Gottesdienst am 8. Juli 2018Was hindert’s, dass ich neu werde

6. Sonntag nach Trinitatis, Apostelgeschichte 8,26–39

Die Freundschaft gab es schon lange. Irgendwer kannte mal irgendwen - eine Schulfreundin der Nachbarin? die Tochter der Friseurin? - und eine Dritte kam dazu. Kaum noch zu sagen, wie das eigentlich anfing. Aber sie sind aneinander hängen geblieben. Seit vielen Jahren treffen sie sich: Erst zum Quatschen, später haben sie ihr gemeinsames Interesse am Kartenspielen entdeckt. Seit einiger Zeit sind die Augen der Älteren so schlecht, dass sie ihr Blatt nicht mehr erkennen könnte, da haben sie sich auf das Kaffeetrinken verlegt. Gerne gehen sie dafür in das Kirchencafé um die Ecke. Da sind die Leute nett, und weit ist es auch nicht. Die alte Frau traut sich ja nicht mehr weit raus mit den Augen und den wackligen Knien. Aber wenn die jungen Freundinnen kommen, dann geht es immer mal. Das kleine Stück schaffen sie gemeinsam.

In der letzten Zeit sind die Gespräche dichter geworden. Sie hat das Gefühl, dass gar nicht mehr viel Weg vor ihr liegt. Vielleicht ist es auch eine Hoffnung. Es ist ja alles so beschwerlich jetzt. Vieles von dem, was sie immer allein gemacht hat, viele Jahre schon, kann sie nicht mehr. Ob sie noch lange in der eigenen Wohnung bleiben kann? Die Kinder sprechen immer wieder mal vom Heim, besonders, wenn es ihr nicht so gut geht. Aber das will sie nicht. Am liebsten wäre ihr, wenn es gar nicht erst so weit käme. Wenn sie einfach vorher umfiele. Sie hat keine Angst. Es fällt ihr auch nicht schwer, an die eigene Beerdigung zu denken, manch einer fürchtet sich da ja. Aber sie nicht. Sie hat sich an den Gedanken schon gewöhnt. Sie kann da auch drüber sprechen. Die Kinder wollen das nicht hören, aber die Freundinnen, die sind offen dafür. Mit denen kann sie über alles reden. Auch, wie sie sich das wünscht. Sogar, was sie am liebsten hätte.

Sie würde doch so gerne eine kirchliche Beerdigung haben. Mit Pfarrer und Glocken und Vaterunser und mit allem, was dazugehört. Aber das wird nicht gehen. Sie ist nicht getauft. Irgendwie hat ihr das immer gefehlt, aber nie so wie jetzt. „Das wünsch ich mir am meisten“, das hat sie den Freundinnen gesagt. Und die haben sich angeguckt. „Aber fragen kannst du doch!“, haben sie gemeint. Nein, das wollte sie eigentlich nicht. Das wäre ihr zu unangenehm. Die beiden gucken sich an. „Das wollen wir doch mal sehen“, sagt der Blick.
Und als sie das nächste Mal ins Kirchencafé gehen, fragen sie im Büro nach, ob die Pfarrerin da ist. Ganz zufällig. Ein bisschen so wie ein Kinderversuch: Wenn sie da ist, fragen wir, wenn nicht, dann lassen wir es. Nein, sie ist nicht da, kommt aber gleich, ich schick sie rüber, wenn sie wollen. Ja, machen sie mal.

Und es dauert wirklich nicht lange. Da kommt sie schon. Sieht auch erst einmal nett aus. Und jetzt muss sie ja wohl auch was sagen. Sie erklärt ein bisschen rum und sucht nach Worten. Ich würde doch so gerne … nicht, dass das so einfach… nein, das ist doch nix. Aber ich bin doch nicht … Die Pfarrerin sieht auch so aus, als müsse sie erst einmal sortieren. Das versucht wahrscheinlich selten einer zu fragen. „Sie wollen kirchlich beerdigt werden.“ Ein Satz wie eine Frage. „Ja, Frau Pfarrerin, aber ich bin doch gar nicht getauft.“ Und sie will schon erklären, warum nicht, und sich entschuldigen. Da sagt die andere schon: „Ja, sicher, wenn Sie sich das wünschen, dann können wir das so machen.“ Wirklich? Ach, das wäre ja schön. Wie ein Geschenk, der Satz, und sie muss doch was zurückgeben, deshalb erzählt sie, wie ihr das immer so wichtig war, die Kirche und alles, was dazugehört. Und wie ihr das immer gefehlt hat, dass sie eben nicht so richtig dazugehört hat. Und da fragt die Pfarrerin, warum sie sich denn nicht taufen lassen wolle?

