Gestern (25. März) ist Germanwings A 320 9525 in den französischen Alpen abgestürzt. 150 Tote. Familien leiden und trauern. Verantwortliche sind entsetzt. Nach allem, was ich heute (26. März) in den Nachrichten sehe und höre, scheint der Grund nicht ein technisches Versagen, sondern ein gesteuerter Suizid des Co-Piloten gewesen zu sein.
Mehr weiß ich nicht. Ich bin entsetzt wie alle.
Ich bete für die Angehörigen. Bin durcheinander.
Eine ganze Welt ist zusammengebrochen. Die kostbare Vielfalt des Lebens - Kinder, Junge, Alte - ist an einem Felsen zerschellt.
Die Illustrierten, die Nachrichten- und Bildmedien sind an diesem Tag eher noch zurückhaltend. Das wird sich ändern.
Sie werden das Leben des nach allen Verlautbarungen verantwortlichen Co-Piloten veröffentlichen - vom ersten Kuss bis zum Erdaufwurf am Grab.
Sie werden die Angehörigen der Crew des zerborstenen Fliegers und der verstorbenen Schülerinnen und Schüler verfolgen, werden Bilder zeigen, Storys erzählen und können vielleicht - das weiß ich jetzt nicht - noch den letzten lieben Kuss einer Schülerin veröffentlichen.
Ich scheue mich vor diesen Medien.
Ich weiß: Ich bin ein Teil dieser Medien.
Sie müssen liefern, damit wir kaufen.
Und wir kaufen nur, wenn sie liefern.
Die erste Reaktion meiner Frau war: „Warum nennen sie Namen und Wohnort des Copiloten? Seine Familie kann doch nichts dafür!“
Sie hat Recht.
Morgen schreiben sie neue Überschriften. Gestern haben sie in einem Leben gegraben, als ob es dort eine Sensation zu entdecken gäbe. In 48 Stunden ist ein Leben durchleuchtet.
Es gibt in den allermeisten Biografien keine Sensation.
Es gibt nur, was wir alle kennen über gelingendes und nicht gelingendes Leben.
Es gibt Liebe und Streit.
Es gibt Klarheit und Dunkel.
Es gibt Kinder und Enkel, Schuld und Vergebung, Tod und Leben.
Es gibt Nachbarn, die hören.
Es gibt Nachbarinnen, die schweigen.
Heute ist Glück, morgen ist Elend.
Heute ist Alltag, morgen ist Streit.
Heute gehen wir Hand in Hand.
Morgen schauen wir uns nicht in die Augen.
Heute sehen Schüler staunend über die Schulter.
Morgen verriegele ich die Cockpit-Tür.
Kolleginnen und Kollegen werden zu bestatten haben.
Bald 70 Menschen allein in Nordrhein-Westfalen.
Pfarrerinnen und Pfarrer sollen trösten.
Ich falte die Hände für sie.
Auch sie sind Betroffene.
Sie werden die Trauer teilen.
Sie werden Gott anrufen.
Sie werden in Christi Namen Trost zu spenden versuchen.
Sie werden - wenn es gelingt - bei den Menschen bleiben.
Auch über die „angemessene Zeit“ hinaus.
Sie haben zu tun, was ihnen aufgetragen ist.
Sie werden es gut tun. Da bin ich mir sicher.
Sie werden sagen, was zu sagen ist.
Werden schweigen, worüber zu schweigen ist.
Werden stundenlang sitzen und überlegen,
werden sprechen und beten.
So ist das immer, was immer uns angeht.
Sie sind nicht allein.
Keiner ist allein, wenn geschieht, was uns aufgetragen ist.
Wir bleiben, nicht nur mit unserem Gebet.
Wir beten und bleiben.
Das ist unser Beruf als Seelsorgerinnen und Seelsorger.
Meine Frau hatte gesagt: „Warum nennen sie Namen und Wohnort des Copiloten? Seine Familie kann doch nichts dafür!“
Meine erste Antwort: Bei (fast) allen (gut 700) meiner Beerdigungen ging es in den Gesprächen um Schuld. Ich habe den Eindruck: Menschen können den Tod besser verarbeiten, wenn sie dem Arzt, der Krankenpflegerin, dem Co-Piloten oder dem Rettungssanitäter „die Schuld“ geben können. Das kann ich als Seelsorger verstehen. - Dann hört meine Neugierde auf. Dann bin ich ganz nah bei der oder dem, der Fragen, Bitten oder eine Geschichte mit Brüchen hat, mit dem oder der, die auf ihre Weise das Leben des/der Verstorbenen geteilt haben.
Vielleicht ist es so:
Wir Medien-Konsumenten haben nicht die Vielfalt des Lebens im Blick.
Nur das, was uns scheinbar angeht.
Was uns unter die Haut geht.
Was uns in die Ohren geht.
Wir Menschen sind so.
Auch wenn wir uns größer wähnen
oder klüger oder weiter oder aktueller.
Wir sind „Heutige“.
Würde man uns sagen, wir seien Gestrige, dann gäbe es harsche Widerrede.
Es gab den Satz, man könne die Trauer der Betroffenen nicht verstehen. Man könne den Schmerz nur teilen. Auch ich habe keinen besseren Satz. Außer dem, was wir bei jedem Gottesdienst - eher hilflos und bittend - sagen:
„Der Segen Gottes sei mit dir, sei mit euch.“
Das gibt die Verantwortung weiter.
Feige? - Ehrlich!
Ich hoffe, aus der zeitlichen Distanz zwischen Schrei-ben, Setzen, Korrigieren, Druck und Versand dieser PASTORALBLÄTTER-Nummer, dass sich noch Tröstendes und Entlastendes ergibt. Sie erkennen aus den anfangs genannten Daten den zeitlichen Vorlauf unserer Zeitschrift.
Es gibt nichts, was vielfältiger, weitreichender und nachhaltiger wäre als der Segen Gottes.
In diesem Heft erwarten Sie neben Monats- und Wochensprüchen für zwei Monate, neben den Perikopengottesdiensten im Juli und August, zwei weitere Predigten zu einem Erprobungstext am 6. und 10. Sonntag nach Trinitatis, drei ausgesprochen interessante und weltweit orientierte Alternativpredigten, vier Kasualansprachen zur goldenen Hochzeit, ein thematischer Beitrag zu „Predigt und Erinnerung“, zahlreiche Hinweise auf Neuerscheinungen sowie wie in den letzten Jahren in der Sommernummer Anregungen des Schriftleiters für Ihre „Urlaubslektüre“.
Mit besten Wünschen für Erholung, Muße und Freude am Leben, wann und wo immer Sie eine „Auszeit“ genießen, erstaunt „abschalten“ können. Der Terminkalender hat - für überschaubare Zeit - ausgedient. Und rund um Ferien oder Urlaub - vorher und nachher - finden Sie entlastende und bereichernde Beiträge hervorragender Kolleginnen und Kollegen. Ein frühes Ostergeschenk für Ihren Sommer.