Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand, du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich am Ende mit Ehren an.
Psalm 73,23-24
Die Psalmen gehören zweifellos zu den wichtigsten Teilen der Bibel. In unseren Predigtreihen
kommen sie dennoch nicht vor, als Gebete sind sie aber Bestandteil jedes Gottesdienstes. Sie
sind eine Fundgrube für Tauf-, Konfirmations- und Trausprüche. Für uns verweben sich in ihnen
Gottes Verheißungen und je eigene Biographien. Psalm 23 und viele andere Psalmworte sind
oft Begleiter für ein ganzes Leben. Die Psalmen wirken durch ihre poetische Sprache, ihre
anschaulichen Bilder und den religiösen Ernst, der sich in ihnen widerspiegelt. Was immer ihr
ursprünglicher Sinn gewesen sein mag - gottesdienstlicher Gesang, gemeinsames Bitt- oder
Dankgebet oder das Ringen eines einzelnen Beters mit seinem Gott -, in ihrer existenziellen
Dichte sind die Psalmen auch in der Sprache des christlichen Gebets bis heute unübertroffen.
Der Monatsspruch aus Psalm 73 macht da keine Ausnahme. In der Mitte des Jahres erinnert er
an die Jahreslosung, die dem Ende des Psalms in der Fassung der Einheitsübersetzung
entnommen ist: „Gott nahe zu sein ist mein Glück.“ Dieses Glück der Gottesbegegnung und der
Gottesnähe ist aber zugleich äußerst wechselhaft. Nicht immer spüre ich Gottes Nähe. Ja, der
Lauf meines Lebens stellt diese Gottesnähe oft in Frage. Der christliche Glaube ist keine
einfache Anleitung zum Glücklichsein, das sich - disziplinierte und penible Befolgung
vorausgesetzt wie bei einer Diät - notwendig einstellt. Vermag ich wirklich jede Enttäuschung,
jeden Tiefschlag einfach irgendwie auf Gottes Willen und Führung zurückzuführen?
Rückblickend mag das gelingen, aber in der Situation selbst ist das oft nicht nur eine
Überforderung, sondern geradezu ungnädig.
Diese Erfahrung ist dem Dichter des 73. Psalms besonders nahe. Recht besehen steht im
Mittelpunkt seiner Erfahrungen ein dem Lauf des Lebens und zugleich Gott abgetrotztes
„Dennoch“. Hebt der Psalm auch mit einem Bekenntnis zum Gott Israels an, so zeigt er schnell
die Seelenkämpfe des Betenden. Sein Glaube an Gottes gerechtes Weltregiment gerät ins
Wanken: Die Gottlosen sieht er im unverdienten Glück, die Frommen dagegen scheinen sich
umsonst abzumühen. Diese Erfahrung erschüttert ihn, lässt ihn sich sogar in Rachephantasien
und Anklagen gegen Gott ergehen. Die Erkenntnis, dass das Glück der Gottlosen nur Trug und
Schein ist, beruhigt seinen religiösen Zweifel zwar einigermaßen. Wichtiger ist ihm aber
Folgendes: Wahres Leben erschließt sich nicht in ungetrübtem Wohlstand und irdischem
Schätzesammeln, sondern darin, dass Gott selbst dem eigenen Leben einen unvergänglichen
Wert zuspricht. Das allerdings ist ein Sprung des Glaubens: „Du Gott, hältst mich mit deiner
Rechten. Du nimmst mich an und sprichst mir einen Wert zu, den mir weder die Welt noch ich
selbst geben kann. Du nimmst mich an.“
Freilich, dieser Glaube kann mir nicht „andemonstriert“ werden. Er bleibt ein Wagnis und eine
Verheißung. Eben deshalb hat Luther immer wieder den Glauben als Vertrauen beschrieben,
das ich persönlich mir aneignen muss. Dass etwa der auferstandene „Christus für die Frommen
ein Christus“ ist, so Luther, nutzt mir historisch erst einmal gar nichts. Es kommt vielmehr darauf
an, dass „er dir ein Christus und dein sei“.
Die Worte des Psalmisten zeigen mir, dass Menschen immer wieder in ihrem Glauben in den
abgründigen Erfahrungen des Lebens Trost gefunden haben. Der Glaube schickt mich in die
Schule des Lebens, die mich meine eigenen Erfahrungen machen lässt. Es werden dazu auch
immer Erfahrungen des Angefochtensein und Zweifels gehören. Psalm 73 ermutigt mich, diese
Erfahrungen gerade nicht zu unterdrücken, sondern auch Gott gegenüber an- und
auszusprechen. Keine Angst, Gott wird das aushalten. Gottvertrauen lebt darin, dass ich alles
mit meinem Gott teilen kann. Nur so kann ich zum „dennoch“ gelangen. Ja, gerade dann wird
Gott mich halten und in Ehren Ja zu mir sagen.