Wie, taufen? Aber das geht doch nicht. In dem Alter? Was muss man denn da, nein, das schafft sie nicht, in dem Alter, das kann man doch nicht. Oder? Kann man das machen?
Die Pfarrerin nickt. Natürlich kann man. Sie wüsste jetzt erst mal nicht, was hindern sollte, wenn sie getauft werden wolle. Wo sie doch offenbar ihr ganzes Leben gedacht hat, ihr fehle da was.
Die Freundinnen sind gleich Feuer und Flamme. Mensch, das ist doch toll. Das hast du dir doch immer gewünscht. Mach das doch. Wir sind dabei, wir unterstützen dich.
Und da sagt sie einfach ja. Ja, das wäre schön. Schön, dann wollen wir mal ein paar Termine machen, bietet die Pfarrerin an. „Ich besuche Sie, wenn Sie mögen.“ Und die Frau ist immer noch ganz erstaunt. „Ja, wenn Sie dafür Zeit haben.“ Da lacht die Pfarrerin: „Na klar, die habe ich.“ Da lacht die Frau: „So was, das hätte ich nicht gedacht heute Morgen.“

Als sie ein paar Tage später in ihrer Wohnung auf den Besuch der Pfarrerin wartet, da ist ihr gar nicht mehr zum Lachen zumute. Die alten Zweifel sind wieder da. Das geht doch nicht. Ich alte Frau. Was muss man denn da machen? Muss ich jetzt noch was lernen, das kann ich doch nicht. Ich alte Frau. Wenn die Freundinnen nicht da wären, hätte sie vielleicht gar nicht aufgemacht, sondern am nächsten Tag angerufen und sich entschuldigt. Aber sie sind da und sie macht auf.

Die Pfarrerin merkt die Unsicherheit. Vielleicht geht es ihr ähnlich? „Ich habe Ihnen eine Geschichte mitgebracht“, sagt sie. So ist es leichter für beide, jetzt redet ein anderer. Und alle hören zu. Die Pfarrerin liest vor. Die alte Frau kann es sich gut vorstellen. Ein Mann, einer mit fremdem Namen, fährt eine Straße entlang und liest in einer Schriftrolle. Da spricht ihn ein Gottesmann an, einer, der auf Gott hört. Und er erklärt ihm, was er da liest. Die alte Frau vermutet, dass er von Jesus redet, in diesen Geschichten ist es ja meistens so. Als die beiden Männer an einem Wasser vorbeifahren, da lässt sich der Fremde ganz spontan taufen. „Was hindert’s, dass ich mich taufen lasse?“, fragt er. Als sie aus dem Wasser steigen, verschwindet der Gottesmann. Der Fremde zieht fröhlich seines Weges.
Zwei treffen sich und reden, einer lässt sich taufen und alle sind fröhlich. So einfach. Als ob sie es wusste.
Während die Pfarrerin ein bisschen von der Geschichte erklärt, hört die alte Frau nur mit halbem Ohr und halbem Kopf zu. Aber dieser eine Satz: „Was hindert’s, dass ich mich taufen lasse?“ - der bleibt hängen.

Sie hat ihn noch im Ohr, als es ganz still wird. Keiner redet mehr. Nach einer ganzen Weile fragt die Pfarrerin: „Was meinen Sie, bleiben Sie dabei? Wollen Sie getauft werden?“
Die alte Frau sagt „Ja“.
„Schön, dann fangen wir mal mit der Anmeldung an“, schlägt die Pfarrerin vor. Name der Mutter, Name des Vaters - die alte Frau erinnert sich. Da ist es plötzlich, als ob etwas ganz wird. Als schließe sich ein Kreis. Das tut erstaunlich gut. Offenbar guckt sie ein bisschen verwundert, denn die Pfarrerin erklärt mit entschuldigendem Ton etwas über Akten und Archive. Wie auch immer. Plötzlich sind die Eltern auch dabei. An die hat sie in der letzten Zeit ohnehin immer öfter gedacht, die passen ja gut hierher. Über die Daten kommen die Geschichten.

