Es ist schon Abend, dunkel und kalt draußen. Es hat geklingelt. Als ich zur Tür komme, steht da eine junge Flüchtlingsfrau mit einem Kind auf dem Arm. Im Schein unserer Lampe sehe ich ihr Gesicht, sehe ich ihre Augen, sehe ich das Kind auf ihrem Arm. Das Kind blickt die Mutter an, die wiederum mich fest in den Blick genommen hat.
Da steht eine Mutter mit einem kleinen Kind vor meiner Tür und bittet mich um Hilfe. Sie braucht Unterstützung und erzählt mir ihre Lebensgeschichte, die zum großen Teil eine Leidensgeschichte ist. Sie wohnt sozusagen im Dunklen, im Finstern. Nun ist sie auf der Flucht, auf der Suche nach Hilfe, nach einem kleinen Lichtschimmer, der in ihre Dunkelheit fällt. Sie sehnt sich nach Hilfe, die ihre Not lindert und vor allem die Not ihres Kindes.
Als ich schließlich wieder in mein Arbeitszimmer komme, fällt mein Blick auf die hier abgebildete Statuette. Diese Figur vor Augen, muss ich noch einmal über die Besucherin nachdenken, denn auch diese Frauenfigur hat ein Kind auf dem Arm, das die Mutter anschaut. Und die großen Augen der Mutter nehmen mich in den Blick. Wieder schaut mich eine Mutter durchdringend an.
Es ist eine Figur der Falasha, einem kleinen jüdischen Stamm in Äthiopien. Es ist ein Volk, das im Finstern wandelt, sind Menschen, die da wohnen im finstern Lande, denn sie mussten und müssen in besonderer Weise Verfolgung leiden. Nun schaut mich diese Mutterfigur genauso an wie die Flüchtlingsmutter an der Haustür.
Und da es, als mir dies alles passiert, kurz vor Weihnachten ist, denke ich ganz selbstverständlich auch an die eine Mutter, die besondere Mutter und ihr besonderes Kind, die ja auch zusammen auf der Flucht waren. Ich kann in dieser kleinen Skulptur Maria mit Jesus wiederfinden.
Maria gebar schließlich ihren Sohn Jesus auf Reisen und hatte keinen anderen Ort, ihn zu betten, als eine Futterkrippe. Sie musste sich der diktatorischen Besatzungsmacht, dem Befehl des römischen Kaisers Augustus, der mit der Macht der Soldaten durchgesetzt wurde, beugen. Sie musste fliehen, um ihren Sohn vor den Mördern des jüdischen Königs Herodes zu retten.
Seit diesem Abend sehe ich in der kleinen Statue gleich drei Mütter und ihre Kinder: Maria, die Mutter Jesu, die äthiopische Jüdin und die Frau an meiner Haustür. Alle drei leben in ihrer jeweils eigenen Dunkelheit. Alle drei haben die Finsternisse dieser Welt zu ertragen. Und alle drei suchen mit ihrem Blick das Licht, das ihnen scheint und ihre Finsternis erhält.
Dieses Licht ist in aller Dunkelheit der Welt erschienen. Denn eins unterscheidet Maria doch von den anderen Frauen: Sie hält den Sohn Gottes auf ihrem Arm. Denn Gott wurde Mensch. In Jesus ist Gott in unsere Welt gekommen. Gott ist in seinem Sohn einer von uns geworden. Er hat unser Leben gelebt und unsere Dunkelheiten durchlitten.
Jesu Geburt ist das große Licht, das das Volk sieht, das im Finstern wandelt. Christi Kommen hat uns das Licht der Hoffnung gebracht. Sein Kommen hat uns das Licht des Friedens geschenkt. Es gibt nun keine Finsternis mehr, in die nicht das Licht der Weihnacht hineinstrahlt und ein Stück der Finsternis in Licht und Hoffnung verwandelt. Die Dunkelheiten dieser Welt werden durch Weihnachten bestrahlt.
Die Falasha-Frauen, die äthiopischen Jüdinnen, bleiben für mich anonym, auch wenn ihre Skulptur zu mir spricht. Es ist gut zu wissen, dass christliche Hilfsorganisationen sich dort engagieren und das Licht der Hoffnung bringen.
Aber der Frau an unserer Tür konnte ich ganz praktisch helfen mit Windeln und Lebensmitteln bis hin zum Babybrei. Ich habe ihr auch ein kleines Bilderbuch dazugegeben, das die Weihnachtsgeschichte erzählt. Vielleicht hat sie sich ja in der anderen Mutter wiedergefunden.
Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter.