Der Monatsspruch im Juli 2015

1. Mose 32,27; Pfarrer Steffen Groß

Ich lasse dich nicht los, wenn du mich nicht segnest.
1. Mose 32,27 (E)

Manches Bibelwort schleicht sich durch Töne in Herz und Hirn ein. Johann Sebastian Bachs frühe Motette „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn“ ist so ein Vehikel des Wortes in meiner ganz persönlichen Glaubensgeschichte. Das stetig hin und her wogende, immer und immer wiederholte „Ich lasse dich nicht, nicht, nicht“ klingt für mich nicht zuerst nach dem Erzvater Jakob in dunkler Nacht am Ufer des Jabbok, sondern nach dem legendären Kirchenmusiker Helmuth Rilling und seiner Gächinger Kantorei. Die Sänger beschwören den Segen beinahe herauf, treiben den Herrn der Welt im Dreivierteltakt in die Enge. Und Bach wäre nicht Bach, würde er alldem nicht noch theologisch seinen ganz eigenen Stempel aufdrücken: Nicht Gott den Vater lässt er hier ansingen: „Mein Jesu!“ ist der zärtlich und bestimmt angerufene Adressat, der segnen soll. Und der dies auch tut: Aus dem aufgeregten Stimmengewirr entspringt ein schlichter, ergreifender Choral: „Lob, Ehr und Preis sei dir gesagt/für alle dein erzeigt Wohltat …“ Auch und nicht zuletzt die Töne Bachs haben bei mir eben das wohl bewirkt, was der Text der Motette singend beschreibt: Eine lebenslange Verstrickung des eigenen Lebens und Glaubens mit dem Mann aus Nazareth, ob in schwarzer Nacht oder an hellen Tagen.
Aber führt Bach nicht am Ende kunstvoll weg von dem, was im Text steht? So ist es wohl. Und dann ist es für diesmal gut, nicht die klassisch gewordene und auch von Bach benutzte Luther-Übersetzung zu bedenken, sondern die ebenso schlichte wie klare Version der Einheitsübersetzung: „Ich lasse dich nicht los, wenn du mich nicht segnest.“ Paradox, dieses Wort: Wen Gott segnet, den lässt er ja gerade nicht los - eine stärkere Verbindung zwischen Gott und Mensch als die Gabe des Segens ist kaum vorstellbar. „Ich lasse dich nur los, wenn du mich nicht loslässt“, kann man die Worte aus dem 1. Buch Mose also auch nachsprechen. Und nähert sich so wieder dem Erzvater Jakob an.
Jakob, der Enkel Abrahams, ist eine der schillerndsten Figuren der Jüdischen Bibel: Nachdem er seinen Bruder Esau trickreich um den Segen des Erstgeborenen gebracht hat, muss er fliehen - und wird beim Dienen Rahels, der Frau seines Herzens, zum betrogenen Betrüger. Nach sieben Jahren Fronarbeit schickt Schwiegervater Laban ihm nicht die geliebte Schönheit, sondern deren Schwes-ter Lea zur Hochzeitsnacht - sieben weitere Dienstjahre sind die Folge. Esau, den Bruder, wird er bei alldem nicht los. Und der Weg zur Versöhnung führt für Jakob nur über einen nächtlichen Kampf an der Furt des Baches Jabbok - und er wird in diesem Kampf auf Leben und Tod das Gefühl nicht los, Gott selbst sei der Gegner. Am Ende überlebt Jakob, aber ein Hüftschaden wird ihn lebenslang an diese entscheidende Nacht erinnern. Und auf dem Höhepunkt des Ringens stößt er die entscheidenden Worte aus: „Ich lasse dich nicht los, wenn du mich nicht segnest.“ Und dann lässt Jakob los, gesegnet und gezeichnet.
Welche Gegner holen uns bei Nacht ein? Was sind unsere Anfechtungen? Bittere Erfahrungen mit anderen Menschen, innerhalb und außerhalb der Kirche, sagen viele, die am Glauben irre und im Vertrauen müde geworden sind. Oder, seltener vielleicht, aber nicht minder dramatisch, unerhörte Gebete, vergebliche Hoffnungen angesichts eines allzu fern erlebten Gottes. Oder kämpft manch einer am Ende mit sich selbst, den Dämonen der eigenen Seele?
Der Jabbok kann überall sein. Der Segen allerdings auch. Jakob hinkt anders aus dieser Nacht, als er hineingegangen ist. Aber er kann leben - und seinem Bruder endlich vor die Augen treten. Der Segen gewinnt als wieder-belebte Beziehung unter Brüdern Gestalt. Wohl dem, der als Gesegneter aus der Nacht kommt! Vielleicht mag er oder sie dann doch in der eigenen Tonlage einstimmen in Bachs nur scheinbar altertümlichen Choral am Ende des musikalischen Ringens:
Lob, Ehr und Preis sei dir gesagt
für alle dein erzeigt Wohltat
und bitt demütiglich
lass mich nicht von dein’m Angesicht

Anzeige: Ich bin, wie Gott mich schuf von Sabine Estner und Claudia Heuermann

Die Pastoralblätter im Abo

Gottesdienste komplett und fundiert vorbereiten.

Zum Kennenlernen: 2 Ausgaben gratis

Jetzt testen