Wenn ihr beten wollt und ihr habt einem anderen etwas vorzuwerfen, dann vergebt ihm, damit auch euer Vater im Himmel euch eure Verfehlungen vergibt.
Markus 11,25 (E)
Eine liebe Kollegin, deren Beiträge ich sehr schätze, schrieb mir auf die Anfrage, ob sie den Monatsspruch im Februar übernehmen könne:
„... der Text geht gar nicht an mich.“ Ich spürte, an mich geht das Jesuswort ganz direkt.
Wie geht es Ihnen, wenn Sie beim „Vater unser“ beten: „... und vergib uns unser Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“?
Bei jedem Gebet kommt mir ein bestimmter Mensch in den Sinn, dem ich nicht vergeben kann. Sie oder er hat mich ziemlich „über den Tisch gezogen“ und dabei nachhaltig vieles - auch in unserer Familie - durcheinandergebracht. Das hatte nichts mit Gesundheit, Ehe oder dem sehr Privaten zu tun. Nur eben damit, dass ich es nicht fertigbringe, diesem Menschen zu vergeben. Und dass ich als Pfarrer Sonntag für Sonntag anderen Vergebung zuspreche. Wie geht das zusammen?
Ich frage Sie, an wen denken Sie, wenn Sie beten: „... wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“? Verstecken Sie sich hinter dem „wir“?
Noch konkreter gefragt: Wenn Sie beten würden: „Vergib mir meine Schuld, wie auch ich vergebe der oder jenem.“ Welcher Name würde sich Ihnen aufdrängen?
Der japanische Theologe Kazoh Kitamori schreibt: „Vergeben heißt vergessen. ,Vergeben kann ich wohl, aber nicht vergessen‘ - dieses ist keine wirkliche Vergebung. Solange wir uns daran erinnern, wie bitter es uns ankam, dem anderen seinen Fehler zu vergeben, und solange wir immer wieder davon reden, so lange ist dies keine wirkliche Vergebung. Dann kann auch der, der die Vergebung empfing, den Frieden nicht wirklich genießen.“ (Theologie des Schmerzes Gottes, S. 37)
Und Albert Schweitzer predigt: „Fassen wir es so: Du sollst dich nicht alsbald gegen jedes Übel, das dir angetan wird, zur Wehr setzen; sondern erziehe dich, dass du Verleumdung, Lüge, Intrige, Schädigung, die gegen dich angehen, als etwas hinnimmst, das kommen muss. Arbeite innerlich an dir, dass du über dies alles hinauskommst. Lerne das große Vergeben der Nichtbeachtung. Bei der Ungerechtigkeit, die dir begegnet, liegt 50 Prozent an den Umständen, 25 Prozent an der Unwissenheit und Gedankenlosigkeit der Menschen und nur 25 an wirklicher Böswilligkeit.
Und du selber bist mit verstrickt in gleiche Schädigung der Existenz der anderen Menschen. Bedenke nur eines: Was redest du ungeprüft nach, was man Törichtes und Übles gegen einen Menschen vorbringt! Ziehe ab, was die Umstände an der Ungerechtigkeit und Härte, die dir begegnen, teilhaben; ziehe ab, was die Menschen in Gedankenlosigkeit dir schaden, wie du den andern schadest... Was bleibt noch, worüber du dich empören darfst?“ (Was sollen wir tun? - 12 Predigten zu ethischen Problemen, Lambert Schneider Verlag, Heidelberg, 1986, S. 71f)
Die Gedanken höre ich wohl, verstehe ihre schmerzliche Tiefe. Und doch - es bleibt eine Wunde, die einfach nicht heilen will. Ich weiß, das geht mich direkt an. Und ich meine, ich sei damit nicht allein. Und ich spüre, ich bin lange damit noch nicht fertig.
Ich habe Yad Vashem in Jerusalem besucht, viele Soldatenfriedhöfe weltweit, war mit Schülern in Bergen-Belsen, Theresienstadt oder Lidice, hatte über 700 Verstorbene zu bestatten und habe dabei versucht, Gräber und Gräben zu schließen. Konnte eine ganze Reihe von Geschiedenen mit neuen Partnerinnen und Partnern glücklich wieder trauen.
Und kann dem einen Menschen nicht vergeben.
Vergebung muss echt sein, muss Mark und Bein haben, muss Traum und Tag umfassen. Die Seele lässt sich nicht umpolen. Ich bin kein Automat. Der „reset“ funktioniert nicht, bislang auch kein „update“.
Wie geht es Ihnen?
Vielleicht bleibt am Ende die bescheidene, unbeholfene, ehrliche Bitte: Vergib mir, dass ich nicht vergeben konnte?