Der Strom reißt alles und alle mit. Endet im Meer. Dort wird alles abgeschliffen, unkenntlich. Alles wird gleich. Alles wird „gekieselt“.
Ich befürchte: 2017 wird ein Reformationsjubiläum ohne Thesenanschlag, ohne Widerspruch, ohne quere Gedanken, ohne Gegensatz. Wie gerne ließe ich mich mitreißen von einem heftigen „wind of change“. Es gibt für mich kaum Schöneres, als dass Vorurteile überholt werden.
Gottes Geist bläst nicht ins Leere, er bläst uns Menschen an, will uns zum Klingen bringen. Aber wie merke ich, dass das, was mich bewegen will, Gott ist?
Ist es der Lebensatem oder ist es der Todeshauch?
Ist es der Wind der Veränderung oder der Sturm der Verwüstung?
Ist es mein Engel, der anklopft, oder der Teufel?
Wie kann ich unterscheiden, was mich treibt?
Wer spielt mit mir sein Spiel?
Jesus gibt Maßstäbe: Du merkst an den fünf Fingern einer Hand
- was die Liebe fördert, was die Liebe hindert,
- was dem Leben dient und was dem Leben schadet,
- was die Schwächen behebt und was die Schwächen ausnützt,
- was eint, was trennt,
- was gibt, was nimmt.
Warum klingen manche Menschen so schräg?
Warum klingen manche Instrumente so krank?
So gepresst, so verklemmt, so laut und schrill, oder so dumpf und klagend? Warum sind manche Menschen so kaputt, so erschlagen, so zerknirscht, so gejagt und unzufrieden? Und warum gerät die Kirche zur Nebensächlichkeit?
Ich meine, wir bräuchten als Kirche mehr Widerständigkeit. Gelegentlich sogar Widerborstigkeit. Wir bräuchten mehr Herz. Mehr offene Hände. Offene und wache Augen bräuchten wir. Damit die Kirche lebt. Pulsiert. Anklopft. Hörbar, spürbar, fühlbar wird. Was sind wir so nichtssagend, so austauschbar und so müde und leblos geworden.
Kleiner Mund, großes Ohr. Das war das Zeichen aus der chinesischen Schrift für „Weisheit“. Kleiner Mund, großes Ohr. Ein weiser Mensch.
Gott gibt den Atem,
wir sind das Instrument,
Christus ist das Lied.
Wir haben auswendig gelernt - und wissen wenig.
Wir sind zertifiziert - und bleiben ratlos.
Wir sind Protestanten - und bleiben auf dem Boden.
Wir schreiben richtige Sätze - aber nicht unter oder über den Linien.
Wir werben, bezahlen teuer - und keiner steht auf.
Wir haben großartige Orgeln - und alle Pfeifen stimmen.
Wir laden ein zu Konzerten - doch kaum einer singt mit der Nachbarin.
Wo ist die Farbe?
Wo bleibt der Protest?
Wo regt sich der Widerstand?
Wo regt sich einer auf über uns?
Wir haben einmal eine große Reformation der Ökumene vergeigt. Damals ging es um die Macht. Heute geht es (vielleicht) ums Geld. Eigentlich immer ging es um Jesus Christus. Doch den hatten immer nur die Verlierer auf ihrer Rechnung.
Ich wünschte mir - und da sind wir bei aller Verschiedenheit uns auch im Redaktionsbeirat einig: dass die PASTORALBLÄTTER gegen den Strom schwimmen. Dass die Autorinnen und Autoren sich weiten und damit einiges klären. Dass unsere Zeitschrift bewegt, verändert, gestaltet, korrigiert, zum Widerspruch reizt, konkret wird - eben eingreift ins Leben. Und damit Spuren hinterlässt.
Dass die Kollegin zum Kollegen sagt: „Du, ich habe …“ Und der Kollege zur Kollegin sagt: „Du, ich habe was Ähnliches probiert.“
Und vielleicht sagen dann eines Tages beide: Wir sind neue Wege gegangen. Wir sind noch unterwegs.
Ich wünschte, auch diese Monatsausgabe der PASTORALBLÄTTER im Reformationsmonat sei dazu ein kleiner Baustein. Nachdem alle aus den Urlauben wieder daheim sind, sind wir unterwegs.
In der Oktober-Ausgabe der PASTORALBLÄTTER finden Sie alle Gottesdienste zur bisher gültigen Perikopenreihe, auch einen Gottesdienst zur Veränderung. Sie finden vier Alternativ-Gottesdienste - wieder reichhaltig und kirchen-/jahresbezogen.
Sie finden drei Kasualansprachen zum schwierigen Thema der Trinität - Im Namen des Vaters; im Namen des Sohnes; im Namen des Heiligen Geistes.
Und Sie finden eine gehäufte Menge an Buchtipps und Neuerscheinungen. Freuen Sie sich an den Ideen anderer.
Vielleicht steuern Sie selbst einmal eigene Ideen bei? Ich würde mich freuen. (Schicken Sie mir ein Beispiel eines für Sie gelungenen Gottesdienstes etc. Ich werde das Eingesandte nicht veröffentlichen. Ich frage nach, ob Sie bereit sind, Neues zu schreiben.)
Es ist im Übrigen nicht der Normalfall, dass zwei Gottesdienste von mir in der aktuellen Nummer der PASTORALBLÄTTER erscheinen. Plötzlich einspringen kann dann am Ende nur der Schriftleiter. Ich hoffe, es kommt nicht wieder vor.