Gottesdienst am 21. November 2018"Sei eifrig und tue Buße!"

Buß- und Bettag, Offenbarung 3,14-22

Noch gut klingen mir diese Worte aus Evangelisationsveranstaltungen in meiner Jugend im Ohr. Sie sollten zur Umkehr mahnen und wirkten auf mich doch nur bedrohlich. Vieles hörte ich, wofür ich Buße tun sollte. Hätte ich das alles aus meinem Leben gestrichen, dann wäre Christsein ziemlich freudlos und gesetzlich. Das Wort Buße bekam erst einen anderen Klang, als ich es in den Schriften Bonhoeffers las und dabei den Zusammenhang zum Evangelium entdeckte.
Dass Buße nichts Vergnügliches ist, zeigte sich auch 1994, als es für den Staat wesentlich leichter war, zur Finanzierung der Pflegeversicherung den Buß- und Bettag anstelle des Pfingstmontags als arbeitsfreien Tag abzuschaffen. Lediglich in Sachsen ist der Mittwoch zwischen Volkstrauertag und Ewigkeitssonntag generell und in Bayern zum Besuch religiöser Veranstaltungen arbeitsfrei. Als evangelischer Feiertag blieb der Buß- und Bettag jedoch im christlichen Festkalender erhalten. Und siehe da: Die vielfach am Abend gefeierten und gut besuchten Gottesdienste zeigen, dass er als Tag der Besinnung für viele Christinnen und Christen weiterhin wichtig ist.

Sinn und Zweck dieses Tages ist es, den Kreislauf der Betriebsamkeit zu unterbrechen und bereits vor Beginn des neuen Kirchenjahres und der adventlichen Bußzeit innezuhalten und das eigene Leben sowie die Beziehung zur Mitwelt und den Mitmenschen zu bedenken. Dem „Weiter-so“ steht an diesem Tag das „Bleib-stehen“ gegenüber. Nimm die Zäsur im Verlauf der Zeit als Chance für einen Neubeginn an. Wen habe ich verletzt? Wem habe ich die ausgestreckte Hand zur Versöhnung verweigert? Wo habe ich mehr zum Schaden als zum Nutzen anderer und mir selbst gelebt? Das sind Fragen, die den Buß- und Bettag von anderen Feiertagen unterscheiden.
Ohne an diesem Tag nach Gott zu fragen, bleibt alle Besinnung aber im zwischenmenschlichen Bereich stecken. Der Buß- und Bettag hat beides im Blick, die Beziehung zu Gott und die Beziehung zu unseren Nächsten. Das Stillwerden vor Gott und das Gespräch mit ihm sind grundlegend für eine Umkehr, die weiter reicht als eine aus dem Augenblick geborene Absichtserklärung.
Genau davon spricht das Sendschreiben an die Gemeinde in Laodizea. Nach einer Situationsanalyse folgen in diesem Schreiben der Ruf zur Buße und die Ermöglichung eines Neubeginns. Von Gericht und Gnade ist darin die Rede. Die Androhung des Gerichts beabsichtigt aber nicht das Verderben der Gemeinde, sondern eine aus der Besinnung hervorgehende Verhaltensänderung.

Verdeutlicht sei dies an einem Alltagsbeispiel. So wie der Bußgeldbescheid nach einer Geschwindigkeitsüberschreitung nur dann nachhaltigen Erfolg hat, wenn der Betrag nicht nur leichten Herzens überwiesen wird, sondern darüber nachdenken lässt, wovor andere und ich durch das Einhalten der Geschwindigkeitsbegrenzung bewahrt werden. So wie das Beachten der Verkehrsregel vor tödlichem Schaden bewahren kann, so will Gottes Ruf zur Umkehr nicht allein die Gemeinde in Laodizea, sondern Christinnen und Christen zu allen Zeiten vor tödlichem Schaden bewahren.

