Der Monatsspruch im Mai 2014

Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.
Galater 3,28

Ein australischer körperbehinderter Sportler fährt in seinem Rollstuhl bei 30 Grad sommerlicher Hitze durch eine deutsche Großstadt. Passanten zeigen mit Fingern auf ihn. Er braucht kein Deutsch zu verstehen, um zu merken, wie er begafft und wie schlecht über ihn geredet wird. Offensichtlich ist, dass er Hilfe braucht, um eine hohe Stufe zu überwinden. Aber es hilft ihm lange keiner. Schließlich hört ein Journalist, der die Geschichte hinterher dann auch veröffentlicht, wie er vor sich hinsagt: „Du meine Güte, ist das kalt hier.“

Es wäre ja auch so schön einfach, wenn sich stets nur Gleich zu Gleich gesellen könnte. Männer unter sich, Frauen unter sich, Menschen ein und derselben Nationalität unter sich, schön abgeteilte Bezirke für Menschen mit körperlichen Behinderungen … Ich entsinne mich noch gut daran, wie ein Architekt hoch dafür prämiert wurde, dass er eine ganze Siedlung nur für Menschen im Rollstuhl baute. „Da können sie sich doch untereinander besuchen fahren“, hieß es stolz im Umfeld dieser Siedlung. Ja, tatsächlich, sie können sich gegenseitig besuchen fahren - und der Normalsterbliche, Gott sei Dank ohne sichtbares Handicap, braucht sich nicht weiter zu kümmern - sie haben ja schließlich einander.

Genug der Kontrastbeispiele! Das Neue Testament entwirft ein Gegenbild, nicht nur Paulus im Galaterbrief tut das; im Evangelium wird uns berichtet, wie Jesus gerade nicht einen Israeliten, einen Glaubensgenossen, zum Vorbild für die anderen hinstellt, sondern einen Fremden, einen Samaritaner, der in Sachen der Religion als „nur halb gläubig“ galt - wenn überhaupt. Ein solcher Mensch ein Vorbild für die ehrenhaften Schriftgelehrten und Priester - eine Ungeheuerlichkeit zu Zeiten Jesu!
Paulus hatte es dann mit einer christlichen Form von Diskriminierung zu tun: Die christliche Zweiklassengesellschaft zu Zeiten des Paulus bestand zum einen aus den Christen, die ehedem Juden gewesen waren, zum anderen aus Christen, die ehedem ganz anderen, nichtjüdischen Religionen angehört hatten. Wie viel harte Arbeit kostete es die Judenchristen, die sich für die „Wirklichen“ hielten, da sie doch auch das mosaische Gesetz minutiös beachteten, andere als gleichwertige Christen anzuerkennen, auch wenn die von ganz anderem biografischen Hintergrund aus zu Christus gefunden hatten! In diesen Kontext gehört der für den Monat Mai ausgewählte Vers.

Die Situation hat sich geändert - die Brisanz der Botschaft nicht! Nehmen wir ein positives Bild: Ich habe fünf Tortenstücke, die ich auf einer Tortenplatte aneinanderstelle, und zwar indem ich die Spitzen im Zentrum zusammenführe. Nun gehen die Ränder zwar weit auseinander. Aber im Zentrum, in ihren Spitzen, treffen sie sich alle. So lassen sich menschliche Unterschiede im christlichen Kontext beschreiben: Die Ränder klaffen weit auseinander. Es ist ein Unterschied, in welchem Kulturkreis ich aufgewachsen bin, welchen Bildungsgrad ich errungen habe, über welche materiellen Ressourcen ich verfügen kann; es ist ein Unterschied, ob ich als Mann oder Frau geboren bin, ob ich jung oder alt bin, im Land meiner Geburt lebe oder aus welchem Grund auch immer einen Migrationshintergrund habe, ob ich über eine Menge an Talenten verfüge oder nur sehr bescheidene Fähigkeiten mitbringe. Aber im Glauben an Christus ist das alles nicht mehr entscheidend. Entscheidend ist Christus, ist die Orientierung an ihm und zu ihm hin. Und wo Menschen sich an Christus orientieren und je mehr sie es tun, umso hinfälliger werden all die gesellschaftlich angeblich so ungeheuerlich wichtigen Unterschiede. Es tut jedem Menschen gut, einer Gemeinschaft zuzugehören, in der er der sein darf, der er ist. „Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zum Lobe Gottes“, kann Paulus an anderer Stelle schreiben.

Und noch ein letzter Schritt: Je mehr ich mit Menschen anderer Kulturen und Religionen zu tun bekomme, umso deutlicher wird mir die Zugehörigkeit zu der einen menschheitlichen Familie. Wir alle sind Menschengeschwister, es gibt Dinge, die uns alle, ohne Ausnahme, betreffen, egal, wer wir sind und wo wir herkommen und welches Wertesystem unser Leben bestimmt: Geburt und Tod, Liebe, Krankheit, Naturkatastrophen und das Konfliktpotenzial, das sich aus dem menschlichen Zusammenleben ergibt, verbindet Menschen miteinander, völlig egal, wer sie sind und wo sie leben.
Christus lehrt mich, nicht nur die zu lieben, die „in Christus“ sind, meine Gefährten des Glaubens, sondern „meinen Nächsten“, und der kann heute mehr denn je ein Andersdenkender und -glaubender sein. Wenn sich etwas von der Gemeinschaft der an Christus Glaubenden gesellschaftlich relevant verwirklicht, wenn Menschen uns das anmerken und abspüren können, dass wir diese Gleichheit vor Gott leben, dann kann es gar nicht anders sein, als dass das, was wir als christliche Gemeinde gesellschaftlich ausstrahlen, Resonanz finden muss in unserer Umgebung. Und dabei kann es dann sehr wohl passieren, dass die Erkenntnis, die wir aus dem intensiven Umgang mit unserem christlichen Glauben gewinnen, uns von Menschen anderer Religionen genauso entgegenkommt, die sich genauso intensiv mit ihrem je eigenen Glauben auseinandersetzen.
Echter Glaube führt in die Verbundenheit hinein. Wir alle sind Teil des die Welt umspannenden Netzes, durch das wir verbunden sind mit allen unseren Geschwistern der großen menschheitlichen Familie auf der weiten Erde.

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