Erbarmt euch derer, die zweifeln
Judas 22
Ist es erbarmungswürdig, wenn einer zweifelt? Es kommt darauf an, was man darunter versteht. Die Bibel sagt an einer Stelle sinngemäß: Wer zweifelt, ist wie eine Meereswoge, die vom Wind in verschiedene Richtungen hin- und hergeworfen wird. Das Bild soll sagen: Wer zweifelt, ist hin- und hergerissen zwischen verschiedenen Möglichkeiten. So sehr, dass es ihn innerlich fast zerreißt. Kein besonders angenehmer Zustand! Lang hält das keiner durch, eine klare Entscheidung ist angesagt. Besonders wenn es um Gott geht.
Wer ist Gott für mich und was habe ich von ihm - und welche Rolle spielt dabei Jesus? Das sind wichtige Fragen für meinen Glauben. Aber muss ich mich da überhaupt entscheiden? Viele denken und leben heute so, als ob alles nebeneinander, miteinander und durcheinander ginge. Entscheiden braucht sich da keiner mehr, und zweifeln muss erst recht keiner. Wir leben in einer Welt mit einer Fülle an religiösen Angeboten, wie in einem Supermarkt. Jeder bastelt sich sein Bild von Gott so zusammen, wie es ihm gefällt. Das war schon zu Jesu Zeiten im Römischen Reich so. Scheinbar geht das auch ganz problemlos. Gott, der liebende und verständnisvolle Vater, den nehm ich. Aber nur für mich. Für die, die mir das Leben schwer machen, dann doch bitte den erbarmungslosen Rächer, der für Recht und Ordnung sorgt. Jesus, der treue Wegbegleiter und Unterstützer auf meinem Lebensweg, nichts wie her damit! Aber bitte ohne Einmischung in meine ganz persönlichen Entscheidungen. Unterstützung ja, Kritik nein danke. Jeder Mensch als einzigartiges Ebenbild Gottes, das in Würde und Verantwortung vor seinem Meister steht, das ist prima. Aber ein abschließendes Lebensurteil, wo sich die Spreu vom Weizen trennt? Nein, das ist mir zu krass, dann schon lieber ein wenig östliche Seelenwanderung, und täglich grüßt das Murmeltier, wenn alles wieder von vorne beginnt.
Aber damals wie heute gab es auch einige, denen bei diesem Bastelgott so ihre Zweifel kamen. Ob das wirklich richtig ist? Menschen, die so zweifeln, sind nicht bedauernswert, sondern zu beglückwünschen. Und sie sind mit ihrem Zweifel auf der richtigen Spur. Denn der Gott der Bibel macht dieses Spiel nicht mit, und es hilft auch nicht, wenn es im Leben drauf ankommt. Schon die Propheten im Alten Testament sagen uns deutlich: Wenn du dir deinen Gott nach Belieben selber zusammenbastelst, dann hast du einen stummen und toten Götzen, der nichts taugt. Der hat eben nur die Kraft und die Größe, die du selber in ihn hineingelegt hast. Das reicht nicht, um durchs Leben zu kommen. Du brauchst einen Gott, der anders ist als du selber, der dich nach seinem Willen gestaltet und nicht umgekehrt. Um dies einem Menschen nahezubringen, braucht es viel Verständnis und Geduld.
Ich finde, es ist eine Art von Erbarmen, von dem unser Monatsspruch spricht. Einfach ist es nicht. Wer lässt sich schon gern vom Thron seines Lebens stoßen, auf dem er bisher scheinbar so sicher saß? Doch dieser Grundzweifel an der eigenen Selbstherrlichkeit tut uns heute sehr gut. Auch wenn er schwer zu verkraften ist, ist er doch heilsam, weil er die Perspektiven wieder zurechtrückt. Wenn sich nicht mehr alles nur um mich dreht, bekomme ich den Blick frei für die Menschen um mich her. Ich muss die eigenen Grenzen und Fehler nicht mehr ausblenden, schönreden oder auf andere abwälzen. Ich bin nicht der Schöpfer meiner Welt, Gott ist es. Ich leiste mit Gottes Hilfe meinen wichtigen eigenen Beitrag, so gut ich kann und so gut es geht. Nicht mehr und nicht weniger. Ich finde, das entlastet und tut ungeheuer gut! Oft sind es nicht die grundlegenden philosophischen und theologischen Argumente, die einen Zweifler zum Vertrauen auf Gott bringen. Oft hilft das ehrliche und einfache Glaubenszeugnis, um einen Zeitgenossen neugierig zu machen auf den Gott der Bibel. Leben mit Gott, der anders ist als ich, der aber mit mir geht und mir Orientierung gibt auf meinem Weg. Davon lohnt es sich, den Zweiflern zu erzählen, damit sie Vertrauen zu Gott fassen können.