Sei getrost und unverzagt, fürchte dich nicht und lass dich nicht erschrecken!
1. Chronik 22,13
Da sitzt sie vor mir in meinem Wohnzimmer im Pfarrhaus der evangelischen
deutschsprachigen Gemeinde in Teheran. Eine unserer deutschen Frauen, die hier mit
einem Iraner verheiratet ist. Nein, war. Sie erzählt von der Beerdigung ihres Mannes. Sie ist
gefasst und ruhig. Sie hatte lange Zeit, sich auf das Unvermeidliche vorzubereiten. Zwei
Jahre hat sie ihn gepflegt. Nie mehr als drei Stunden am Stück geschlafen. Eine Operation
folgte auf die andere. Als der Arzt einen weiteren Eingriff vorschlug, sagte sie Nein. Sie
wusste, dass es zu Ende geht. Irgendwann. Furchtlos hat sie es ins Auge gefasst, sie ist
eine im landläufigen Sinn fromme Frau. Gut katholisch einstmals. Denn jetzt ist sie durch die
Heirat Muslima. Doch ihren christlichen Glauben kann ihr niemand nehmen - sagt sie. Auch
nicht dieses Gesetz, das alle ausländischen Frauen, die Iraner heiraten und im Iran leben, zu
Muslimas erklärt.
Und so folgt sie gefasst nach dem Tod ihres Mannes den Riten und Regeln, die hier nötig
sind, um jemanden würdig zu beerdigen. In ihrer Erinnerung tauchen die Bilder von dem
Blick ins Grab wieder auf. Jetzt verliert sie die Fassung. Schrecken und Furcht hatten sie am
Grab gepackt - wird es so sein am Ende? Bleiben Schrecken und Furcht als Letztes übrig?
Was ist mit ihrem Glauben, der sie bis hierher trug?
„Sei getrost und unverzagt, fürchte dich nicht und lass dich nicht erschrecken.“ Das spricht
uns unser Monatsspruch zu. Das ist gar nicht so einfach. Zu real scheint diese Welt auf uns
einzuwirken. Der Blick in ein offenes Grab kann erschrecken und meinen Glauben
erschüttern. Gewalt und Flüchtlingselend, dazu mein persönlichen Versagen, lassen mich
immer wieder an Gott zweifeln. Wie da getrost und unverzagt sein und sich nicht fürchten?
Nach dem Motto „Augen zu und durch“ etwa? Mich einfach nicht kümmern um das, was in
der Welt los ist? Meine Albträume, die Bilder des Schreckens betäuben mit all den
Beruhigungsmitteln, die uns zur Verfügung stehen?!
Gott sei Dank zeigt uns die Bibel immer wieder einen anderen Weg. Wir müssen uns nicht
mit Alkohol oder Tranquilizern betäuben, um die Wirklichkeit zu ignorieren. Uns wird
zugesagt: Als Christen schauen wir hin und nicht weg. Wir packen an, wo es geht, und
versuchen, unser Bestes zu geben, wie es uns möglich ist. In Ängsten,
ja, das ist unsere Realität, aber siehe, wir leben. Warum können wir das? Weil wir zuerst
auf den blicken, der uns zuruft: „Sei getrost, ich bin bei dir. Hab keine Angst, ich verlasse
dich nicht. Ich stehe am Anfang und am Ende, bei mir bist du geborgen. Mein Versprechen
heißt Jesus Christus.“ Ein Grenzgänger, der das Leid und Elend am eigenen Leib erfuhr. Der
vorgelebt hat, was wir erfahren dürfen - Gottes Gegenwart in unseren Ängsten, an unseren
Tiefpunkten, in unserem Sterben. Das ist ein ungeheuerliches Geschenk, das wir haben. Im
Alltag sicher nicht immer einfach, sich daran zu erinnern. Ängste kommen wieder, auch
Verzweiflung und Tod. Das gehört zu unserem diesseitigen Leben. Auch die Bibel bleibt da
ganz realistisch. Sie schildert das Leid Jesu am Kreuz, die Grablegung seines Leichnams,
aber sie bezeugt auch seine Auferstehung. Das bedeutet für uns: Tod, Leid, Elend und alles,
was Menschen einander antun, unser Erschrecken, unsere Angst, haben nicht das letzte
Wort. Und wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, dann spüren wir dies auch in jeder Faser
unseres Lebens: Da gibt es immer wieder diese wilde, unfassbare, großartige, ansteckende
Hoffnung - ein Sieg gegen die Angst -, es steht noch etwas aus, es erwartet mich etwas -
ich werde erwartet!
Diese Hoffnung ist Grund meines Lebens und Sterbens. Sie gehört zu meinem Menschsein,
sie trägt mich, wenn ich selbst nichts ertragen kann, sie hält mich, wenn ich mich haltlos
fühle, sie schenkt mir immer wieder den Blick auf den, der auch in Leid und Tod gegenwärtig
ist. Sie lässt mich aushalten: den Abschied von einem geliebten Menschen anzunehmen und
in sein Grab zu blicken. So wird meine Botschaft bei der Trauernachfeier für den Mann
meiner Besucherin sein. Zu Ostern habe ich dies erhalten:
„Von jetzt an ist niemand mehr sicher vor göttlicher Gegenwart - jedes Gesicht und jeder
Fels kann sie tragen.“
Und auch jedes Grab in dieser Welt.