Trotzdem muss das Sendschreiben zunächst in seinem historischen Zusammenhang als Anrede an eine konkrete Gemeinde betrachtet werden. Die in Phrygien gelegene Stadt Laodizea wurde ca. 200 vor Christus gegründet. Schon bald überragte sie als Handwerks- und Handelsstadt ihre Nachbarstädte, zu denen etwa Kolossä zählte. Rasch entwickelte sich Laodizea auch zu einem wichtigen Bankenzentrum. Zugleich beherbergte der Ort eine ärztliche Akademie, deren Salben im ganzen Römischen Reich verbreitet wurden. Es ist eine Stadt, der es an nichts fehlt und in der es sich hervorragend leben lässt. Trotzdem gibt es auch an diesem Ort Menschen, die mehr als nur ein gutes Leben wollen, Menschen, die nach dem Lebenssinn fragen und sich nach einem persönlichen Gottesverhältnis sehnen. Als der Paulus-Schüler Epaphras im Nachbarort Kolossä die Frohe Botschaft von Jesus Christus verkündigt, hören auch die Bewohner von Laodizea davon. Viele öffnen ihr Herz für den Glauben, sodass in der reichen Handelsstadt schon bald eine christliche Gemeinde entsteht. Menschen lassen sich taufen und treffen sich zu Schriftlesung, Gebet und Brotbrechen.

Mit den Jahren aber wird aus einer mit Ernst gegründeten Gemeinde immer mehr eine „Wohlfühlgemeinde“. Man schätzt sich, man feiert miteinander, man hilft, wenn jemand in Not ist. Man unterlässt es aber immer öfter, miteinander zu beten und Gottes Wort zu betrachten. Es gibt in Laodizea keine offenkundigen, keine sichtbaren Verfehlungen, die zu rügen wären. Es gibt nur eines: eine Verflachung des Glaubens an Jesus Christus. Was einmal die Mitte der Gemeinde war, wird nach und nach randständig. Natürlich handelt man christlich - was auch immer man darunter versteht -, natürlich bezeichnet man sich als Christ und Christin. Dass aus der christlichen Gemeinde mehr ein sozialethischer Verein wurde, merkt über lange Zeit hinweg niemand. Dass bei den Versammlungen die Geselligkeit immer wichtiger und die geistliche Gemeinschaft immer nebensächlicher werden, wird den Menschen in Laodizea erst bewusst, als ihnen mit dem Sendschreiben ein Spiegel vor Augen gehalten wird.

Zum Innehalten und zur Besinnung braucht die Gemeinde den Anstoß von außen. Zunächst beschreibt der Engel Gottes die Gemeinde in ihrer äußeren Erscheinung und malt dabei das Bild einer „Vorzeigegemeinde“. Äußerlich stimmt alles. Die Menschen sind nett zueinander, sie spenden gerne und großzügig. Um ihre Finanzen muss die Gemeinde sich keine Sorgen machen. Verantwortungsvoll gepflegte Gebäude zieren den Ort. Und trotzdem trifft gerade diese frühchristliche Gemeinde ein hartes Urteil. Die Mahnung an die Gemeinde in Laodizea gehört zu den biblischen Worten, die aufhorchen lassen.
„Weil du lau bist, … werde ich dich ausspeien aus meinem Munde.“ Womit hat diese vorbildliche Gemeinde dieses Urteil verdient?
Es ist ihre Profillosigkeit, die sich in einem lau gewordenen Glauben zeigt. Das Christusbekenntnis ist längst zu einem Lippenbekenntnis ohne geistlichen Tiefgang geworden. Dass Christsein etwas mit dem Glauben an den gekreuzigten und auferstandenen Christus zu tun hat, das haben viele vergessen. Jesus von Nazareth und sein Leben spielen noch eine gewisse Rolle im Leben der Gemeinde. An ihm und seinem Verhalten kann man sich orientieren. Der Auferstandene aber ist weit weggerückt. Ihn scheint in dieser Gemeinde niemand zu vermissen. Weshalb auch? Es geht ja allen gut, zumindest äußerlich. Den inneren Schaden benennt der Engel im Sendschreiben so: „Du weißt nicht, dass du elend und jämmerlich bist.“ Harte Worte an eine Gemeinde, der „nur“ ein lau gewordener Glaube vorgeworfen werden kann.
„Wenn du doch kalt oder warm wärst.“ Wenn du doch eindeutig für oder gegen mich wärst. Ein eindeutiges Nein zu Christus wird hier einem eindeutigen Ja gegenübergestellt. Selbst ein Nein wäre besser als diese Halbheit, die den Glauben zur Bedeutungslosigkeit verkommen lässt. Die Gemeinde in Laodizea hat ihre einstmals christuszentrierte Prägung verlassen. Sie bewegt sich in einem Raum, der auch einen anderen als den christlichen Namen tragen könnte. Auf ihre Beliebigkeit bezieht sich der Umkehrruf. Besinnt euch auf den Beginn eures Glaubens. Wem wollt ihr folgen, Jesus Christus oder einem religiös-sozialen Aktionismus?

