Der Monatsspruch im Februar 2015

Ich schäme mich des Evangeliums nicht: Es ist eine Kraft Gottes, die jeden rettet, der glaubt.
Römer 1,16

Er läuft durch die Fußgängerzone. An einer Art Besenstiel ist ein Pappschild befestigt, das er in die Höhe hält. Mit blauem Filzstift steht darauf geschrieben: Jesus lebt! Und etwas kleiner darunter: Lass dich retten! Er ist nachlässig gekleidet. Das Schlabberhemd hängt ihm halb aus der Hose. Die Haare sind ungekämmt und wirr. Sein Blick ist stechend und hat zugleich etwas Suchendes. Er spricht Passanten an. Die meisten versuchen, ihm auszuweichen. Auch ich mache schnell einen großen Bogen und bin froh, dass er ein anderes Opfer gefunden hat.

Dieser Mann schämt sich des Evangeliums nicht. Im Gegenteil! Er ist beseelt von der Aufgabe, die Frohe Botschaft allen, die sie hören wollen, und allen, die sie nicht hören wollen, zu übermitteln. Doch wer ihn erlebt, hält ihn eher für ein bisschen verrückt. Da scheint ein Spinner seine Manie auszuleben. Der kann doch nicht ganz richtig im Kopf sein.

Mich machen diese Menschen, die ab und zu in unseren Innenstädten aufkreuzen, um religiöse Botschaften zu verkünden, nachdenklich. Eigentlich fühle ich mich von ihnen abgestoßen. Auf Zwangsbeglückung kann ich getrost verzichten. Andererseits regt sich mein Gewissen. Spinner hin, Spinner her - ist dieser Mann nicht mutiger als ich selbst? Wie ist das heute mit dem Aufruf zur Mission bei weiter sinkenden Kirchenmitgliederzahlen und einer sich ständig von Generation zu Generation ausbreitenden Unwissenheit über unsere christlichen Wurzeln?

Stehe ich denn als Christin ausreichend zu meinem Glauben? Und tue ich etwas für seinen gesellschaftlichen Erhalt im 21. Jahrhundert? Ob der Mann aus der Fußgängerzone wesentliche Missionserfolge für sich verbuchen kann, sei dahingestellt. Vielleicht sind viele Passanten ebenso negativ berührt wie ich. Doch die Nachdenklichkeit über das Thema bleibt.

Von vielen Menschen in unserem Land wird der eigene Glaube als etwas sehr Intimes empfunden. Es herrscht eine gewisse Scheu, sich im Bekanntenkreis zu outen.

Wer redet denn außerhalb seines kirchlichen Umfeldes darüber, dass er regelmäßig betet? Oder wer wünscht der Arbeitskollegin zum Geburtstag oder vor einer längeren Reise nicht nur alles Gute, sondern auch Gottes Segen?

Was bedeutet für uns der Satz des Paulus: „Ich schäme mich des Evangeliums nicht“ praktisch?

Für alle, die ihn als Appell verstehen, dem sie nachkommen wollen, kann es eine Möglichkeit sein, Fragen zu stellen und neugierig zu machen. Wenn ein Gespräch auf schwere Zeiten kommt, bietet sich die Frage an, wie der andere mit Krisen umgeht, was ihm Kraft gibt oder hilft. Ich frage, worauf jemand hofft, wenn er vom Tod spricht, oder wovor er Angst hat. Das sind ungewohnte Fragen. Doch manches Gegenüber ist dankbar dafür. Und viele werden neugierig, stellen Gegenfragen. Dann erzähle ich von meinem Glauben, worauf ich hoffe, was ich empfinde, aber vor allem auch, welche Zweifel ich habe. Ich schäme mich meiner Zweifel nicht. Denn sie machen mich zu einer Suchenden, und diese Suche bringt mich letztlich Gott näher als eine satte Gewissheit.

„Ich schäme mich des Evangeliums nicht: Es ist eine Kraft Gottes, die jeden rettet, der glaubt.“

Als Paulus diesen Satz an die Gemeinde in Rom schrieb, war das Christentum eine brandneue und zugleich eine gefährdete, weil in vielen Augen gefährliche Religion. Der Glaube war mit Widerstand und Entbehrungen verbunden. Mit seinem „Ich schäme mich des Evangeliums nicht“ bekräftigt Paulus seine Entscheidung, sich gegen alle Widerstände zu diesem Glauben zu bekennen. Koste es, was es wolle. Denn sein Seelenheil kann ihm niemand mehr nehmen, schließlich rettet das Evangelium als Kraft Gottes jeden, der daran glaubt.

In unserem Land waren das Christentum und die etablierten großen Kirchen jahrhundertelang Normalität. Das ändert sich in den letzten Jahren zusehends. Wer seinen christlichen Glauben lebt, den umgibt oft ein Hauch des Exotischen, mitunter auch des Weltfremden.

Paulus hätte damals sicher nur wenige überzeugen können, wenn er das Christentum lediglich offensiv beworben hätte. Denn was unseren Glauben damals wie heute anziehend macht, ist das, was er in uns bewirkt. Wenn das durch unser Wesen, unsere Haltung und unsere Handlungen nach außen strahlt, sind wir die besten Werbeträgerinnen und Werbeträger des Evangeliums.

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