seinerzeit in der Mensa angesprochen, als sie so zusammenstanden.

Guido studiert auch Physik. Er wohnt mit zwei anderen Studenten in einer günstigen Wohnung etwas außerhalb von Heidelberg. Seit drei Wochen kommt auch er zu den Treffen beim Prediger. Auch er ist fasziniert von den Zuordnungen, die der Prediger ihnen nahelegt: Zuordnungen zu fast allem, was die Studierenden ansprechen.
Guidos Großmutter ist vor Kurzem gestorben. Sie war für ihn mehr als nur eine Großmutter. Er mochte sie sehr und er war immer wieder erstaunt, mit wie viel Gutmütigkeit sie auf ihn und seine Schwester und auf die anderen Enkel zuging. So viel Gutmütigkeit, dass er es bis vor ein paar Jahren sogar naiv fand. Sie wollte immer nur das Positive sehen, sie schenkte ihnen Zeit, glaubt nahezu alles, was man ihr erzählte. Vielleicht war sie in der Tat naiv, aber sie strahlte eine unendliche Freundlichkeit aus. Das war unglaublich.
Sein Opa kommt schlecht damit zurecht, dass er nun sein Leben allein gestalten soll. Aber er sagt immer - in einer Bescheidenheit, die fast alle aus der Familie nervt: „Oma hat es nun besser, wo sie bei Gott ist.“ Das meint er auch so, es erleichtert ihn kurz, dann ist er wieder traurig.

Benno und Guido lernen sich kennen bei den Treffen mit dem Prediger, wie sie ihn alle nennen. Sie sind beide fasziniert von der Klarheit, die er vermitteln kann. Jede Frage, jeden Redegang ordnet er einer Stelle aus der Bibel zu und beantwortet sie daraus. Schwierig wird es nur dann, wenn verschiedene Bibelstellen Verschiedenes antworten: Zwei Schöpfungsberichte, das fünfte Buch Moses, das die Mosesgeschichte noch mit anderen Aspekten, aber auch wiederholend erzählt, vier Evangelien, Paulusbriefe und demgegenüber Pastoralbriefe. Guido ärgern diese Unklarheiten, man könnte auch sagen Offenheiten. Der Prediger gewichtet dann, aber das erscheint ihm willkürlich. Obwohl er Benno mag, streiten sie sich oft, besonders über die Aussagen der Bibel zu einem Leben nach dem Tod. Er kann sich nicht vorstellen, wie eine ganzheitliche Auferstehung geschehen kann. Er findet die Erzählung vom ungläubigen Thomas hilfreich, aber gleichzeitig mehrdeutig. Wie kann es sein, dass einer durch geschlossene Türen geht und gleichzeitig die Wundmale vom Kreuz hat? Entweder er ist komplett verwandelt wie ein Geist oder er ist derselbe Mensch aus Fleisch und Blut. Beides zusammen kann doch nicht stimmen, derselbe und doch verwandelt?

Benno lernt einen anderen Gelehrten kennen. Ja, er nennt sich Gelehrter, weil er wie der Prediger alle aufkommenden Fragen auf die Bibel bezieht. Auf ihn, den Gelehrten, ist Benno durch einen Bekannten aufmerksam geworden. Auch der Gelehrte schart eine Gruppe Studierender um sich. Der Gelehrte sagt, alle Aussagen der Bibel sind richtig und direkt auf uns zu übertragen. Er negiert die Spannungen zwischen den biblischen Überlieferungen, er sieht die Worte der Bibel als verbindlich, ohne Wenn und Aber. Das gefällt Benno.
Aber er sieht zunehmend, dass sich die Gedankengebäude und die Vorstellungen von unserer Wirklichkeit, die dadurch entstehen, nur schwer mit seinem sonstigen Weltbild vereinbaren lassen. Sein Physikstudium passt nicht mehr oder die Aussagen des Gelehrten passen nicht.
Seine Freundin kann zwar nicht verstehen, wie er nun zu den Treffen des Gelehrten geht statt zu denen des Predigers. Aber sie liebt ihn dennoch, sagt sie. Das spürt Benno auch - aber er versteht es nicht wirklich. Er ist doch ein anderer, wenn er andere Ansichten hat. Er streitet oft mit ihr, aber wenn er dann schläft, streichelt sie ihn wieder ganz zärtlich.

Lesung 2. Korinther 3,3-6

Guido nimmt sich immer mehr Zeit, um selbst in der Bibel zu lesen. Er kauft sich einen Bibelleseplan „Mit der Bibel durch das Jahr 2014“. Er besucht ab und an Vorträge von den Theologieprofessoren, die für alle verständlich sind. Er erinnert sich vor allem an seine Oma. Er besucht seinen Großvater am Wochenende und spricht mit ihm über Oma. Opa sagt: „Sie wusste, dass ihr alle auch Schattenseiten habt. Sie hätte sie auch benennen können. Aber sie wollte nicht.
Sie kannte auch meine Schwächen, aber sie hatte ein so großes Herz, dass meine und eure Schwächen darin untergegangen sind. Verstehst du?“
Guido verstand und er verstand nicht.
Er verstand, was Opa über Oma sagte, er konnte nachvollziehen, dass sie verzeihen wollte, dass sie barmherzig sein wollte, auch wenn sie das andere sah. Er verstand, dass die Liebe ihr Herz so groß machte, dass seine, Opas, und viele Schwächen anderer darin untergingen. Er begriff nicht, wie man so sein konnte. Woher man die Kraft nahm, so zu sein. Er suchte diese Kraft in sich und fand sie nicht. Er versuchte, das, was er spürte, in den Worten der Bibel wiederzufinden. Er fand vieles - aber nicht so, wie der Gelehrte oder der Prediger es fanden.