Trifft das bisher Gesagte nur auf die frühchristliche Gemeinde in Laodizea zu? Können wir Christinnen und Christen uns beim Hören des Sendschreibens beruhigt zurücklehnen und an der so ganz anderen Gegenwart erfreuen?
Weil die Worte der Bibel zwar in eine konkrete Zeit hinein gesprochen wurden, aber für alle Zeit Gültigkeit behalten, muss das Sendschreiben auch nach seiner Gegenwartsbedeutung befragt werden. Sowohl mein persönliches Christsein als auch das christliche Profil der Kirche steht auf dem Prüfstand. Mit mir selbst beginnend, muss ich fragen: Welche Bedeutung hat das Bekenntnis zu Jesus Christus für mich? Handelt es sich nur noch um ein Lippenbekenntnis? Konkret stellt sich diese Frage vor dem Hintergrund einer religionspluralen und in manchen Teilen atheistisch geprägten Welt. Kann ich gegenüber meinen andersgläubigen Mitmenschen mit Überzeugung erklären, warum ich Christin bin? Kann ich erklären, was der Heidelberger Katechismus meint, wenn es dort heißt, dass Jesus Christus mein einziger Trost im Leben und Sterben ist? Sind das Worte, die im 16. Jahrhundert galten, deren Sinn mir aber nach und nach abhandengekommen und einem Heilspluralismus gewichen ist? Wie kann ich mit Kenntnis anderer Religionen ein eindeutiges Bekenntnis zu Jesus Christus ablegen und trotzdem den Glauben meiner andersgläubigen Mitmenschen anerkennen?

Neben die Frage an mein persönliches Christusbekenntnis stelle ich auch die Frage an das Bekenntnis meiner Kirche. Wie kann die Kirche das Christusbekenntnis eindeutig mit einem profilierten „Ja“ in einer Welt vertreten, in der es weniger um Eindeutigkeit als um Pluralitätsfähigkeit geht? Ist es für das Zusammenleben heute überhaupt sinnvoll, sich auf ein einziges Bekenntnis zu berufen?
Ganz sicher geben verschiedene Menschen und wissenschaftliche Disziplinen gerade darauf unterschiedliche Antworten. Als Christin aber muss ich diese Frage anhand der Bibel klären, und deshalb lautet meine Antwort nicht nur am heutigen Buß- und Bettag so: Ja, es ist wichtig, sich eindeutig auf das eigene Bekenntnis zu berufen! Das gilt nicht nur für uns Christinnen und Christen. Jede Religion muss sich eindeutig zu ihrer Offenbarung bekennen. Dies aber nicht zur Demonstration der eigenen Bedeutung, sondern als Bekenntnis zu einem Gottesverhältnis, das sich in jeder Religion anders zeigt und trotzdem seine Schnittmenge in einem verantwortungsvollen Umgang miteinander hat. Grundlage dafür ist der Glaube an Gott den Schöpfer, den wir als Christen im ersten Glaubensartikel bekennen.
Eine Welt, die Gott immer mehr aus ihrer Mitte drängt, braucht das eindeutige Bekenntnis zu Gottes Offenbarung. Für uns Christen und Christinnen ist dies das Bekenntnis zu Jesus Christus.

Gebet:
Herr, unser Gott,
hart klingen die Worte:
Tu Buße!
Hilf uns,
hinter dem Anspruch
den Zuspruch zu hören,
sodass wir getröstet
unsere Wege gehen können.

Bausteine für die Fürbitte:
Barmherziger und gnädiger Gott, wir rufen zu dir und bitten:
für alle Völker dieser Erde, dass sie in Verantwortung vor dir Wege des Friedens suchen und gehen,
für das Miteinander der Religionen, dass ihre Angehörigen das jeweils andere Bekenntnis respektieren können,
für Menschen, die nach Wahrheit suchen und um den Glauben ringen, hilf ihnen, dich zu finden,
für uns Christinnen und Christen, dass wir dich nicht nur mit den Lippen, sondern mit unserem ganzen Denken und Tun freudig und eindeutig bekennen.

Psalmvorschlag: Psalm 126
Lesung: Jesaja 1,10-17
Evangelium: Matthäus 12,(33-35)36-37
Liedvorschläge: 144 (Aus tiefer Not)
62 (Jesus soll die Losung sein)
392 (Gott rufet noch)
394 (Nun aufwärts froh)
430 (Gib Frieden, Herr)
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