Sie erzählt vom Vater, der immer so stur sein konnte. Als ihre Mutter schwanger wurde mit ihr, waren die Eltern nicht verheiratet. „Denken Sie mal, das war ein Unding damals!“ Und da ist der Pfarrer auch immer wieder drauf zu sprechen gekommen, als es an die Taufe ging. Immer wieder. So oft, bis der Vater sagte: „Ich werde mir das nicht schlechtreden lassen. Nicht uns und nicht unser Kind. Dann wird sie eben nicht getauft.“ Sooft auch die Mutter versuchte, ihn umzustimmen, er blieb hart. Ein richtiger Sturkopf eben. Die Mutter hat trotzdem gebetet mit ihr und gesungen. Und die Eltern waren trotzdem glücklich miteinander.
Fast so glücklich, wie sie selbst in ihrer Ehe. Vor der Hochzeit hat sie noch an die Taufe gedacht. Aber ihr Mann, der wollte gar nicht in die Kirche gehen. Er hat den Hitler überstanden als Kommunist, da wird er das jetzt nicht aufgeben, hat er gesagt. Da wollte sie ihm nicht in den Rücken fallen. Als die eigenen Kinder da waren, wurden sie natürlich auch nicht getauft. Aber erzählt hat sie ihnen trotzdem die Geschichten, und abends haben sie gebetet. Der Mann konnte damit leben, bis er viel zu früh starb.

Als es keinen mehr gab, auf den sie Rücksicht nehmen musste, starb die junge Schwiegertochter. Da hat sie zum ersten Mal richtig gezweifelt an ihrem Gott und dass er es gut mit ihr meint.
Später kamen sie und Gott sich wieder näher. Die Freundinnen haben ihr geholfen. Aber da war sie einfach zu alt. Viel zu alt. Kein Baby mehr, das man in weißem Kleid über das Taufbecken hält, oder wenigstens spät entschlossene Konfirmandin. Sondern einfach nur alt. Wie sollte das aussehen?
„Was hindert’s, dass ich mich taufen lasse?“ Selbst wenn sie den Satz früher schon gekannt hätte, wäre ihr Leben bestimmt genauso verlaufen.
Umso schöner, denkt sie, dass er mir jetzt doch noch begegnet ist. Und plötzlich wird sie ganz fröhlich.
Es wurde auch eine fröhliche Taufe. Ihr Sohn hat sie zum Taufbecken geführt. Danach haben sie gesungen: Ich bin getauft auf deinen Namen. Endlich.

Gebet:
Gott, heute denken wir an das Zeichen,
das du uns gegeben hast,
das Zeichen, das uns miteinander verbindet.
Hilf uns, immer wieder zu spüren,
dass wir zu dir gehören,
auf dass wir unsere Wege fröhlich gehen.

Fürbittenvorschlag:
Und er ging seine Straße fröhlich -
Gott, so gerne möchte ich mit leichten Schritten
durch mein Leben gehen.
Und so vieles gibt es, das mir die Füße
an den Boden zu nageln scheint
und mir den Weg schwer macht.
Öffne meinen Blick für all das,
was du gut mit mir meinst,
für all das, was mein Leben bereichert.
Gib mir die Kraft,
mich immer wieder neu aufzumachen,
immer wieder neu zu überwinden, was mich festhält.
Hilf mir, das anzunehmen,
was meinen Plan vom Leben stört
und mich aus der Bahn werfen will.

Psalmvorschlag: Psalm 67,2-8
Evangelium: Matthäus 28,16-20
Lesung: Apostelgeschichte 8,26-39
Liedvorschläge: 440 (All Morgen ist ganz frisch und neu)
200 (Ich bin getauft auf deinen Namen)
395 (Vertraut den neuen Wegen)
380 (Ja, ich will euch tragen)
157 (Lass mich dein sein und bleiben)
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