Stimmung und Staunen – Gottesdienst zu EG 23 (Gelobet seist du, Jesu Christ)

Orgelvorspiel und Melodie zu EG 23 Gelobet seist du, Jesu Christ

Ich liebe diese weihnachtlichen Tage. Musik liegt in der Luft. Ich muss gestehen: Ich mag „Driving home for Christmas” von Chris Rea und Bing Crosbys „I’m dreaming of a white Christmas”. Sie stimmen mich im Radio auf das Fest ein. Weihnachtsstimmung eben. Weihnachten und Musik gehören einfach zusammen. Das erste Weihnachtslied wird ja schon von den Hirten in Bethlehem gesungen. Sie priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten (Lk 2,20). Wie sollten sie nicht. Das, was sie gesehen und gehört hatten, hat ihnen das Herz froh gemacht. So ist das mit dem Evangelium eben. Denn Gott hat unser Herz und Gemüt fröhlich gemacht durch seinen lieben Sohn, welchen er für uns hingegeben hat zur Erlösung von Sünden, Tod und Teufel. Wer dies mit Ernst glaubt, der kann’s nicht lassen: Er muss fröhlich und mit Lust davon singen und sagen, dass es andere auch hören und hinzukommen (Vorrede zum Leipziger Gesangbuch des Valentin Babst, 1545). Martin Luther hat das geschrieben. Und ernst genommen, denn er hat ja selber Weihnachtslieder geschrieben, die in unserem Gesangbuch stehen. „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ ist das Bekannteste. Und eben auch „Gelobet seist du, Jesu Christ, dass du Mensch geboren bist“. Die Orgel hat uns zuvor mit der Melodie des Liedes eingestimmt.

em>EG 23,1-3

Eine einfache, spröde Melodie. Und Worte, die mit einfachen Bildern die Frohe Botschaft von Weihnachten, wie sie vor allem von Lukas und Johannes entfaltet wird, staunend nacherzählen. Das unterscheidet unser Lied von zahlreichen Weihnachtsliedern, die wir in diesen Tagen aus den Lautsprechern hören. „Driving home for Christmas“, „I’m dreaming of a white Christmas“ und all die anderen transportieren weihnachtliche Stimmung. Aber dieses Luther-Lied transportiert nicht nur Stimmung. Ich höre darin ein großes Staunen: Der unendliche Gott wird ein endlicher Mensch, Fleisch und Blut. Geboren von einer unbedeutenden jungen Frau, in einer Futterkrippe im Stall und nicht in einem wunderbaren Palast. Er, der größer ist als die ganze Welt, liegt als Säugling im Schoß Marias. Er, der die ganze Schöpfung trägt und erhält, kommt als winziges Kind in die Welt.
Gott wird Mensch, das ist doch zum Staunen. Gott ist da, wo ich ihn nicht erwarte. Hier in einem schäbigen Stall, einer Unterkunft für Wohnungslose. Später dann nicht bei den Anständigen und Wohlgeratenen, sondern bei den Gescheiterten, Schuldigen. Gott ist bei denen, mit denen kein Anständiger zu tun haben wollte. Und schließlich auch in der Tiefe der Verzweiflung, im Abseits des Kreuzes, im Leiden und Sterben. Gott nicht fern im Himmel, nicht mit furchteinflößender Majestät auf himmlischem Thron, sondern nahbar: zuerst für schmutzige Hirten, später dann für Aussätzige und Gescheiterte. Und am Ende: Gott am Kreuz, der um Verzweiflung, Schmerz und den Tod weiß, weil er ihn selber erfährt. In Bethlehem erscheint Gott nicht mit großer Geste. Er verändert die Welt nicht, indem er mit Gewalt dreinschlägt. Er kommt als kleines, hilfloses Menschenkind. Als erwachsener Mensch schafft er das Leiden nicht ab, sondern teilt es mit uns Menschen und nimmt es auf sich. Das ist doch zum Staunen.
Strophe 4 ist die Mitte unseres Liedes. Wie ein Scharnier verbindet sie die ersten drei mit den letzten drei Strophen. Lasst sie uns singen.
Ich liebe diese weihnachtlichen Tage mit ihrem Lichterglanz. Beim abendlichen Spaziergang durchs Dorf freue ich mich an den Schwippbögen in den Fenstern und Weihnachtsbäumen in den Vorgärten. Ich gestehe: Ich hab so meine Probleme mit von knallbunten Lichtschläuchen erleuchteten Fassaden und Weihnachtsmännern auf beinahe lebensgroßen Rentierschlitten. Aber selbst diese seltsame Weihnachtsstimmung ist noch Abglanz jenes Lichts, über das unser Lied staunt:
Das ewig Licht geht da herein, gibt der Welt ein neuen Schein;
Es leucht’ wohl mitten in der Nacht und uns des Lichtes Kinder macht. Kyrieleis.