Als er vom Wochenende zurückkam, ging er zunächst nicht zum Prediger. Eines Tages aber schrieb er Benno. Er wollte sich mit ihm treffen und mit ihm reden. Er wollte mit ihm darüber reden, wie er eine klare Vorstellung davon bekäme, was für ihn wichtig und richtig wäre im Leben. Benno hatte ihm von dem Gelehrten erzählt. Er dachte, dass der Gelehrte und der Prediger auf ihre Art imponierend seien. Doch dieses „Aber“ wurde größer, je länger er darüber nachdachte. Guido und Benno trafen sich. Guido erzählte von seinem Besuch bei seinem Großvater und von seiner Großmutter; Benno von seinen letzten Treffen mit dem Gelehrten und dass er die Welterklärungen, die er von ihm hörte, nicht mehr mit dem zusammenbringen könne, was er im Studium lerne und wovon er selbst überzeugt war. Dieses Mal sprach Benno auch von seiner Freundin. „Verstehst du, sie liebt mich, egal, ob ich zum Prediger oder zum Gelehrten gehe, egal, ob ich Physik studiere oder etwas anderes.“ Sie selbst sage es immer so: sie liebe ihn, seine Seele und sein Herz! Genau so erlebe er es auch!
Es war eine gute Atmosphäre, Guido und Benno konnten offen sprechen. Guido von seiner Bewunderung für seine Oma, wie fremd sie ihm aber auch sei. Er könne einfach nicht so sein wie sie. Benno war selbst sichtlich gerührt, als er von seiner Freundin sprach. Jeder konnte den anderen verstehen. Und sie konnten die Bewunderung für die Menschen teilen, die zu jeder Lebenslage eine passende Bibelstelle wussten. Sie konnten aber auch die Schwierigkeit teilen, die sich für sie daraus ergab. Und für beide ergab sich daraus nicht die ersehnte Gewissheit für ihr Leben, sondern oft hart umkämpfte Positionen und lange Diskussionen, die weder inneren Frieden brachten noch die Seele atmen ließen.
Guido nahm seinen Bibelleseplan zur Hand und schlug den 2. Korintherbrief auf. Hör mal, was hier steht:

(erneute) Lesung 2. Korinther 3,3-6

Beide spürten Dankbarkeit für die Worte. Beide spürten, dass Guidos Oma und Bennos Freundin wohl etwas davon lebten, was Paulus hier schreibt. Beide spürten den Geist Gottes, der in und über den gelesenen Worten war. Beide waren sich sicher, dass der Geist Gottes nicht aufgeht in den gelesenen Worten, dass er aber mit diesen verbunden ist.
Guido freute sich, dass er seiner Oma doch näher kommen konnte, weil er die Kraft nicht in sich selbst finden musste, sondern dass Gottes Geist sie ihm gibt. Benno war noch dankbarer für seine Freundin. Sie ließ ihn erleben, wie ein Mensch ein lebendiger Brief werden kann.
Für beide konnte manch ein Streit zurückgeführt werden auf den Satz: „Der Buchstabe tötet.“ Beide konnten ausdrücken, wie der Geist vom Buchstaben, vom Wort ausgeht und wie er das Wort erhellt. Geist und Wort helfen einander, so wie Klarheit und Gewissheit einander helfen. Geist ohne Wort reicht nicht. Das geht nicht. Der Geist wäre vage, nicht zu greifen ohne das Wort. Und: Das Wort wäre tot ohne den Geist, der es weit macht und mit Leben füllt.

Benno und Guido gingen erfüllt nach Hause und freuten sich auf den nächsten Tag.

Gebet 1:
Gott.
Wir kommen, um Kraft zu tanken.
Wir kommen, um dich zu spüren.
Hilf uns, beim Hören das Fühlen nicht zu vergessen.
Hilf uns, beim Nachdenken die Weite nicht zu verlieren.
Hilf uns, Leib und Seele zusammenzuhalten.
Hilf uns, Wort und Geist zusammenzuhalten
wie Wort und Brot.
Wir bitten dich: Erbarme dich!

Gebet 2:
Christus,
die Sehnsucht nach dir bleibt.
Die Sehnsucht nach Gewissheit bleibt.
Die Sehnsucht nach einer tragenden Gemeinschaft bleibt.
Die Sehnsucht, satt zu werden an Leib und Seele, bleibt.
Wo bleibst du?
Wir wollen dein Reich schmecken.
Wir wollen deinen Trost spüren.
Wir wollen mit Herz und Geist verstehen.
Hilf uns bitte!

Psalmvorschlag: Psalm 63
Evangelium: Markus 10, 2-9
Liedvorschläge: 124 (Nun bitten wir den heiligen Geist)
125 (Komm, Heiliger Geist)
161 (Liebster Jesu, wir sind hier, dich und dein Wort anzuhören)
195 (Allein auf Gottes Wort)
EG BEL 665 (Wir haben Gottes Spuren festgestellt)
EG BEL 666 (Wie ein Fest nach langer Trauer)

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