Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.
Apostelgeschichte 5,29
„Es gibt bei euch in der Kirche so viele Begriffe, die mir fremd und auch irgendwie suspekt sind.“ Sie nennt „Gnade“, gleich dahinter kommt „Gehorsam“. Ich sehe ihrem Gesichtsausdruck den Widerwillen an. Sie erzählt uns im Gesprächskreis von ihrer Kindheit bei den Jungen Pionieren in der ehemaligen DDR. Dort sei man schon als Kind auf Gehorsam getrimmt worden. Was die Partei sagte, war immer richtig. Die erste Zeit war ein riesiges Abenteuer. Auf Blauhemd und blaues Halstuch war sie stolz. Aber mit der Zeit kamen immer mehr Zweifel. Eigenes Denken war nicht erwünscht. Die Partei hatte eben immer recht, selbst in den absurdesten Situationen. Die Vorstellung, Gott zu gehorchen, schien für sie unmöglich. Gott gehorchen, den sie doch gar nicht kennt? Wie passten überhaupt Gott und „gehorchen“ zusammen?
Ihre Zweifel und kritischen Bemerkungen lösten auch bei mir Nachdenken aus. Die Sache mit dem Gehorsam ist schwierig. Eine lange Geschichte mit Missbrauch dieses Begriffes hat ihn in Verruf gebracht. Erziehung zum Gehorsam beinhaltete oft, dass kein Widerspruch geduldet wurde. Kinder durften ihren Eltern nicht widersprechen, weil Erwachsene auch immer recht haben. Chefs duldeten keinen Widerspruch. Frauen waren auch lieber ruhig. Es lag ein System von Abhängigkeiten zugrunde, das nicht hinterfragt wurde, auch nicht durfte. Die Steigerung dieses Gehorsams in autoritären politischen Systemen und ihre Folgen kennen wir nur zu gut. Menschen sind blindlings Anweisungen gefolgt, haben alle vorhandenen Skrupel ignoriert. Sie haben sich im Recht gefühlt, weil die anderen doch auch so dachten. Die Reaktion auf diese Form des unbedingten Gehorsams war die Abschaffung des „Gehorchens“. Kinder lernten zu widersprechen.
Auf allen gesellschaftlichen Ebenen folgte ein Emanzipationsprozess. Aber irgendwie hat man damit das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Das Wort „Gehorsam“ kommt praktisch in unserem normalen Sprachgebrauch nicht mehr vor. In dem Wort gehorchen steckt aushorchen, verhören, aber auch hören, lauschen, zuhören. Auf wen höre ich?
Ich höre auf den, dem ich mich zugehörig fühle. Ich höre nicht zu, weil ich gezwungen werde. Ich höre auf den, der mir und anderen guttut. Ich höre auf Worte, denen ich vertrauen kann, weil eine Wirklichkeit dahintersteht, die vertrauenswürdig ist. Für die Jünger in der Apostelgeschichte ist es Gottes Wirklichkeit, die in Jesu Leben klar und vertrauenswürdig vor Augen ist. Sie hören auf sein Wort und geben es weiter. Deshalb treten sie den Hohepriestern so mutig entgegen. Wir nennen das auch Zivilcourage. Jesus will keine Macht über Menschen ausüben. Ihm kann ich also „gehorchen“. Bei ihm stimmt es, bei Menschen muss ich es prüfen, ob ich ihnen Vertrauen schenken kann. Noch nicht einmal Gott verlangt unbedingten Gehorsam.
Es heißt, du sollst Gott „mehr“ gehorchen.
Im „mehr“ liegt ein Rest. Dieser Rest ist mein eigenes Nachdenken.
Es ist hellwaches Hinhören. Dazu ermutigt Jesus in vielen Situationen. Weil Gott unser Herz tröstet, deshalb höre ich auf ihn. (Psalm 119,32)
Gehorsam bei ihm ist immer gepaart mit Liebe. Weil ich zu Gott gehöre, kann ich „nein“ sagen zu allen Menschen, die blinden Gehorsam erwarten. Auf der Suche nach Sinn wünschen sich viele Menschen einfache Lösungen, etwas, woran sie sich halten können, ohne es hinterfragen zu müssen. Unser Glaube schenkt dagegen Freiheit. Benutze dein eigenes Denken, aber bleibe in der Liebe. In ihr sollen wir Gott unbedingt folgen. Im Gehorsam gegenüber Gott steckt Freiheit. Ich kann es anders machen, als es Gott von mir erwartet. Diese Freiheit habe ich. „Wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“, schreibt Paulus. Gehorchen ohne Freiheit geht nicht. Liebe bindet alles zusammen. Es ist die Liebe Gottes, aus der ich mein Vertrauen gewinne. Auf ihn höre ich. Dieses Hinhören brauchen wir ebenso wie die Jünger, weil es Mut macht für eigene Entscheidungen. In unserem ostfriesischen Plattdeutsch klingt es dann so: „Man mutt in eerste Stee up Gott hören un neet up Mensken.“