EG 23,4

Mit dem Christuskind kommt ein neuer Schein in die Nacht der Welt. Ein neuer Schein, kein neuer Anschein. Das Licht, das von diesem Kind ausgeht, verklärt die Welt nicht. Die Notunterkunft wird nicht auf einmal zur Idylle. Aber ein neuer Schein fängt an sich auszubreiten. Die Hirten geraten zuerst in sein Licht. Euch ist heute der Heiland geboren! - Das heißt doch so viel wie: Ihr seid von Gott nicht vergessen. Gott sieht euch an den Rand Gedrängte. Er macht sich auf den Weg zu euch. Er will an eurer Seite sein. Er kommt mit seinem Licht auch an die finstersten Orte.
Mitten in der Nacht leuchtet dieses Licht. Es macht die Nacht nicht zum Tag, aber es ergreift die Menschen. Wie durch einen Türspalt fällt dieses Licht in der Weihnachtsgeschichte verheißungsvoll in die Welt. Später dann zog der erwachsene Jesus die Menschen an, weil sie spürten, wie Licht von ihm ausging. Wo er war, wurde es hell. Hoffnung ging von ihm aus. Menschen wurden heil. Sie wurden von diesem Jesus vom Rand in die Mitte des Lebens hineingezogen. Sie wurden ihres Lebens wieder froh. Viele wurden von diesem Licht angezogen: Kleine und Große, Traurige und Fröhliche, Kranke und Gesunde, Reiche und Arme. Viele ließen sich anstecken von diesem Licht. Sie wurden durch sein Licht verändert. Sie wurden zu Kindern des Lichts und gaben es weiter. Sie gaben das weiter, was sie von Jesus erfahren hatten: Hoffnung, Geborgenheit, Vertrauen, Liebe. Mit ihnen machte und macht sich Gottes Licht bis heute auf den Weg zu den Menschen: beim Besuch am Krankenbett, in Gestalt eines Flüchtlingshelferkreises, in Gestalt einer Spende für Brot für die Welt, in Gestalt einer Demenzgruppe im Gemeindehaus …
Ich liebe diese weihnachtlichen Tage. Weihnachten ist Zeit für Geschenke. Ich liebe es, Geschenke zu machen, die andere freuen. Ich freue mich an den Geschenken, die mir andere machen. Sie alle erinnern uns ja an das große Geschenk, das Gott uns mit Jesus damals in Bethlehem gemacht hat.
Es ist nicht genug gepredigt, wenn man Christi Leben obenhin als Historie predigt. Der Glaube wächst dadurch, dass mir gesagt wird, warum Christus gekommen ist, schreibt Martin Luther (Von der Freiheit eines Christenmenschen, Zum achtzehnten). Und deshalb stellt er in den letzten drei Strophen noch einmal heraus, was Weihnachten für uns bedeutet.

EG 23,5-7

Das hat er alles (für) uns getan … - Dafür ist Gott Mensch geworden: um uns zu seinen Kindern und Erben zu machen. Er ist arm geworden, damit wir im Himmel reich und den Engeln gleich sein werden. Das hat er alles für uns getan, um uns seine große und unbedingte Liebe zu zeigen. Darum ist er Mensch geworden: um uns gleich und uns nahe zu sein. Das ist das große Geschenk, das Gott uns an Weihnachten macht und das wir ein Leben lang staunend auspacken.
Damit könnte die Auslegung unseres Luther-Liedes zu Ende sein. Wäre da nicht ein Stolperstein in unserem Lied, auf den ich bisher noch gar nicht eingegangen bin: Luther beendet jede Strophe mit einem Kyrieleis, einem „Herr, erbarme dich!“ oder „Herr, hilf uns!“. Seltsam. Engel und Menschen bilden einen großen Chor und jubeln darüber, dass Gott in Jesus Mensch wird. Da müsste doch am Ende jeder Strophe ein Halleluja stehen, ein „Lobt Gott!“. Im 18. Jahrhundert war das in einigen Gesangbüchern auch so: Kyrieleis raus, Halleluja rein. Es spricht meiner Meinung nach aber mehr als Werktreue dafür, das Kyrieleis Luthers zu bewahren. Es ist wirklich ein weihnachtlicher Stolperstein. Es bewahrt uns davor, die Weihnachtsgeschichte als selbstverständlich zu betrachten.
Alle Jahre wieder kommt das Christuskind auf die Erde nieder, wo wir Menschen sind, heißt eines unserer stimmungsvollen Weihnachtslieder. Und was alle Jahre wieder gehört und gefeiert wird, steht in der Gefahr, dass es zur Selbstverständlichkeit wird. Ist es aber nicht. Es ist wunderbar einmalig: Gott wird Mensch uns Menschen zugute, ganz und gar für uns Menschen, ganz und gar an unserer Seite, damit wir nie mehr allein sind, in allem, was uns widerfährt. Das ist doch wunderbar. Das ist doch zum Staunen! Kyrieleis - Hilf uns, Herr, dass wir das nicht vergessen.

Kyriegebet:
Bring doch, Gott,
in unsere Dunkelheit - Dein Licht,
in Streit und Krieg - Deine Versöhnung,
in unsere Krankheit - Deine Heilung,
in Leid und Kummer - Deine weihnachtliche Freude.
Öffne uns Augen und Ohren, damit wir erkennen:
Du kommst auch zu uns. Du kommst zu mir.

Kollektengebet:
In der Heiligen Nacht bist Du, Jesus Christus,
auf die Welt gekommen.
Mit Dir kommt Licht in die Welt.
Dein Licht leuchtet hell.
Dein Licht leuchtet für alle.
Dein Licht leuchtet für mich.
Das feiern wir heute.
Darum loben wir Dich.
Darum singen wir Dir unsere Lieder.

Liedvorschläge: 55 (O Bethlehem, du kleine Stadt)
410 (Christus, das Licht der Welt)
56 (Weil Gott in tiefster Nacht erschienen)
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