Wenn die Quelle nicht mehr sprudelt

Die PASTORALBLÄTTER haben Wesentliches zur Perikopenreform beigetragen.

Sie schrieb mir eine liebe Mail.
Nach bangen Monaten, neuen Therapieversuchen und seltenen Kontakten.
Sie meinte:
„Deine Quelle scheint zu sprudeln, auch wenn andere ob der Hitze kollabieren - ich staune, wie kre-aktiv du sein kannst ohne Unterlass.- Aber meine Quelle ist nicht auf Dauerdurchlauf geschaltet. Im Gegenteil habe ich den Eindruck, dass der Druck nachlässt, die Zufuhr gelegentlich versiegen will.“

Ich möchte sie nicht missen müssen.
Falte die Hände eins ums andere Mal.
Wenn die Quelle nicht mehr sprudelt, legen wir uns quer, suchen beim Klimawandel, bei den Medien, beim Zeitgeist, bei Ärzten oder Politikern und - wenn es uns selbst trifft - bei uns selbst die Schuld.
Wenn die Quelle nicht mehr sprudelt, wird das Kind böse.
Wenn die Quelle nicht mehr sprudelt, vermutet der Nachbar Sabotage.
Wenn die Quelle nicht mehr sprudelt, erschrickt die Tochter.
Partner und Partnerin suchen Rat.
Ist das normal, dass eine Quelle, die eben noch mit frischem Wasser ein halbes Dorf gespeist hat, so plötzlich versiegt?

Im November beginnen wir in der Kirche, abschiedlich zu leben. Das letzte September-Hoch hat uns eben noch berührt, ein oder zwei goldenen Oktoberwochen haben wir noch sonnensüchtig das Gesicht gezeigt. Jetzt kommt der Nebel. Jetzt kommt für den einen oder anderen die Einsamkeit. Jetzt kommt Dunkel in unser Leben. Volkstrauertag. Buß- und Bettag. Totensonntag. Es ist noch lange bis zum Advent.

Klaus Hoffmann singt auf einer seiner von mir geliebten CDs vom „Novembermorgen“. (Ans Herz gewachsen ist mir „Was fang ich an in dieser Stadt, 2000. Aus dieser CD stammt auch der „Novembermorgen“).
Klaus Hoffmann ist ein großartiger Berliner Sänger und Schauspieler. Er singt:

„Novembermorgen hat verschlafen,
Novembermorgen lacht nicht mehr,
Novembermorgen kennt nur Härte,
Novembermorgen träumt so schwer.
Der Baum gibt seine Blätter gleichmütig fort,
und der Absinth bringt mir Gesichte,
ich leb’ an einem anderen Ort.

Novembermorgen hat geschlafen,
Novembermorgen fühlt sich stark,
Novembermorgen zeigt die Zähne,
weil er die Liebe hat.
Ich hab’ noch so viele Fragen,
leg’ mich noch nicht aufs Ohr,
hol’ mir die Kraft aus Sommertagen
und lebe im November davon.“

Wir Pfarrerinnen und Pfarrer, wir Prädikantinnen und Prädikanten, wir Pfarrerinnen und Pfarrer i. E. spüren im November die Trauer unserer Mitmenschen deutlich. Wir haben Gottesdienste zu feiern, zu denen wir Trauernde einladen. Wir begleiten den Gang auf den Friedhof. Wir sind Fachleute beim Umgang mit Trauer, Abschied, Loslassen und Hergeben.

Wenn die Quelle nicht mehr sprudelt, werden wir - unter anderen - gerufen. Ziemlich ungeklärt sind dabei die Erwartungen.
Ich erinnere mich, dass die Diakonin an meiner ersten Pfarrstelle in Mannheim - ein großartiges „Fräulein G.“ - mich wenige Tage nach meinem Dienstantritt in Mannheim zu einer sterbenden Frau schickte. Sie wünschte, dass der Pfarrer mit ihr betet. Ich habe von diesem Besuch, von diesem „Geschicktwerden“, von unserem Beruf bei meiner ersten Sterbenden so viel gelernt, dass ich eigentlich noch einmal studieren wollte. Mein Wissen reichte nicht. Erfahrung hatte ich keine. Die Quelle sprudelte nicht. Hier nicht und dort nicht. Und doch war am Ende alles gut.
Ich studierte „Glauben“. Eine andere Geschichte. Gott sei Dank - ich hatte aus Kindheit und Jugend, aus Gesprächen mit meinem Gemeindepfarrer, von Jörg Zinks „Zink-Bibel“, wahrscheinlich vom auftauchenden Unbewussten so viel an innerer Substanz - an geschenkten Quellen - , dass ich dem „Stadtpfarrerdasein“ mit über 50 Beerdigungen pro Jahr und über 40 Konfirmandinnen und Konfirmanden „irgendwie“ gewachsen war.

Techniken kann man erlernen. Und legt sie dann weg, weil Techniken nicht taugen, wenn die Quelle versiegt.
Ich kann nur raten, die eigenen Quellen aufzuspüren. Das macht man nicht mit links. Vielleicht geht das nur im Gebet. Wer Theologie studiert hat, wer sich für diesen Beruf entschieden hat, wer sich berufen fühlt als Prädikantin oder Prädikant, hat von einer Quelle gekostet, die wohl den ersten Durst löscht, und doch bei den vielen folgenden Fragen die Sehnsucht nach einer absolut wesentlichen Quelle offen hält.

Die Erprobungsphase für eine erneuerte Perikopenordnung der EKD endet mit dem 1. Advent. Es beginnt ein neues Kirchenjahr.

Ganz herzlich danke ich allen, die Gottesdienste zu den Erprobungstexten geschrieben haben, entschuldige mich für das eine oder andere kleine Missverständnis, die Texte betreffend, und stelle fest: Die PASTORALBLÄTTER haben Wesentliches zur Perikopenreform beigetragen.
Den Autorinnen und Autoren mein herzlicher Dank, dem Verlag nicht minder, der sich auf viele zusätzliche Seiten der PASTORALBLÄTTER 2015 ohne Aufpreis eingelassen hat. Allen, die sich rückfragend, kommentierend, ablehnend und zustimmend in diesen Prozess eingebracht haben, danke ich herzlich auf diesem Weg, weil ich die vielen einzelnen Mails nicht beantworten kann.

Ihnen einen gesegneten November. In der Hoffnung, dass nicht nur Ihre Quellen sprudeln, sondern dass auch die Beiträge der PASTORALBLÄTTER Ihnen den Dienst erleichtern und die Wege Ihrer Quellen gedanklich erweitern.

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